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Unfall in der Wollhausstraße
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Raser-Prozess in Heilbronn: Warum sich der Urteilsspruch verzögert

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Eigentlich sollten am Freitag die Plädoyers im Prozess um den tödlichen Unfall in der Wollhausstraße gehört werden. Doch daraus wird nichts. Die Anwältin der Nebenkläger zweifelt das Gutachten eines Kinder- und Jugendpsychiaters an. Zudem sollen weitere Zeugen gehört werden.

Der sogenannte Raser-Prozess zieht sich in die Länge. Am 12. Februar verursachte der Angeklagte einen tödlichen Unfall in der Wollhausstraße.
Der sogenannte Raser-Prozess zieht sich in die Länge. Am 12. Februar verursachte der Angeklagte einen tödlichen Unfall in der Wollhausstraße.  Foto: Seidel\, Ralf

Nächster Paukenschlag im sogenannten Raser-Prozess vor dem Heilbronner Landgericht: War das Gutachten des Tübinger Kinder- und Jugendpsychiaters Professor Michael Günter eine Einschätzung mit Ansage? So jedenfalls interpretierte die Anwältin der Opfer-Familie, Elisabeth Unger-Schnell, am Mittwoch das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen.

Raser-Prozess in Heilbronn: Psychiater attestiert Angeklagtem erhebliches Reifungsdefizit

Am vorangegangenen Prozesstag hatte der Professor dem 21 Jahre alten Angeklagten ein "erhebliches Reifungsdefizit attestiert". Seiner Meinung nach müsste der Beschuldigte, der am 12. Februar vergangenen Jahres mit knapp 100 Stundenkilometern in der Wollhausstraße einen tödlichen Unfall verursacht hat, nach Jugendstrafrecht beurteilt werden.

Dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen könne nicht gefolgt werden, sagte Unger-Schnell. Die Anwältin der Nebenkläger geht vielmehr von einer Befangenheit des Professors aus.


Zu welchem Schluss der Gutachter in seinem Aufsatz kommt

Unger-Schnell bezieht sich dabei auf einen Aufsatz des Kinder- und Jugendpsychiaters über "Entwicklungpsychologische Erkenntnis und gutachterliche Praxis" aus dem Jahr 2008. Darin plädierte der Professor dafür, "aus theoretischen wie aus pragmatischen Gründen nach wie vor für eine Regelung, nach der Heranwachsende generell dem Jugendgerichtsgesetz unterworfen werden". Heranwachsende nicht generell dem Jugendgerichtsgesetz zu unterwerfen, "ist weder mit den vorhandenen entwicklungspsychologischen Forschungsergebnissen noch mit den Gleichbehandlungsgrundsätzen vereinbar", so Günter in seinem Aufsatz weiter.

Opfer-Anwältin: Gutachter fehlt die "notwendige Objektivität"

Für die Anwältin spricht sich der Professor damit gegen geltende gesetzliche Regelungen aus. Sie sprach ihm die "notwendige Objektivität" bei der Erstellung seines Gutachtens ab, das offenbar ergebnisorientiert erstellt worden sei. Stand das Ergebnis des Gutachtens also bereits vor der Untersuchung des Angeklagten fest?

Fakt ist, dass der Angeklagte mehrfach nachweislich beim Gespräch mit dem Professor nicht die Wahrheit gesagt hat. Und damit das Gutachten zahlreicher Anknüpfungstatsachen entbehre. Allgemein durchgeführte Test reichten laut Unger-Schnell für eine Begutachtung nicht aus. Der Professor hatte auf Nachfrage des Richters bei der Vorstellung seines Gutachtens auf diese Tests verwiesen. "Das genügt nicht den Standards", so Unger-Schnell weiter.

Verteidigerin sieht in Angriff auf den Gutachter einen ungeheuren Vorwurf

Die Verteidigerin des Angeklagten, Anke Stiefel-Bechdolf, sprach von "einem ungeheuerem Vorwurf". Man müsse darüber nachdenken, "ob man den gescholtenen Professor noch einmal hört, damit er zu der Anschuldigung Stellung beziehen kann". Zuvor hatte Stiefel-Bechdolf zu verhindern versucht, dass Unger-Schnell Stellung zum psychiatrischen Gutachten nehmen darf. Ihrer Auffassung nach komme die Wortmeldung zum Gutachten des Professors zu spät.

Es folgte eine von mehreren Verhandlungsunterbrechungen. Der Prozesstag, der eigentlich nur eine Stunde dauern sollte, zog sich bis in die Abendstunden. Die Stimmung im Gerichtssaal war einmal mehr gereizt. Unter anderem bezeichnete Anke Stiefel-Bechdolf die Hinterbliebenen, die als Nebenkläger auftreten, als "schwarze Wand". "Meine Mandantin trägt so lange Schwarz wie sie will", konterte Unger-Schnell, die die Witwe und die Kinder des beim Unfall getöteten Familienvaters als Nebenkläger vertritt.

Raser-Prozess zieht sich weiter in die Länge

Eigentlich sollten am kommenden Freitag die Plädoyers gehört werden. Jetzt lädt das Gericht neue Zeugen. Hintergrund: Stiefel-Bechdolf wies darauf hin, dass der Vater des Angeklagten über mehrere Personen vergeblich versucht habe, Kontakt zu den Unfall-Opfern aufzunehmen. Um sein Beileid auszusprechen und wirtschaftliche Hilfe zu leisten. Das habe zwar mit der Schuld des Angeklagten "überhaupt nichts zu tun", so der Vorsitzende Richter. Die Personen, die den Kontakt vermitteln sollten, würden dennoch gehört.

Damit zieht sich der Prozess weiter in die Länge. Der Urteilsspruch war für den 16. Februar terminiert. Jetzt sucht das Gericht nach neuen Terminen bis in den April hinein.

 

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