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Heilbronn als autofreie Innenstadt - ein Gedankenexperiment

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Auf fast allen Straßen stockt der Verkehr, in den kleinen Seitengassen ist kaum noch ein Durchkommen, viele Gehwege sind zugeparkt und Anwohner einfach nur genervt: Autos beherrschen fast überall das Heilbronner Stadtbild. Aber wäre eine autofreie Innenstadt überhaupt machbar? Ein Gedankenexperiment.

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Die Verkehrssituation in der Gerberstraße in Heilbronn erhitzt immer wieder die Gemüter. Foto: Archiv/Mario Berger
Die Verkehrssituation in der Gerberstraße in Heilbronn erhitzt immer wieder die Gemüter. Foto: Archiv/Mario Berger  Foto: Mario Berger

Stellen wir uns vor, wir gehen die Heilbronner Gerberstraße entlang. Etwas ist anders: Es ist ruhig, kein einziges Auto fährt die Straße entlang. Wir biegen in die Lothorstraße ein, schauen zuvor routinemäßig nach links und rechts. Einen Fahrradfahrer müssen wir vorbeilassen. Doch ein Auto ist weit und breit keines zu sehen. Keine Motorengeräusche und kein Autoabgase, stattdessen hören wir Menschen plaudern und Vögel zwitschern.  

"Heilbronn als autofreie Innenstadt" – diesen Themenvorschlag richtete eine Leserin auf stimme.de an unsere Redaktion. Ist das nur eine Illusion oder könnte es tatsächlich Wirklichkeit sein?

„Komplett autofrei, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Jochen Allgeier. Er ist Professor für Verkehrsbetriebswirtschaft und Personenverkehr an der Hochschule Heilbronn. Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Menschen, wir alle wollen unterwegs sein, um etwas Neues zu sehen und zu erleben. In der heutigen Zeit mehr denn je. Doch wie viel motorisierte Mobilität braucht eine kleine Innenstadt wie Heilbronn?

 


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Neues Mobilitätskonzept

Zunächst die Frage: Welcher Bereich gehört zur Innenstadt? Nimmt man das Mercure Hotel als Startpunkt, geht es im Uhrzeigersinn die Mannheimer Straße entlang, nach rechts zur Allee bis um das Wollhaus herum, von dort aus wieder rechts auf die Rollwagstraße bis zur Götzenturmbrücke, den Neckar entlang bis zum Bollwerksturm. Der private Autoverkehr macht hier täglich den größten Teil auf den Heilbronner Straßen aus, weiß der Mobilitätsexperte. 

 


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Ließe sich das reduzieren? Jochen Allgeier ist sich sicher: „Ja. Beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist noch viel Luft nach oben. Er muss nicht unbedingt kostenlos sein. Wohl aber müssen die Angebote attraktiv, unkompliziert und ihr Geld wert sein.“ Das heißt konkret: in der Innenstadt mehr Busse, kürzere Taktungen, mehr Direktverbindungen, mehr Sitzplätze. Kaum jemand ist bereit, sich 15 Minuten in die S-Bahn oder den Bus zu stellen, wenn alternativ ein eigener Pkw mit Sitzheizung und Klimaanlage zur Verfügung steht.  „Busse können leicht mit zusätzlichen Linien angepasst werden, die Infrastruktur ist schon vorhanden. Im Schienenverkehr ist das schwieriger.“ Zusätzlich sollten in der Innenstadt die Fußgängerzonen erweitert und die Fahrradwege ausgebaut werden. Außerdem brauchten Fahrradfahrer auch sichere Abstellmöglichkeiten für ihre Räder, meint der Professor. Das Verkehrskonzept im Neckarbogen ist wegweisend, doch auch dort musste an manchen Stellen nachjustiert werden. 

 


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Christiane Ehrhardt, Leiterin des Amtes für Straßenwesen bei der Stadt Heilbronn, sieht das ähnlich: "Wichtig ist, das alternative Mobilitätsangebot insgesamt zu stärken und echte Umstiegsoptionen zu bieten." Die Fahrt in die Stadt dürfe mit dem Fahrrad oder dem Bus nicht länger dauern als mit dem Auto und müsse mindestens genauso bequem funktionieren. Im November 2020 hat der Gemeinderat Heilbronn einen Maßnahmenkatalog zur Mobilität in Heilbronn bis 2030 beschlossen, der Änderungen beim Radverkehr, Fußverkehr, ÖPNV, motorisierten Individualverkehr und dem Mobilitätsmanagement beinhaltet. Tilo Elser, Geschäftsführer der Heilbronner Verkehrsbetriebe, bestätigt auf Nachfrage, dass bis zum Jahresende fünf neue Busse angeschafft werden. Sie sind für das Stadtgebiet vorgesehen.

