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Mord oder Totschlag?
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Nach tödlichem Unfall in Wollhausstraße: Wann ein Mordurteil infrage käme

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Der Prozess um den tödlichen Raser-Unfall in der Heilbronner Wollhausstraße hat begonnen. Vor allem eine Frage steht im Fokus: Hat der Fahrer einen möglichen Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf genommen?

Der mutmaßliche Raser, der im Februar für einen tödlichen Unfall in der Wollhausstraße verantwortlich sein soll, muss sich seit Dienstag vor dem Landgericht verantworten.
Foto: Christiana Kunz
Der mutmaßliche Raser, der im Februar für einen tödlichen Unfall in der Wollhausstraße verantwortlich sein soll, muss sich seit Dienstag vor dem Landgericht verantworten. Foto: Christiana Kunz  Foto: Kunz, Christiana

War es Totschlag? Oder war es womöglich sogar Mord und dreifacher versuchter Mord? Welcher Beschuldigung sich der Angeklagte im Verlauf des Prozesses vor dem Heilbronner Landgericht wird stellen müssen, lässt sich nach dem ersten Verhandlungstag maximal erahnen.

Am 12. Februar dieses Jahres soll der türkische Staatsbürger, der in Heilbronn geboren ist, mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit in der Wollhausstraße einen Unfall verursacht haben, bei dem ein 42-jähriger Familienvater ums Leben kam. Die Ehefrau und zwei Kinder wurden verletzt, die Witwe des Verstorbenen bezeichnet den Unfall im Stimme-Interview als das "Ende einer fröhlichen Familie.

Prozess um Raser in Heilbronner Wollhausstraße: Forderungen der Staatsanwaltschaft

Am Dienstagvormittag legte die Staatsanwaltschaft dem 21-jährigen Heilbronner vor der zweiten Großen Jugendkammer unter anderem Totschlag sowie dreifachen versuchten Totschlag zur Last. Laut Staatsanwältin Christiane Triaa soll der Angeklagte kurz nach 17 Uhr mit seinem BMW von der Allee in die Wollhausstraße eingebogen sein. Dabei habe er zunächst auf 70 Stundenkilometer beschleunigt und dabei beinahe eine Passantin überfahren, die über einen Zebrastreifen gelaufen ist. Weil die Frau erkannt habe, dass sie von dem heranrasenden BMW erfasst worden wäre, begann sie laut Anklagevertreterin zu rennen.

Laut Anklage konnten Opfer nicht reagieren

Aber anstatt die Geschwindigkeit auf die vorgeschriebenen 40 Stundenkilometer zu drosseln, habe der Beschuldigte weiter beschleunigt - obwohl er spätestens ab diesem Zeitpunkt die "konkrete Gefahrenlage" habe erkennen müssen. Wenig später sei er mit "mindestens 97 Kilometern pro Stunde ungebremst" gegen den Mercedes der Opferfamilie geknallt, die ordnungsgemäß und mit angemessener Geschwindigkeit aus einer Ausfahrt in die Wollhausstraße gefahren ist. Die Opfer hätten keine Möglichkeit gehabt zu reagieren.


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Unfallrisiko laut Staatsanwältin nicht zu kalkulieren

"Andere Autofahrer und Fußgänger waren ihm völlig gleichgültig", sagte die Staatsanwältin. Immerhin sei der Beschuldigte ortskundig. Ihm sei bewusst gewesen, dass in der Wollhausstraße maximal Tempo 40 gefahren werden darf. Darüber hinaus gebe es auf dieser langen geraden Straße mehrere Fußgängerüberwege sowie einmündende Straßen und Ausfahrten. Die Wahrscheinlichkeit zu kollidieren, sei unkalkulierbar gewesen, so die Staatsanwältin. Dem Beschuldigten habe klar sein müssen, dass seine Fahrweise zum Tod eines Menschen führen könne.

Nach der Anklageverlesung wies der Vorsitzende Richter Alexander Lobmüller darauf hin, dass sich aus der Beweisführung auch ein Urteil wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes ergeben könnte. Dafür müsste das Gericht im juristischen Sinne ein sogenanntes Mordmerkmal nachweisen. Konkret nannte Lobmüller für diesen Fall, dass die Verhandlung Aufschluss darüber geben werde, ob der Angeklagte heimtückisch gehandelt hat.

Schutzlose Menschen überrascht

Um einen solchen Nachweis zu führen, genüge es nicht, dass der Angeklagte bei der Tat mit einem "nicht unerheblichen Unfall" rechnen musste, bei dem er den Tod eines Menschen billigend in Kauf nehmen würde. Zu prüfen sei vielmehr auch, ob die Unfallopfer nichts ahnend, arglos und deshalb ihm vollkommen wehrlos ausgeliefert waren. Für diesen Fall hätte der Angeklagte schutzlose Menschen mit seiner Tat überrascht.

Der Prozess erregte bereits im Vorfeld große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Eine gute halbe Stunde vor Prozessbeginn hatte sich eine Schlage vor dem Gerichtsgebäude gebildet. Ein Reihe von Medienvertretern gehörte ebenso dazu wie Familienangehörige des Opfers und des Beschuldigten.

Sieben Nebenkläger bei der Verhandlung

Sieben Nebenkläger haben mit ihren Anwälten in den Sitzreihen Platz genommen. Der Angeklagte und seine Strafverteidigerin Anke Stiefel-Bechdolf mussten dorthin ausweichen, wo sonst in den Strafprozessen die Sachverständigen Platz nehmen. Längst nicht alle Interessierten fanden Platz im Großen Saal des Landgerichts.

Am Dienstag, 5. September, erhält der Angeklagte die Möglichkeit, sich zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache zu äußern. Bereits einen Tag später, am Mittwoch, 6. September, stehen Zeugenaussagen auf dem Programm.

Jugendkammer

Der tödliche Unfall in der Heilbronner Wollhausstraße ereignete sich am 12. Februar dieses Jahres. Weil der Angeklagte zur Tatzeit 20 Jahre alt war, gilt er im Sinne des Gesetzes als Heranwachsender. Damit fällt die Anklage der Staatsanwaltschaft in die Zuständigkeit der zweiten Großen Jugendkammer am Landgericht Heilbronn. Der inzwischen 21-jährige Beschuldige befindet sich 17. Februar in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim.

Anklage

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Heilbronn hat sich der 21-jährige Angeklagte des Totschlags in Tateinheit mit dreifachem versuchtem Totschlag schuldig gemacht. Darüber hinaus wirft die Anklagebehörde dem Beschuldigten gefährliche Körperverletzung in drei Fällen sowie eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Zudem sei er ungeeignet, ein Fahrzeug zu führen. Die zweite Große Jugendkammer des Heilbronner Landgerichts hat 29 Zeugen und drei Sachverständige geladen. Für den Prozess hat die Kammer zwölf Verhandlungstage angesetzt.

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