Oechsle im Weinberg: Was ist denn das?
Wenn Laien von Oechsle hören, stehen sie wie der Ochs vor der Apotheke. Oechsle ist der Gradmesser für den Zuckergehalt von Trauben, aber nur ein Parameter für Weinqualität.

Martin Joos ist am Montag mit den Hühnern aufgestanden. Um 7 Uhr zupft er auf Burg Wildeck Traubenbeeren vom Rebstock, später auch am Weinsberger Burgberg und am Schemelsberg. "Jeweils rund 50 auf der Schattenseite und 50 auf der Sonnenseite, von beiden Traubenschultern, vom Ende, aus der Mitte", erklärt der Weinbautechniker, der damit einen halben Tag beschäftigt ist.
Joos sammelt für die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) an 40 Standorten Beeren von 40 Rebsorten und bringt sie in 40 Tupperbehältern ins LVWO-Labor am Traubenplatz. Dort werden sie in einer Handpresse ausgequetscht und filtriert. Ein modernes Analysegerät misst zehn Inhaltsstoffe: vom Zucker über die Säure, die sich wiederum in Apfel- und Weinsäure unterteilen lässt, über den Nährstoffgehalt bis zum pH-Wert.
Messung schon seit 1958
"Die Ergebnisse fließen in die Leseplanung ein", erklärt LVWO-Experte Hanns-Christoph Schiefer, der die seit 1958 durchgeführte Reifeuntersuchung, kurz Oechsle-Messung, seit Jahren betreut und die Ergebnisse der Leitsorten - einst per Fax, heute per E-Mail - an Branchenvertreter weiterleitet. Die Heilbronner Stimme veröffnetlicht einen Teil als "Oechsle-Tabelle".
Oechsle? Weinfreunden ist der Begriff geläufig. Doch Laien stehen wie der sprichwörtliche Ochs" vor der Apotheke. Ganz einfach: Oechsle ist die Maßeinheit für den Süßegrad, Namesgeber war Ferdinand Oechsle aus Pforzheim. Der Apotheker hatte erkannt, dass süßer Saft dichter ist als Wasser und ein Messgerät entwickelt, mit dem der Zuckergehalt ablesbar ist: über eine zylinderförmige Mostspindel, in der ein Stab mit Skala schwimmt, der an ein Fieberthermometer erinnert. Das Gerät hat sich bewährt, im hochmodernen LVWO-Keller freute sich gestern Christian Schiele über einen Muskateller mit 89 Grad Oechsle. Nicht ganz so extakt, aber einfach und schnell zu handhaben sei das später entwickelte Refraktometer, das wie durch ein Fernglas den Zucker einer Beere über die Lichtbrechung anzeigt, weiß Schiefer.
Optik und Sensorik sind auch wichtig

Doch der Zucker, der über die Gärung in Alkohol umgewandelt wird, ist nur ein Parameter für die Trauben- und damit für die spätere Weinqualität. "Es geht auch um Optik und Sensorik", erklärt Oenologe Daniel Baumann. Er greift sich einen Muskateller und nennt weitere Faktoren: "Je gelber die Haut, je leichter eine Beere vom Stielgerüst zu lösen ist und je brauner die Kerne, desto reifer", erklärt er. Dann nascht Baumann an den Beerchen, denn bei Aromen, Geschmack und Konsistenz verlassen sich Winzer auf Zunge und Zähne. Eine weiche Rosine schmeckt besonders lecker, einzelne trockene Hutzeln verwirft er.
Lese jetzt unter Volldampf
"Dieses Jahr ist fast alles kerngesund", berichtet Schiefer. Während letzte Woche nur punktuell geherbstet wurde, gehe es jetzt "mit Volldampf los". Der Lesezeitpunkt hänge von etliche Faktoren ab. Zunächst vom Wetter und damit vom Vegetationsverlauf, wobei sich die Trauben im Trockenjahr 2020 nach dem Regen vor 14 Tagen sehr gut entwickelt hätten. Am frühesten reif seien beispielsweise Neuzüchtungen wie Acolon oder Regent. Danach Dornfelder, Müller-Thurgau oder die Burgundersorten, die fast ein Viertel der 11 300 Hektar großen Württemberger Rebfläche ausmachen.
Die Hauptsorten Trollinger, Riesling und Lemberger folgen heuer bereits Ende September, je nach Lage und Standort. Die Lese richte sich aber auch nach dem Ziel: Für Traubensaft und Sekt sollten die Beeren nicht zu reif sein, auch für einfache Trinkweine nicht, sehr wohl aber für gehobene Tropfen, wobei auch hier "nicht alles ausgereizt wird". Mit der Klimaerwärmung und durch die Mengenreduzierung bestehe die Gefahr der "fetter Alkoholbomben, und das will heute keiner mehr".
Infrarot beim Wein
Mit einem neuen Sensorsystem, der Nah-Infrarotspektroskopie (NIRS), kann die Qualität des Leseguts zusätzlich zu den Oechsle-Graden in Sekundenschnelle ermittelt werden. Dieses System, das die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) in Weinsberg auf den Weg gebracht hat, basiert auf Sensoren, die direkt in die Traubenannahme eingebaut werden und dort mithilfe von Infrarotstrahlen, die durch die Maische geschickt werden, Parameter wie Gluconsäure, Essigsäure, Glycerin und Ergosterin ermitteln. Daraus wird ein Durchschnitt errechnet, der sogenannte "LVWO-Index", der Aufschluss über die Qualität des Leseguts gibt. Über den Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV), namentlich über Beraterin Ute Bader aus Horkheim, wird das Gerät inzwischen auch von einigen Genossenschaften verwendet.
So funktioniert das
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