 


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Heilbronn: Leere Parkhäuser und zugeparkte Straßen


Reizthema Parken

Die Parkplatzkosten in der Heilbronner Innenstadt, speziell jene in den Parkhäusern, sind häufig Anlass hitziger Debatten. "Viel zu teuer, da fahre ich lieber ins Breuningerland nach Ludwigsburg, wo ich nichts fürs Parken zahle", schreiben Facebook-Nutzer auf der Stimme-Facebookseite. Für die ohnehin schon gebeutelten Händler in der Stadt ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Jochen Allgeier hingegen sieht günstige Parkplätze in der Innenstadt kritisch: "Wenn es unser Ziel ist, dass die Menschen häufiger den eigenen Pkw stehen lassen und wir dafür auch den ÖPNV ausbauen, dann wäre es kontraproduktiv, die Parkkosten zu senken." Doch auch Christiane Ehrhardt von der Stadt Heilbronn sieht "eine Kultur des Parkhausparkens" als wichtige Voraussetzung für eine autoarme Innenstadt: "Dadurch lässt sich der Parksuchverkehr in den hochbelasteten Innenstadtquartieren reduzieren und die engen Straßen von parkenden Autos befreien."   

Vorhandene Parkflächen außerhalb der Stadt intensiver nutzen

Autofahrer, die von außerhalb in die Innenstadt kommen, könnten die bereits vorhandenen Park’n’Ride-Plätze intensiver nutzen, rät der Verkehrsexperte. Er denkt an die Fläche an der Theresienwiese oder in Neckarsulm an der Heilbronner Straße. Von dort aus sollten Busse in kurzer Taktung zur Innenstadt fahren. Jochen Allgeier: „Die Frage muss lauten: Welche Parkplätze und versiegelte Flächen in Gewerbegebieten gibt es schon? Ließen sich vielleicht auch Parkhäuser aufstocken, die außerhalb liegen? Der Flächenverlust sollte möglichst klein bleiben.“ Die Zabergäubahn zu reaktivieren würde zu diesem Gesamtkonzept unbedingt dazugehören. Für den Verein „Zabergäu pro Stadtbahn“ sind die Chancen für eine Reaktivierung so gut wie nie, auch wenn noch einige Hürden zu nehmen sind.

Allgeier zieht Straßburg in Frankreich als Vorzeigemodell heran, wo die Innenstadt nahezu frei vom privaten Autoverkehr ist. Dort werden Autofahrer vor den Stadtgrenzen auf große Parkflächen umgeleitet. Das Parkticket ist gleichzeitig auch der ÖPNV-Fahrschein für alle Pkw-Insassen. Die Busse und Straßenbahnen fahren eng getaktet, so dass keine langen Wartezeiten entstehen.


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Kommentare

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Steffen Pommerening am 14.01.2022 12:38 Uhr

