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Verhandlung am Landgericht
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Heilbronner Raserprozess: Gereizte Stimmung im Gerichtssaal – Aussage zu weiterem Unfall

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Richter und Anwalt schreien sich bei der Verhandlung zum tödlichen Unfall in der Wollhausstraße gegenseitig an. Eine Zeugin berichtet von einem anderen Unfall, bei dem der Beschuldigte geflüchtet ist. Die Jugendgerichtshelferin äußert sich zur Reife des Angeklagten.

Nach dem tödlichen Unfall am 12. Februar 2022 muss sich der Fahrer des weißen BMW vor dem Heilbronner Landgericht verantworten.
Foto: Archiv/Seidel
Nach dem tödlichen Unfall am 12. Februar 2022 muss sich der Fahrer des weißen BMW vor dem Heilbronner Landgericht verantworten. Foto: Archiv/Seidel  Foto: Seidel\, Ralf

Der 21 Jahre alte Angeklagte im sogenannten Raserprozess vor dem Heilbronner Landgericht hatte vor dem tödlichen Unfall am 12. Februar 2023 in der Wollhausstraße bereits mehrere Verkehrsunfälle. In der mehr als acht Stunden dauernden Verhandlung erzählte eine 23 Jahre alte Weinsbergerin am Mittwoch, wie der Angeklagte im Juni 2019 mit einem Motorrad an der Kreuzung Weinsberger Straße/Allee bei Rot über die Ampel gefahren, in ihr Auto gekracht und schließlich abgehauen sei.

Der Beschuldigte hat zudem im Herbst 2022 ein Aufbauseminar wegen überhöhter Geschwindigkeit absolviert, wie der Seminarleiter berichtete. Nur wenige Monate später raste der damals 20 Jahre alte türkische Staatsbürger mit seinem BMW mit rund 100 Stundenkilometern in den Mercedes einer Familie. Der Vater war sofort tot.


Raserprozess in Heilbronn: Anwalt schlägt mit der Faust auf den Tisch

Die Stimmung in diesem Prozess ist nach wie vor gereizt. Am Nachmittag schrien sich einer der Anwälte des Angeklagten, Stefan Lay, und der Beisitzende Richter Markus Schönberger an. Dabei schlug Lay mit der Faust auf den Tisch. "Hier wird immer versucht, den Angeklagten in ein möglichst schlechtes Licht zu stellen", schrie Lay. Anlass war eine angebliche Formulierung des Vorsitzenden Richters Alexander Lobmüller. Hintergrund: Nach dem Unfall in der Weinsberger Straße soll der Vater des Angeklagten bei der Weinsbergerin versucht haben, den Schaden ohne Anzeige zu regeln. "Weil der Angeklagte sonst erst später seinen Führerschein bekommen würde", sagte die Zeugin.

Hat die Familie des Beschuldigten die Weinsbergerin demnach aufgefordert, gedrängt oder gebeten, den Unfallschaden ohne Anzeige zu regeln? "Sie können das in einem ganz normalen Ton klären. Haben wir uns verstanden?", schrie Richter Schönberger zum Anwalt zurück.

Jugendgerichtshelferin: Angeklagter ist im Verborgenen ein Rebell

Wenig später bescheinigte Jugendgerichtshelferin Karin Nees dem Angeklagten, dass er noch stark in die Familie eingebunden sei. Besonders von seiner Mutter habe er sich nicht abgenabelt. "Von einer eigenständigen Lebensführung kann nicht gesprochen werden", so Nees. Er sei freundlich und gut erzogen. "Im Verborgenen ist er ein Rebell, nach außen angepasst."

Sobald die Sprache auf Autos komme, lege sich beim Angeklagten ein Schalter um, so die Jugendgerichtshelferin. Beim Autofahren tobe er sich aus. Ihrer Meinung nach sei der Angeklagte nach Jugendstrafrecht zu beurteilen. Die rechtliche Würdigung sei Sache der Kammer, erwiderte der Vorsitzende Richter Lobmüller. Dabei scheint das Gutachten des hinzugezogenen Tübinger Kinder- und Jugendpsychiaters und Psychotherapeuten Professor Michael Günter offenbar in die gleiche Richtung zu gehen.

Als Jugendgemeinderat nur bei einem Drittel der Sitzungen dabei

Bereits in den vorangegangenen Verhandlungen hat die Beweisführung Indizien offenbart, dass der Beschuldigte im Gespräch mit dem Professor nicht immer die Wahrheit sagte. Auch am Mittwoch ergaben sich Widersprüche. So hatte der Angeklagte gesagt, er habe in seiner Zeit als Jugendgemeinderat an jeder Sitzung teilgenommen, weil sein Vater das so gewollt habe. Laut Protokollen war er nur bei etwa einem Drittel der Sitzungen dabei.


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Auch bei der Begründung, warum seine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker bei einem Heilbronner BMW-Händler 2022 bereits nach dem ersten Lehrjahr endete, ergaben sich Widersprüche. Er habe sich nicht wohl gefühlt, weil er der einzige Türke gewesen sei, hatte der Angeklagte offenbar angegeben. Tatsächlich wurde der Vertrag nicht verlängert, weil er 300 Stunden in der Berufsschule nicht erschienen ist. Dass der Angeklagte nicht nur gefehlt, sondern auch zu spät in den Unterricht gekommen ist, sagte dessen damaliger Berufsschullehrer. Wenn er kam, sei das Motorheulen bis ins Klassenzimmer zu hören gewesen. "Fünf Minuten später war er dann im Unterricht", so der Lehrer.

Direkt nach Unfall in Wollhausstraße: Angeklagter telefoniert mit Freund

Seit Mitte August 2022 läuft der Prozess gegen den 21 Jahre alten Angeklagten vor dem Heilbronner Landgericht. Im Februar 2022 krachte der Beschuldigte in der Wollhausstraße mit rund 100 Stundenkilometern in das Auto einer Familie. Der Familienvater starb. Die Ehefrau und die beiden Kinder wurden verletzt.

Noch am Unfallort telefonierte der Angeklagte mit einem Freund. Dabei sei es darum gegangen, ob der Beschuldigte verletzt sei und sein Auto einen Fehlerspeicher habe. Das sagte der Freund am Mittwoch im Gericht. Mit solchen Speichern lassen sich in Teilen Unfälle rekonstruieren.

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Kommentare

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Günther Knapp am 25.01.2024 09:39 Uhr

Fahrzeuge, die unter der Führung von "keinesfalls geistig Erwachsenen" zur tödlichen Waffe werden können, sind gerade für diese Klientel leicht zu beschaffen! Wer ist mit daran beteiligt, dass sich der Unfallfahrer ein solches teures Fahrzeug leisten konnte? Wer in der Innenstadt wohnt und auch öfters abends dort ausgeht, der sieht und hört immer wieder wie Protzer ihre PS-Untersätze aufheulen lassen und auch kurze sinnlose Spurts auf den Straßen hinlegen.
Es ist leider nicht möglich, dass seitens der Polizei hier rechtzeitig eingegriffen werden kann.
Der Unfallfahrer, der nicht nur durch den Tod des Vaters eine ganze Familie ins Unglück stürzte, hat auch für sich selbst eine unsägliche Situation geschaffen.
Eine lange Haftstrafe für ihn sollte auch ein Signal für andere unvernünftige Raser werden!

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