Der vergessene Mönchsee-Tunnel im Heilbronner Osten
Ein 168 Meter langer Tunnel leitete einst Wasser vom Pfühlpark zum Heilbronner Mönchsee. Er ist selbst Heilbronnern unbekannt, die unweit dieses Gangs aufgewachsen sind. Ein Stimme-Redakteur ist in den schwer zugänglichen "Mönchseegang" hinabgestiegen und gibt Einblick.

Der honorige Bürger möchte anonym bleiben und sein Geheimnis nicht an die große Glocke hängen. Erstens würden ihn zu viele kennen, zweitens fürchtet der Rentner einen "zu großen Auflauf, zu viele Neugierige, und das kann ich nicht brauchen". Die Heilbronner Stimme respektiert den Wunsch des Witwers, nennt weder Namen, noch Wohnstraße und die Lage nur vage, soweit es eben möglich ist.
Zugang im Niemandsland
Als wir den 75-Jährigen in seinem schmucken, Mitte der 1980er-Jahre gebauten Domizil im Heilbronner Osten besuchen, begrüßt er uns freundlich. "Kommen Sie, ich zeige es Ihnen gleich." Er betritt die Garage und öffnet eine Metalltür, die ins Leere zu führen scheint. Das Gelände fällt vier Meter ab, überall Bäume, Sträucher, Hölzer, Vogelgezwitscher. Ein kleiner Urwald inmitten der Großstadt. Über die Stufen zweier umgedrehter U-Steine betreten wir das Niemandsland, das durch Nachbargebäude, umzäunte Gärten und einen Bahndamm begrenzt wird.
Alte Sandsteine geben Halt
"Da ist der Grenzstein, bis hierher gehört es mir." Vorsichtig arbeitet sich der Rentner einen kleinen Abhang hinunter, muss sich an Ästen festhalten, wankt, bis er schließlich trittfest zum Stehen kommt. "Hier ist der Eingang." Über zwei im Erdreich sitzende Mauern aus behauenen Sandsteinquadern liegt eine große Steinplatte. "Früher war noch eine drauf, die hat sich ein Nachbar geholt." Drei, vier glitschige Stufen führen nach unten, ins Dunkel, überall Moss, Moder, Spinnfäden. Unser Gastgeber zaubert drei Taschenlampen hervor, vor uns überall Unrat, verrostete Blechteile, eine Margarinenschachtel, undefinierbarer Müll. Ratten?
1,20 Meter auf 72 Zentimeter

"Vorsicht! Kopf einziehen." Als wir das Haupt im Bücken etwas heben, blicken wir in ein schmales Sandsteingewölbe, der Meterstab ist schnell zur Hand, 1,20 Meter hoch, 72 Zentimeter breit - aber wie lang? Weiter als vier Meter kann ein Erwachsener kaum vordringen. Denn "irgendjemand hat da mal eine Zwischenwand eingezogen". Immerhin hat ein anderer ein großes Loch herausgebrochen. Die Taschenlampe gibt einen langen Gang frei. Wohin er führt? Der 75-Jährige weiß es nicht genau. "Jedenfalls unter meiner Garage weiter. Fast hätte ich mir hier einen Weinkeller eingerichtet, aber das wäre zu teuer gekommen."
Er spricht ständig vom "Mönchsgang". Dies tun auf Nachfrage auch manche Nachbarn, wobei andere nie etwas davon gehört hätten. Selbst Stadthistoriker und Journalisten, die unweit davon wohnen oder gar aufgewachsen sind, ist dieser Gang völlig unbekannt. Anders Manfred Epple, der unweit davon in einem sogenannten Bahnarbeiterhaus aufwuchs. "Ich bin schon als kleiner Bub rein, auch mit einem Spielkameraden", berichtet der heute 59-Jährige, "aber irgendwann sind wir im Schlamm steckengeblieben, da war Feierabend".
Ende an der Siebennussbaumstraße
Im Bereich der Siebennussbaumstraße seien Bagger vor Jahren bei Tiefbauarbeiten auf den Ausgang gestoßen, hätten ihn aber, da der Tunnel keine Funktion mehr hatte, zugeschüttet. Epple spricht vom "Mönchseegang", so wie das in der mündlichen Überlieferung seiner Familie üblich sei.
Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg
Und tatsächlich: Ein Aufsatz von Werner Heim in der damaligen Stimme-Beilage "Schwaben und Franken" vom 19. Oktober 1968 belegt, dass es sich bei dem vergessenen Tunnel, der im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker diente, um den Zulauf zum einstigen Mönchsee handelt. Heim beschreibt die Lage des 168 Meter langen Stollens zwischen Pfühlpark und Siebennussbaumstraße.
In ihm habe sich eine Wasserleitung befunden, die über die Karlstraße weiterführte und den Mönchsee speiste, also den anno 1465 angelegten, aber schon 1524 trockengelegten Fischteich des Karmeliterklosters. Das Gewässer lag östlich der Altstadt, war zwölf Hektar groß und ist Namensgeber fürs dortige Gymnasium, die Sporthalle, eine Straße - und für den vergessenen Tunnel.

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In loser Folge stellt die Redaktion vergessene Orte in der Region und darüber hinaus vor. Und sie geht der Frage nach, wie aus "Lost Places" mit Mut und Kreativität Neues entstehen kann.
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