Weniger Verkehr in den Innenstädten das ist das einzige was meiner Meinung nach auf Dauer sinnvoll und wünschenswert ist. Als Innenstadt sehe ich dabei nicht nur den Stadtkern direkt um die Fußgängerzone, sondern einen viel weiträumigeren Bereich.
Um dies zu erreichen und überhaupt zu ermöglichen, benötigt man einen perfekt abgestimmten, flexiblen Personennahverkehr - als Zukunftsaussicht vielleicht sogar führerlos, da es ja wohl nicht genug Personal hierfür gibt - und einen Parkraum an jeder Haupt-Einfallstraße, bereits in den Außenzonen bzw. Randgebieten.
Kostenlose, ausreichend dimensionierte Parkmöglichkeiten im Außenbereich (3-6km außerhalb des Zentrums) und einen attraktiven Pendelverkehr in geringen Taktzeiten würde sicher keiner ausschlagen, wenn der Zeitaufwand und die Kosten gering sind.
Womöglich funktioniert das ganze nämlich mal wieder nur über den Geldbeutel. Stellt man sich mal folgendes Szenario vor: das Parken in der Innenstadt ist sehr teuer, der Weg in die Innenstadt führt über in eine womöglich stadtmautpflichtige Straße welche noch dazu nur in Schrittgeschwindigkeit befahren werden darf... Wohl keiner würde dann den kostengünstigen Parkplatz mit direkter Shuttle-Anbindung ausschlagen. Noch dazu, wenn die Parkplatzsuche dort keine Minute dauert, das Fahrzeug gewaschen und die Batterie des Hybrid- oder Elektrofahrzeugs vollgeladen werden kann.
Anders gesagt: Außerhalb der Innenstadt zu parken muss für jeden einzelnen ein attraktiver Mehrwert sein.
Dass jeder Einwohner des Stadt- und Landkreises das Bedürfnis hat gelegentlich mit dem eigenen Fahrzeug bis vor ein Einkaufszentrum zu fahren um dort evtl. kurzfristig eine Besorgung zu machen oder sperrige Gegenstände einzuladen ist klar. Aber dies muss eben auch auf die absolut notwendigen Male beschränkt werden. - Vielleicht bekommt man dafür ja 5-10 Frei-Mautscheine im Jahr wenn man einen PKW im Stadt- und Landkreis zugelassen hat?
Als letzten Punkt darf man natürlich nicht vergessen, wie viele Fahrzeuge eigentlich nur in die Stadt fahren, um durch dieselbe hindurch zu kommen. Es gibt genügend Pendler, die auf die gegenüberliegenden Seite der Stadt oder in eine dortige Landkreisgemeinde fahren.
Die Nord-Süd Verbindung in Form der Neckartalstraße ist ein gelungenes Beispiel solche Verkehrsströme zu bündeln. In allen anderen Richtungen fehlen aber solche Hauptverkehrsadern, die Verkehrslast aus der Stadt bringen.
Dass ein dezentrale Parken funktioniert, hat unter anderem auch die BUGA im Jahr 2019 gezeigt.
Heilbronn hätte sicher die Chance als Musterstadt mit einer soliden, zukunftsweisenden, intelligenten Verkehrspolitik zu fungieren wenn man dies will.

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Michael Seher am 19.10.2021 09:43 Uhr

Wenn es der Leserin in der Stadt zu laut und aufregend ist, kann Sie ja aufs Land umziehen. Niemand wird gezwungen, in der Stadt zu leben. Heilbronn ist und wird eine Autostadt bleiben, dafür kämpfe ich als Stadtrat.
Man denke nur an die vielen Jobs, die auch indirekt an der Automobilindustrie hängen. Das ist das gewichtige Argument.
Michael Seher
Stadtrat Heilbronn

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Philipp Krebs am 26.03.2023 21:14 Uhr

Ich finde es toll, wenn hier sogar jemand aus der Politik zu Wort kommt, wirklich Respekt dafür!
Ich finde nur, Autostadt und Autoindustrie schließen doch überhaupt nicht aus, dass gewisse Nebenstraßen beruhigt werden.

Ich finde auch dass man zb bei Theresienwiese und Freibad Gesundbrunnen umsonst parken sollte wie früher.
Außerdem das man besser am HBF Mal jemand abholen kann. Das wäre sowohl Auto als auch ÖPNV freundlicher.
Tempo 40 generell finde ich auch nicht angemessen überall, nur weil es in Stuttgart so ist, heißt das nicht das man es hier nachmachen müsste. Von soleo bis Europaplatz ist es generell unnötig da dort sowieso niemand wohnt und die Strase breit genug ist...

Nun, ich würde in teilen trotzdem widersprechen: in der gerberstr und angrenzend ist es wirklich unschön, was den Fremdenverkehr angeht. Durch viel sinnlose parkplatzsuche. Durch die enge der Straßen ist es einfach wahnsinnig laut. Ich hab selbst Mal eine Wohnung dort besichtigt.

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am 19.10.2021 09:06 Uhr

Hört sich toll an,leider fehlen in der Speditions- und Beförderungsbranche schon jetzt Fahrer.
Das ist mit eines der Hauptprobleme, das die eigentlich gute Idee von engerer Taktung und mehr Busse auf die Straße zu bringen zum Scheitern verurteilt. Denn kaum jemand wird bereit und finanziell im Stande sein um die 10000€ für einen Bus bzw. Lkw Führerschein auf zubringen, um dann einen sehr nervenaufreibenden,unterbezahlten Job anzunehmen. Da müßen die Arbeitsverhältnisse schon besser angepasst werden.

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