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Ein Hotel, das nie einen Gast gesehen hat

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In der Nähe von Besançon sollte ein Urlaubsresort für Tausende Gäste entstehen. Es ist nur zu einem wirklich verwunschenen Ort geworden. Der unerfahrene Investor wollte einst seinen Traum verwirklichen, und blieb dabei auf der Strecke.

Überall in „Les Tuileries“ zeigt sich, wie aufwendig und liebevoll alles gebaut wurde. Heute erobert sich das Buschwerk das Gelände zurück.
Überall in „Les Tuileries“ zeigt sich, wie aufwendig und liebevoll alles gebaut wurde. Heute erobert sich das Buschwerk das Gelände zurück.  Foto: Gleichauf, Christian

Das mächtige, eiserne Tor quietscht, wie man es aus einem klassischen Horrorfilm kennt. Doch kein Grund sich zu fürchten: Es ist nicht der Eingang zu einem verlassenen Schloss, es ist keine neblige Nacht, nicht einmal ein Schild warnt vor dem Eintritt. Doch es eröffnet sich dahinter eine verwunschene Welt. So viele Fragen wirft sie auf. Und nur einige davon lassen sich im Nachhinein beantworten.

Quietschend öffnet sich das Tor. Dahinter eine verwunschene Welt.
Quietschend öffnet sich das Tor. Dahinter eine verwunschene Welt.  Foto: Amelie Gleichauf

Wie in Paris um das Jahr 1900

Die Neugier wird bei vielen auf einer Kanutour auf dem Flüsschen Ognon geweckt. Bei Pont sur L'Ognon in der Franche-Comté zwischen Besançon und Belfort thront ein altes Ausflugslokal über dem Fluss, das auf den ersten Blick wie ein Vorkriegsgebäude aussieht. Sprossenfenster, in denen jede Glasscheibe zerbrochen ist, und Verzierungen, deren Stil nicht in die vergangenen 70 Jahre zu passen scheint.

Das Gebäude entpuppt sich als ein einstmals nobles Restaurant mit Bühne und großem Kamin im Gastraum, geschmückt von Jugendstil-Malereien und allerhand Stuck.


Die Zerstörungswütigen haben hier ganze Arbeit geleistet. Wie ein mehr als 100 Jahre altes Gebäude sieht es aber nicht aus. Dreiadrig ist die Verdrahtung in den herausgerissenen Steckdosen, das gab es damals nicht, die Verrohrung sieht aus wie neu.

Hinweise auf einen Themenpark aus den 1990er Jahren

Hinweise geben Prospekte, die in einem repräsentativen Empfangsgebäude in großer Zahl auf dem Boden liegen. Die "Domaine les Tuileries", ist dort zu lesen, widme sich dem Thema "Paris 1900".

Das Restaurant Jules Verne, das Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre bereits in Betrieb und das Highlight der Anlage war.
Das Restaurant Jules Verne, das Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre bereits in Betrieb und das Highlight der Anlage war.  Foto: Gleichauf, Christian

30 Hektar soll das Gelände umfasst haben, zwölf Gebäude. Abgebildet ist ein Foto des inzwischen so traurig erscheinenden "Restaurant Jules Verne", perfekt eingerichtet, Besteck und Gläser auf den Tischen. Und dann steht dort zu lesen: "Dieses ,Vier-Jahreszeiten-Zentrum" wird im Frühjahr 1994 eröffnet."

Was ist passiert? Die Frage treibt fast alle um, die auf dem Gelände unterwegs sind. Und das sind nicht wenige. Vor allem Deutsche, einige Franzosen, Familien und Lost-Places-Fotografen versuchen, diese eigenartige Welt mit ihren Kameras einzufangen.

Einige haben ein paar Dinge im Internet zusammengeklaubt. Genaue Hintergründe aber kennt niemand. Es braucht wohl die Einheimischen, um etwas mehr zu erfahren.

Der französische Tüv machte den Plänen einen Strich durch die Rechnung

Claudine Dupont (Name geändert) hat die Anfänge der Anlage als junge Frau erlebt, war auf einigen Tanzveranstaltungen auf dem Gelände Ende der 80er Jahre. Im kleinen Rahmen begann es zu erwachen. Hochzeiten wurden gefeiert. "Es war ja viel größer geplant", erzählt sie.

