Stimme+
Verhandlung am Landgericht
Lesezeichen setzen Merken

Tödlicher Unfall in der Wollhausstraße: Heilbronner Raserprozess bewegt die Menschen

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Der Raserprozess nach dem tödlichen Unfall in der Wollhausstraße dauert schon ein halbes Jahr. Immer wieder geht es im Gerichtssaal emotional zur Sache. Im April soll nun das Urteil fallen.

Vor rund einem Jahr passierte der tödliche Unfall in der Wollhausstraße. Foto: Archiv
Vor rund einem Jahr passierte der tödliche Unfall in der Wollhausstraße. Foto: Archiv  Foto: Berger

"Wegschließen und nie wieder einen Führerschein" − Kommentare wie diese prägen die Diskussion in den sozialen Medien zu diesem Prozess. Auch Drohungen und Beleidigungen gegen den Angeklagten und dessen Familie machen auf Facebook und Co. die Runde. Es gibt Stimmen, die dem Beschuldigten offenbar das Recht auf einen faires Prozess absprechen und Gerichte für zahnlose Tiger halten.

Im Gerichtssaal ist die Stimmung angespannt. Der Prozess wurde von Beginn an emotional und mit harten Bandagen geführt. Der Raser-Prozess vor dem Heilbronner Landgericht erregt in der Region so viel Aufmerksamkeit wie vielleicht zuletzt der Mordprozess gegen den Bäcker von Siegelsbach vor knapp 20 Jahren.


Tödlicher Unfall in der Wollhausstraße: Mit rund 97 Stundenkilometern in Mercedes gekracht

Fest steht, dass der heute 21 Jahre alte Angeklagte am 12. Februar 2023 mit seinem BMW in der Wollhausstraße mit rund 97 Stundenkilometern in den Mercedes einer Familie gekracht ist, die gerade aus einer Tiefgaragenausfahrt fuhr. Der Familienvater starb. Seine Frau und die beiden Kinder wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Staatsanwaltschaft klagt den türkischen Staatsbürger unter anderem wegen Totschlags und dreifachen versuchten Totschlags an. Der Vorsitzende Richter Alexander Lobmüller gab zum Prozessauftakt den rechtlichen Hinweis, dass auch Mord und dreifacher versuchter Mord infrage kommen könnte. Ende Januar wiederholte der Richter den Hinweis.

Seit Mitte August muss sich der Beschuldigte vor der Jugendkammer des Heilbronner Landgerichts verantworten. Rund ein halbes Jahr später sollte eigentlich das Urteil gesprochen werden. Statt Plädoyers von Anklage und Verteidigung gab es am vergangenen Wochenende neue Zeugen. Das anberaumte Urteil am 16. Februar ist auf 10. April verschoben.

Immer wieder legten Prozessbeteiligte jedes Wort auf die Goldwaage. Richter und Anwälte fuhren sich gegenseitig in die Parade. "Sie überfordern den Zeugen", warf Anwältin Anke Stiefel-Bechdolf dem Richter während dessen Zeugenbefragung vor. "Da wissen Sie ja, wovon Sie reden", konterte Lobmüller. Auch die Anwälte der Nebenkläger und die Verteidiger des Angeklagten lieferten sich immer wieder einen Schlagabtausch. Jedes Wort wurde seziert. So dass Fragen an Zeugen mitunter umformuliert werden mussten.

Raserprozess Heilbronn: Am Landgericht geht es heftig zur Sache

Höhepunkt war die Verhandlung Anfang Januar, als sich der beisitzende Richter Markus Schönberger und einer der beiden Anwälte des Angeklagten, Stefan Lay, auf offener Bühne gegenseitig angeschrien haben. Lay schlug dabei mit der Faust auf den Tisch. Jede Gelegenheit werde genutzt, um seinen Mandanten in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. In der darauffolgenden Sitzung bat der Verteidiger zwar um Entschuldigung. Im selben Atemzug sagte Lay aber auch, dass er einen faires Urteil nicht mehr für möglich halte, weil Richter Schönberger entweder lüge oder dem Prozess nicht aufmerksam folge.

Richter Lobmüller drohte Zeugen während der Verhandlung mehrfach mit Erzwingungshaft. Weil die Zeugen offenbar nicht mit der Wahrheit herausrücken wollten. Dabei handelte es sich unter anderem um die Freundin des Angeklagten, die bei dem Unfall auf dem Beifahrersitz saß, sowie einen Cousin, der den Eindruck erweckte, als kenne er den Angeklagten kaum.

 


Mehr zum Thema

Stimme+
Verhandlung am Landgericht
Lesezeichen setzen

Heilbronner Raserprozess: Chronologie eines aufsehenerregenden Falles


Heilbronner Raserprozess: Tränen beim Abspielen von Tonaufnahmen des tödlichen Unfalls

Emotional war auch die Vernehmung der Witwe des getöteten Familienvaters. Auch der Tochter des Todesopfers blieb eine Aussage nicht erspart. Sie wurde per Audiokonferenz in den Gerichtssaal zugeschaltet. Und schließlich wühlten die Tonaufnahmen des tödlichen Unfalls die Angehörigen auf. Tränen flossen. Die Witwe verließ mit psychologischer Begleitung den Saal.

Akribisch stellte der Verkehrssachverständige Andreas Förch mögliche Unfallszenarien vor. Die Auswertungen des Airbag-Steuergeräts und des Fehlerspeichers des 313 PS starken BMW ließen mehrere Varianten zu. Am Ende kam der Sachverständige zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte den Unfall aufgrund seiner viel zu hohen Geschwindigkeit nicht mehr verhindern konnte, als er den herausfahrenden Mercedes erstmals sehen konnte.

Heilbronner Raserprozess: Angeklagter war bereits vor dem Unfall im Straßenverkehr auffällig 

Der Angeklagte war schon vor dem Unfall in der Wollhausstraße im Straßenverkehr auffällig. Durch Driften, durch zu schnelles Fahren und nicht zuletzt auch durch zwei Unfälle, die er mit zu hoher Geschwindigkeit und Überfahren einer roten Ampel ohne Führerschein mit einem Motorrad und später mit einem Auto verursacht hat. Auch ein Seminar musste der Angeklagte noch vor dem Unfall in der Wollhausstraße absolvieren, weil er zu schnell gefahren ist.

Weil der Angeklagte zum Unfallzeitpunkt 20 Jahre alt war, könnte er juristisch nach Paragraf 105 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) noch als Heranwachsender beurteilt und entsprechend nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Voraussetzung dafür ist, dass er in seiner Entwicklung als reifeverzögert eingestuft wird. Sowohl die Heilbronner Jugendgerichtshelferin Karin Nees als auch der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiater Professor Michael Günter attestierten dem Angeklagten, dass seine Entwicklung nicht der eines Erwachsenen gleichkomme. Die Anwälte der Nebenklage stellten das Gutachten des Psychiaters allerdings infrage.

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben