Baden-Württemberg: Der Neckar verbindet das Land
Baden-Württemberg bildet den Auftakt zur neuen Reihe "Unser Land". Unter diesem Titel werden bis zur Bundestagswahl am 26. September die 16 deutschen Bundesländer aus dem individuellen Blickwinkel wechselnder Redakteure vorgestellt. In vielen Fällen hat der Autor einen engen Bezug zum Land.

Über 367 Kilometer fließt der Neckar durch Baden-Württemberg, von der Quelle in Schwenningen bis zur Mündung in den Rhein bei Mannheim. Auf dieser Strecke überwindet er Hunderte Höhenmeter und ändert seine Gestalt dramatisch. Der Neckar wird vom kleinen Rinnsal zum majestätischen Strom, vom romantischen Fluss bei Tübingen zur großen Schifffahrtsstraße zwischen Plochingen und Mannheim.
Damit steht der Neckar sinnbildlich für die Vielfalt von Baden-Württemberg. "Er hält das Land wie dessen Rückgrat zusammen", findet Rainer Schimpf vom Haus der Geschichte (HdG) in Stuttgart. Dort wird gerade eine Dauerausstellung mit dem Titel "Stadt - Land - Fluss" zum Neckar vorbereitet. Immerhin ein Fünftel der rund 11,1 Millionen Bürger des Landes lebt mit oder am Fluss, sagt der Historiker Jan Trautmann, der für die Umsetzung der Schau zuständig ist.
Neue Stimme-Reihe "Unser Land" geht den Besonderheiten der 16 Bundesländer nach

Der Südwest-Staat bildet den Auftakt zur neuen Stimme-Reihe "Unser Land". Unter diesem Titel werden bis zur Bundestagswahl am 26. September die 16 deutschen Bundesländer aus dem individuellen Blickwinkel wechselnder Redakteure vorgestellt. In vielen Fällen hat der Autor einen engen Bezug zum Land.
Die historische Spurensuche am Neckar beginnt 1444, als Ludwig von Württemberg die Hälfte von Schwenningen kaufte, "wahrscheinlich aus dem Bedürfnis heraus, die Neckarquelle auf seinem Staatsgebiet zu haben", sagt Trautmann. Die Quelle blieb über die Jahrhunderte ein wichtiges Thema. Zur Stadterhebung 1907 wurde der Neckar als Wasserfall über einer Tuffsteinmauer inszeniert wie es damals Mode war. Unter den Nazis mit ihrem "Naturgewaber", wie Rainer Schimpf sagt, wurde dann das Moorgebiet "Schwenninger Moos" zum Ursprung des Flusses erklärt.
Der Neckar wird vom kleinen Rinnsal in Schwenningen zur bedeutenden Schifffahrtsstraße zwischen Plochingen und Mannheim

Die Wirtschaftskraft des Landes ist stark mit dem Neckar verbunden. Der Fluss ermöglichte den Transport von Waren, wie Salz aus Heilbronn, und später auch Rohstoffen und Produktionsgütern, zum Beispiel für die Automobilindustrie. Dabei drohte der Hafen Heilbronn kurz nach der Industrialisierung und der Einführung des Eisenbahnverkehrs im späten 19. Jahrhundert abgehängt zu werden. Es war nicht mehr effizient, die Schiffe mit Pferdegespannen durch die flache Fahrrinne des Neckars zu ziehen, das sogenannte Treideln. Es seien in erster Linie Heilbronner Kaufleute gewesen, die sich damals für die Kettenschifffahrt als Brückentechnologie eingesetzt hätten, erzählt Trautmann.

Wie bei einem Skilift wurden die Schiffe dabei über eine am Grund des Neckars verlegte Kette von Mannheim Richtung Heilbronn gezogen. Die Fahrt zurück erledigte die Strömung von allein. Ab den 1920er-Jahren wurde der Fluss zwischen Mannheim und Heilbronn kanalisiert und damit für die moderne Schifffahrt zugänglich gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte dann der weitere Ausbau bis Plochingen.
Bis zur Kanalisierung wurde der Neckar auch rege als Freizeitgewässer genutzt
In den 1930er-Jahren, das zeigen alte Postkarten-Motive, wurde der Fluss noch rege als Freizeitgewässer genutzt - zum Beispiel im Bereich Untertürkheim, wo sich damals ein Strandbad befand. "Heute ist der Bereich komplett von Industrieanlagen umbaut", sagt Schimpf. Die Sehnsucht nach dem natürlichen, romantischen Fluss und der Nutzung als Freizeitgewässer hat in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt. Zum Beispiel in Stuttgart, wo sich der Verein Neckarwelle e.V. für eine stehende Welle beim Kraftwerk Untertürkheim einsetzt, um den Fluss - wie den Eisbach in München - zum Surfen nutzen zu können.
In Heilbronn haben die Buga und der Ausbau der Neckarmeile die Stadt näher an den Fluss gerückt

Oder in Heilbronn, wo die Stadt durch den Ausbau der Neckarmeile und die Bundesgartenschau dicht an den Fluss gerückt ist. Doch trotz dieser Sehnsucht "gibt es keine offiziellen Badestellen", sagt Schimpf: die Keimbelastung werde als Grund angeführt. Gebadet wird inzwischen trotzdem vielerorts - ob in Horkheim, wo Jugendliche die Neckarinsel als improvisiertes Naturfreibad nutzen, oder in Tübingen, wo in normalen Zeiten jährlich das große Stocherkahnrennen um die Neckarinsel steigt - mit mehr oder weniger freiwilligen Bädern im Fluss.
In der Stadt Hölderlins zeigt sich der Neckar von seiner romantischen Seite. Aber der Schein trügt, wie alte Postkarten beweisen. Auch die Neckarinsel vor der historischen Altstadt-Kulisse ist ein künstliches Gebilde, angelegt zum Hochwasserschutz und um Elektrizität zu erzeugen, erzählt Trautmann. So ist der Neckar über seine 367 Kilometer irgendwie von allem etwas: Naturgewässer, Schifffahrtsstraße, Erholungsstätte, Wirtschaftsfaktor - und Abwasserkanal.
Zur Autorin
Valerie Blass kennt den Neckar vor allem in zwei Funktionen: als Sportstätte der Neckarsulmer Kanuten und als beliebten Treffpunkt aus Tübinger Studientagen.
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