Saarland: Das Herzstück Europas
Das Saargebiet war über mehrere Jahrhunderte der Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland. Heute gilt es wegen seiner vielen Berufspendler und dem gelungenen Strukturwandel als Modellregion für Europa.

Morgens mit dem Auto schnell rüber nach Frankreich oder Luxemburg zur Arbeit fahren - für viele Saarländer ist das Alltag. Das Saarland grenzt im Süden an das französische Département Moselle und im Westen an Luxemburg. Ungefähr 27.000 Berufspendler überqueren täglich die saarländische Grenzen. Damit gehört das kleine Bundesland zu jenen Regionen mit der höchsten grenzüberschreitenden Mobilität in der Europäischen Union. Dieses tägliche "Grenzhopping" ist das Ergebnis eines langen Prozesses.
Grenzland ist meist umstrittenes Gebiet. Die besondere Lage der Saarregion machte sie über Jahrhunderte zum Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland. Für die Saarländer ging es in der Vergangenheit mehrmals hin und her. Heute schätzten die Menschen die nachbarschaftliche Nähe: die Freundschaftsbrücke überquert die Saar und verbindet die saarländische Gemeinde Kleinblittersdorf mit dem lothringischen Grosbliederstroff. Zur Abwechslung mal in den Supermarkt nach Frankreich einkaufen oder in Luxemburg günstig tanken - alles kein Problem.
Französische Spuren im Saarland sind allgegenwärtig

Der französische Fingerabdruck ist unübersehbar, wie die Kleinstadt Saarlouis zeigt, die einst vom französischen Sonnenkönig Ludwig XIV gegründet wurde. Mancher Besucher fragt sich: "Wie reden die denn dort?" Denn auch der saarländische Dialekt ist französisch geprägt. Je nachdem, wie grenznah man sich befindet, gehen Menschen auf dem "trottoir" statt dem Bürgersteig. Ist ein Saarländer erkältet, fühlt er sich "malaad" (franz. malade). Er friert im Winter nicht, er hat kalt (franz. J'ai froid).
Geschafft wurde an der Saar viel. Über Generationen war nahezu jede saarländische Familie geprägt von Steinkohle, Eisen- und Stahlproduktion. Wenn auch heute sowohl die Saargruben, also auch die Eisenproduktion längst eingestellt sind, die Mentalität aus jener Zeit leben die Menschen nach wie vor. "Es ist einfach so typisch für die Saarländer: Hier kennt ma' enner der enner kennt und der helft ennem", sagt Anna Schulz-Comperl, die 30 Jahre lang beim Saarländischen Rundfunk arbeitete und sich beruflich wie privat intensiv mit ihrer Heimat beschäftigt. "Die Menschen verbindet ein sehr starker Zusammenhalt".
Gelungener Strukturwandel

Das Ende des Kohleabbaus und der Eisenproduktion ab Ende der 1960er-Jahre war für die Region schmerzlich aber unausweichlich. Doch der Übergang zur modernen Industrieregion ist gelungen. Die Automobilindustrie mit den dazugehörigen Zulieferern ist heute der wichtigste Wirtschaftszweig. Mit Saarstahl und den Dillinger Hüttenwerken produzieren noch zwei große Stahlunternehmen deutschen Qualitätsstahl für die ganze Welt. Ein chinesischer Batteriehersteller plant im grenznahen Industriepark in Überherren eine Batteriefabrik mit zwei Milliarden Euro Investitionsvolumen. Und sogar Tesla-Chef Elon Musk hatte für seine "Gigafactory" die Region "an der deutsch-französischen Grenze in der Nähe der Benelux-Länder" im Auge, wie er 2018 in einem Tweet schrieb.
An der Universität des Saarlandes hat Unternehmer und Professor August-Wilhelm Scheer die Forschungslandschaft rund um Informatik und künstliche Intelligenz mit exzellenten Einrichtungen als Institution etabliert. Die Politik weiß neben der intensiven Industrieproduktion auch die Schönheit der Region zu nutzen: grüne Hügellandschaften, Urwälder, Wander- und Fahrradwege, Biosphärenreservat, die Saarschleife und der Ferienpark am Bostalsee ziehen von Jahr zu Jahr mehr Besucher an die Saar. Der Tourismus ist zum wichtigen Wirtschaftsstandbein geworden.
Als Annegret Kramp-Karrenbauer 2018 von Angela Merkel in die Bundespolitik berufen wurde, hatte das Stündchen von Tobias Hans geschlagen: Der saarländische Landtag wählte den Neunkirchener zum neuen Ministerpräsidenten. Ein Mann ohne akademischen Abschluss und ohne Berufsausbildung - viele an der Saar rümpften die Nase. Mittlerweile hat sich Tobias Hans bundesweit einen Namen gemacht. Nicht zuletzt, weil er Anfang 2021 mitten im Corona-Lockdown das "Saarland-Modell" ausrief - und es Bürgern damit ermöglichte, mit negativen Corona-Test einkaufen zu gehen. Im Frühjahr setzte er sich vehement für ein offene Grenzen ein. Anna Schulz-Comperl: "Tobias Hans ist im Herzen Politiker und mutig, auch andere Wege zu gehen."
Zur Autorin
Sarah Arweiler ist in Saarbrücken geboren und im Saarland aufgewachsen. Aus beruflichen Gründen verließ sie 2012 Herzens, ihre Heimat. Heute lebt sie mit ihrer Familie im Landkreis Heilbronn. Nächster Serienteil von "Unser Land": Niedersachsen
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