Lost Places finden und festhalten: Zeigen, wo die Zeit stehen geblieben ist
Verlassene Gebäude fotografieren: Der Neckarsulmer Gerhard Hölzel hat durch sein Hobby als Lost Places-Fotograf schon viele Gänsehautmomente erlebt.

Statt den Fotoapparat hat Gerhard Hölzel auch manchmal das Telefon in der Hand: Immer dann, wenn der Dahenfelder mal wieder bei einer seiner Radtouren eine Scheune oder ein Haus entdeckt hat, das leer steht und das er von innen fotografieren möchte. Dann versucht Gerhard Hölzel in Detektivarbeit herauszufinden, wem das Gebäude gehört. Sein Ziel: die Erlaubnis, das Haus zu betreten.
Der Neckarsulmer liebt es, sogenannte Lost Places abzulichten. Das Verlassene, das Geschichten erzählt, festzuhalten. Volle Einmachgläser stehen im Regal, das Steingut-Geschirr auf dem Tisch. Die Betten sind bezogen. Gerade so, als ob die Bewohner nur mal kurz zum Einkaufen weg wären. Nur die Spinnweben, der Staub und die Tageszeitung auf dem Tisch zeigen, wie lange diese Idylle schon keine mehr ist: Darin geht es um die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Das war im Jahr 1986. Der 70-Jährige bekommt jetzt noch Gänsehaut, wenn er daran zurück denkt. "So was bekommt man natürlich nicht alle Tage vor die Linse." Doch sogar die Region bietet immer wieder verlassene Gehöfte oder andere Gebäude, die jahre- oder sogar jahrzehntelang einfach verfallen.
Sogar in seinem Heimatort Dahenfeld kennt er eines. Noch ist er dran, sich dafür die Erlaubnis zu holen. Nicht immer hat er die tatsächlich auch in der Tasche. In Frankreich zum Beispiel, hat er schon einige Lost Places auch illegal besucht. "Da sehen sie das alles etwas lockerer." So wie in einem Schloss bei Nancy. Ein gut in der Lost-Places-Szene vernetzter Bekannter ist noch extremer als er und kommt immer wieder mit neuen Zielideen ums Eck. Also auf ins nächste Abenteuer, ab nach Nancy. Das Schloss ist vollkommen mit Efeu zugewachsen. "Es war wie ein Märchenschloss." Nur quer durchs Gebüsch finden die beiden Unterländer einen Weg auf die Rückseite des Schlosses und dort einen Zugang. "Diese Pracht innen war unglaublich." Hölzel gerät ins Schwärmen - vom filigranen Geländer, den Deckenfresken. Auf der Bühne finden sie alte Seemannskisten und sogar Briefe. Wichtig ist ihm aber zu betonen: "Es gilt unter den Lost-Places-Fotografen der Ehrenkodex, nichts mitzunehmen oder zu zerstören." Auch werden nie genaue Koordinaten der Örtlichkeiten öffentlich ins Netz gestellt. "Denn dann kommen die Vandalen. Dann ist schnell alles kaputt."
Vergangenes zumindest in Bildern festzuhalten, oft bevor es endgültig verschwindet: Das treibt den ehemaligen Wirtschaftsingenieur und aktiven Heimatreporter des Bürgerportals meine.stimme an. In Schwaigern hat er so das ehemalige Gasthaus Rössle verewigt. Wochenlang versucht er die Besitzerin davon zu überzeugen, dass er das Hausinnere ablichten darf. Oder die ehemalige Holzhandlung Hügel in Neuenstadt: "Das war ein El Dorado." Heute ist der einstige Besitzer froh, diese Zeitdokumente zu haben. Das Haus gibt es nicht mehr."
Dass seine Exkursionen nicht immer ungefährlich sind, kommt in den Erzählungen des verheirateten Vaters zweier Söhne immer wieder raus. Er ist immer mit großer Handlampe und Stirnlampe ausgestattet und er rät: "Man sollte bei diesen Aktionen immer zu zweit unterwegs sein."
Serie Lost Places
In loser Folge stellt die Redaktion vergessene Orte in der Region und darüber hinaus vor. Und sie geht der Frage nach, wie aus "Lost Places" mit Mut und Kreativität Neues entstehen kann.
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