Heilbronn als autofreie Innenstadt - ein Gedankenexperiment
Auf fast allen Straßen stockt der Verkehr, in den kleinen Seitengassen ist kaum noch ein Durchkommen, viele Gehwege sind zugeparkt und Anwohner einfach nur genervt: Autos beherrschen fast überall das Heilbronner Stadtbild. Aber wäre eine autofreie Innenstadt überhaupt machbar? Ein Gedankenexperiment.

Stellen wir uns vor, wir gehen die Heilbronner Gerberstraße entlang. Etwas ist anders: Es ist ruhig, kein einziges Auto fährt die Straße entlang. Wir biegen in die Lothorstraße ein, schauen zuvor routinemäßig nach links und rechts. Einen Fahrradfahrer müssen wir vorbeilassen. Doch ein Auto ist weit und breit keines zu sehen. Keine Motorengeräusche und kein Autoabgase, stattdessen hören wir Menschen plaudern und Vögel zwitschern.
"Heilbronn als autofreie Innenstadt" – diesen Themenvorschlag richtete eine Leserin auf stimme.de an unsere Redaktion. Ist das nur eine Illusion oder könnte es tatsächlich Wirklichkeit sein?
„Komplett autofrei, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Jochen Allgeier. Er ist Professor für Verkehrsbetriebswirtschaft und Personenverkehr an der Hochschule Heilbronn. Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Menschen, wir alle wollen unterwegs sein, um etwas Neues zu sehen und zu erleben. In der heutigen Zeit mehr denn je. Doch wie viel motorisierte Mobilität braucht eine kleine Innenstadt wie Heilbronn?
Neues Mobilitätskonzept
Zunächst die Frage: Welcher Bereich gehört zur Innenstadt? Nimmt man das Mercure Hotel als Startpunkt, geht es im Uhrzeigersinn die Mannheimer Straße entlang, nach rechts zur Allee bis um das Wollhaus herum, von dort aus wieder rechts auf die Rollwagstraße bis zur Götzenturmbrücke, den Neckar entlang bis zum Bollwerksturm. Der private Autoverkehr macht hier täglich den größten Teil auf den Heilbronner Straßen aus, weiß der Mobilitätsexperte.
Ließe sich das reduzieren? Jochen Allgeier ist sich sicher: „Ja. Beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist noch viel Luft nach oben. Er muss nicht unbedingt kostenlos sein. Wohl aber müssen die Angebote attraktiv, unkompliziert und ihr Geld wert sein.“ Das heißt konkret: in der Innenstadt mehr Busse, kürzere Taktungen, mehr Direktverbindungen, mehr Sitzplätze. Kaum jemand ist bereit, sich 15 Minuten in die S-Bahn oder den Bus zu stellen, wenn alternativ ein eigener Pkw mit Sitzheizung und Klimaanlage zur Verfügung steht. „Busse können leicht mit zusätzlichen Linien angepasst werden, die Infrastruktur ist schon vorhanden. Im Schienenverkehr ist das schwieriger.“ Zusätzlich sollten in der Innenstadt die Fußgängerzonen erweitert und die Fahrradwege ausgebaut werden. Außerdem brauchten Fahrradfahrer auch sichere Abstellmöglichkeiten für ihre Räder, meint der Professor. Das Verkehrskonzept im Neckarbogen ist wegweisend, doch auch dort musste an manchen Stellen nachjustiert werden.
Christiane Ehrhardt, Leiterin des Amtes für Straßenwesen bei der Stadt Heilbronn, sieht das ähnlich: "Wichtig ist, das alternative Mobilitätsangebot insgesamt zu stärken und echte Umstiegsoptionen zu bieten." Die Fahrt in die Stadt dürfe mit dem Fahrrad oder dem Bus nicht länger dauern als mit dem Auto und müsse mindestens genauso bequem funktionieren. Im November 2020 hat der Gemeinderat Heilbronn einen Maßnahmenkatalog zur Mobilität in Heilbronn bis 2030 beschlossen, der Änderungen beim Radverkehr, Fußverkehr, ÖPNV, motorisierten Individualverkehr und dem Mobilitätsmanagement beinhaltet. Tilo Elser, Geschäftsführer der Heilbronner Verkehrsbetriebe, bestätigt auf Nachfrage, dass bis zum Jahresende fünf neue Busse angeschafft werden. Sie sind für das Stadtgebiet vorgesehen.
Reizthema Parken
Die Parkplatzkosten in der Heilbronner Innenstadt, speziell jene in den Parkhäusern, sind häufig Anlass hitziger Debatten. "Viel zu teuer, da fahre ich lieber ins Breuningerland nach Ludwigsburg, wo ich nichts fürs Parken zahle", schreiben Facebook-Nutzer auf der Stimme-Facebookseite. Für die ohnehin schon gebeutelten Händler in der Stadt ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Jochen Allgeier hingegen sieht günstige Parkplätze in der Innenstadt kritisch: "Wenn es unser Ziel ist, dass die Menschen häufiger den eigenen Pkw stehen lassen und wir dafür auch den ÖPNV ausbauen, dann wäre es kontraproduktiv, die Parkkosten zu senken." Doch auch Christiane Ehrhardt von der Stadt Heilbronn sieht "eine Kultur des Parkhausparkens" als wichtige Voraussetzung für eine autoarme Innenstadt: "Dadurch lässt sich der Parksuchverkehr in den hochbelasteten Innenstadtquartieren reduzieren und die engen Straßen von parkenden Autos befreien."
Vorhandene Parkflächen außerhalb der Stadt intensiver nutzen
Autofahrer, die von außerhalb in die Innenstadt kommen, könnten die bereits vorhandenen Park’n’Ride-Plätze intensiver nutzen, rät der Verkehrsexperte. Er denkt an die Fläche an der Theresienwiese oder in Neckarsulm an der Heilbronner Straße. Von dort aus sollten Busse in kurzer Taktung zur Innenstadt fahren. Jochen Allgeier: „Die Frage muss lauten: Welche Parkplätze und versiegelte Flächen in Gewerbegebieten gibt es schon? Ließen sich vielleicht auch Parkhäuser aufstocken, die außerhalb liegen? Der Flächenverlust sollte möglichst klein bleiben.“ Die Zabergäubahn zu reaktivieren würde zu diesem Gesamtkonzept unbedingt dazugehören. Für den Verein „Zabergäu pro Stadtbahn“ sind die Chancen für eine Reaktivierung so gut wie nie, auch wenn noch einige Hürden zu nehmen sind.
Allgeier zieht Straßburg in Frankreich als Vorzeigemodell heran, wo die Innenstadt nahezu frei vom privaten Autoverkehr ist. Dort werden Autofahrer vor den Stadtgrenzen auf große Parkflächen umgeleitet. Das Parkticket ist gleichzeitig auch der ÖPNV-Fahrschein für alle Pkw-Insassen. Die Busse und Straßenbahnen fahren eng getaktet, so dass keine langen Wartezeiten entstehen.