Hier geht es nicht weiter, will man mit einem Fehltritt nicht im Fluss enden.
Hier geht es nicht weiter, will man mit einem Fehltritt nicht im Fluss enden.  Foto: Gleichauf, Christian

Doch dann: Als das Hotel sicherheitstechnisch abgenommen werden sollte, sei plötzlich klar geworden: Brandschutz und ähnliche Themen hat der Bauherr einfach nicht beachtet. "Die Regeln hier sind sehr streng", sagt die Frau.

Der Bauherr, das war Roger Mougin. Er wollte an dem Ort, wo er seine Kindheit verbracht hatte, einen Traum verwirklichen. Claudine Dupont hatte später einmal Kontakt mit ihm. "Er war schon ein wenig eigenartig", erinnert sie sich. Er habe einfach ein Projekt durchgezogen, das viel zu groß für ihn war. Mougin starb 2017 verarmt und hinterließ seiner Familie nichts.

Vom Tischlerlehrling zum Großinvestor

Seine Millionen hatte der Mann in den 80er und 90er Jahren in das Projekt gesteckt - offenbar ohne größere Erfahrung als Hotelier oder Immobilienentwickler. Er hatte seine Berufslaufbahn als Tischler begonnen und es bis zum Geschäftsführer eines großen Möbelhauses gebracht, einer Filiale der bis heute bekannten französischen Conforama-Kette.

Mit seinem Vermögen wollte er dann etwas Außergewöhnliches auf die Beine stellen, den Themenpark am Ognon. Er dachte groß und war verliebt ins Detail. Die Überreste seines Schaffens illustrieren das. Ein triumphbogenähnliches Gebilde sollte die Sportler begrüßen, dahinter finden sich Flutlichtanlagen für Tennisplätze, die nicht fertiggestellt wurden.

Auf der anderen Flussseite steht ein riesiger Glockenturm im Zentrum der Anlage. Es gibt zahlreiche weitere Türmchen - mit Zwiebelspitze, aber ohne Funktion. Und er schuf Platz zum Tanzen ohne Ende: hier für 100 Leute, da für 300 oder dort für 500 Leute, je nach Bedarf. Bis heute eine schöne Vorstellung, hier so viele glückliche Menschen zu sehen.

Der Tourismus boomte in der Region

Die Idee kam Mougin zu einer Zeit, als die gesamte Region im Aufbruch war. Das "Pays de Villersexel" war Ziel zahlreicher Touristen vor allem aus Deutschland, der nahe Campingplatz erlebte seine Hochzeit. Auch das Gebäude am See neben dem Campingplatz zeugt von einem Tourismus, den es so nicht mehr gibt.

Und so sah es einmal aus: alte Prospekte zuhauf, teils auf Französisch, teils auf Deutsch.
Und so sah es einmal aus: alte Prospekte zuhauf, teils auf Französisch, teils auf Deutsch.  Foto: Ulrike Vetter

Zwar ist die Gegend bis heute vor allem bei Südbadenern als nahes Urlaubsziel beliebt. Doch Zigtausende mehr hätten hier jedes Jahr Urlaub machen sollen, sobald der Themenpark seine Tore öffnete. So weit kam es allerdings nie. Die Hotelzimmer sahen nie einen offiziellen Gast, erzählt Claudine Dupont.

Und immer wieder der Vandalismus

Was sie gesehen haben, war Zerstörung. Eine Gruppe aus Deutschland ist an diesem Tag nicht in der Lage, die Aggression eines jungen Mannes aus ihren Reihen zu bändigen. Es werden Ziegel aus dem Dach gebrochen, Gegenstände aus Fenstern und durch Räume geworfen. Sie wollen nichts wissen vom Ehrenkodex der Lost-Places-Community: alles so belassen, wie man es vorfindet.

Andere Chaoten hatten offenbar irgendwann auch die Idee, ein altes Auto in die Ruine des Schwimmbads zu fahren und anzuzünden. Kontrolliert wird wenig, wie es scheint. Zu groß ist wohl das Gelände, irgendwer findet irgendwo einen Zugang.

Und wieder gibt es Pläne

Trotzdem könnte es bald vorbei sein mit dem verlorenen Park am Ognon. Es gibt Verhandlungen über einen Verkauf des Geländes an eine Investorengruppe. Gerüchten zufolge ist der Plan, einige der Gebäude für Firmenevents oder Konferenzen wieder herzurichten. Womöglich könnten einige der Hotelzimmer sogar Platz für die Beschäftigten bieten. Die ersten offiziellen Gäste? Doch schon oft hätte hier anderes entstehen sollen in den vergangenen 25 Jahren. Mal sehen, ob es diesmal etwas wird. Die Gegend hätte es verdient.

 

 
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