Der letzte Rest der Gundelsheimer Konservenfabrik
Das markante Backsteingebäude am Ortseingang von Gundelsheim steht seit fast 20 Jahren leer. Nun planen Investoren den Umbau.

Es ist eine Tour in die Vergangenheit. In eine Zeit, als zehn Liter Kräuteressig 8,72 Mark kosteten. Als Porzellansicherungen in Verteilerkästen steckten. Als auf der Sanitätsstation Krankenakten noch von Hand ausgefüllt wurden. Zerrissene Werbetafeln liegen auf dem Boden, Lieferscheine, Lohnzettel, Arbeitsnachweise. Irgendjemand hat wohl ein paar Kisten aus der Buchhaltung übersehen. Und so kann jeder in der Geschichte der Konservenfabrik Gundelsheim und ihrer Mitarbeiter blättern. Zumindest jeder, der sich den Schlüssel besorgt hat.
Ein Meer aus Glasscherben
Dabei ist der erste Eindruck sehr ernüchternd. Vom Eingang an der Seite gelangt der Besucher dieses Lost Place in einen Raum, der wohl mal Teil der Verwaltung war. Ein ausgeschlachteter Computertorso liegt an der Wand, daneben eine ramponierte Schreibmaschine. Und: Glasscherben. In der gesamten ersten Etage knirscht es bei jedem Schritt. Zerschlagene Flaschen, eingeworfene Fenster, zertrümmerte Glasbausteine und Monitor-Bildschirme. Ohne Sicherheitsschuhe sollte sich keiner hier hinein wagen. Papierfetzen, Zigarettenpackungen jüngeren Datums - erkennbar an den Horror-Bildern -, Rohre, Eisengestelle. Die Türzargen sind herausgerissen, die Neonröhren und die Stromkabel sind weg: Es ist nur noch der nackte Rohbau, der sich vor einem erstreckt.
Ein letztes Glas Meerrettich
Dabei atmet das Gebäude Geschichte. Hier war zuletzt der Lagerverkauf der traditionsreichen Konservenfabrik untergebracht. Einige Werbeplakate sind noch übrig, und wer sich genau umschaut, entdeckt noch ein volles, ungeöffnetes Glas Meerrettich - MHD: 15.06.2006. Einige Jahre nach der Schließung der Fabrik 2001 konnten die Menschen aus Gundelsheim und Umgebung hier noch ihre geliebten Sauerkonserven einkaufen. Dann machte der Eigner, der Kühne-Konzern, auch diesen letzten Rest dicht, mittlerweile gibt es selbst die Marke Gundelsheimer nicht mehr.
Im Keller stand das Hochwasser
Seit dem Aus für den Werksverkauf ist das Gebäude dem Zerfall preisgegeben. Möbel gibt es fast nicht mehr, nur ein paar einsame Stühle, teilweise schwer beschädigt. Die beiden Tresore im zweiten Stock stehen offen, die halb herausgezogenen Schubfächer hängen schief in ihren Halterungen. Ganz oben, unter dem Dach, war offenbar das Ersatzteillager. Hier liegen noch schwere Gummibänder aufgerollt, auch Kettenbänder für Produktionsmaschinen oder Maschendraht. Einzelne Aktenordner, der Inhalt ist auf dem Boden verstreut, leere Pappkartons "Kuehne Holsteiner Fassgurken 45 EW 480 Stueck". Im Untergeschoss haben Unbekannte an einem Feuerchen gesessen. Dass hier auch das Neckar-Hochwasser stand, zeigt sich nicht nur an den Marken an den Wänden und Betonstützen: In einem hölzernen Regal im Treppenhaus liegt zentimeterhoch der Schlamm, inzwischen getrocknet und in Scherben zersprungen. In einem anderen Raum im zweiten Geschoss hat die Werksleitung zuletzt unkonventionell dafür gesorgt, dass er als dunkles Lager genutzt werden konnte - sie ließ die Glasbaustein-Fenster schwarz streichen. Inzwischen ist aber die Farbe zum größten Teil abgeblättert.
Oben, im Dachgeschoss, lässt sich dann erahnen, was aus diesem Gemäuer werden könnte. Der lichtdurchflutete Raum erstreckt sich über die gesamte Etage, Holzbalken tragen die Konstruktion. Ideal für ein Loft, ein stylisches Restaurant, eine Werbeagentur. Es muss nur jemand alles wieder instandsetzen.
Alte Werkshallen wurden abgerissen
Und in der Tat - es gibt einen Investor. Eine Gruppe von drei Geschäftsleuten der Immobilienbranche hat Grundstück und Gebäude Ende 2020 von der Stadt erworben. Inzwischen wurden die alten Werkshallen zur Heilbronner Straße hin abgerissen. Nur der markante Schornstein steht noch. Zwei Wohngebäude sollen entstehen, der historische Backsteinbau soll wieder nutzbar gemacht werden. Dann hat sich auch die Botschaft erledigt, die ein Lost-Places-Fan für jene hinterließ, die sogar noch die Scheiben am Fahrstuhl einschlagen mussten: "Ihr Junks! Es ist ein Lost Place!"
Geschichte
920 wurde die Schwäbische Conservenfabrik Hofmann & Ziegler in Gundelsheim gegründet. 1930 wurde sie vom Berliner Essig-Fabrikanten Kühne übernommen. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg seine ostdeutschen Standorte verlor, baute er Gundelsheim zu einem Zentrum für Sauerkonserven aus. In den 50er Jahren arbeiteten zeitweise 650 Männer und Frauen auf dem weiträumigen Gelände beiderseits der Heilbronner Straße, 1100 Bauern und Kleingärtner lieferten ihr Gemüse ab. In den 90er Jahren folgte aber der Niedergang, 2001 wurde das Werk geschlossen, der Werksverkauf lief noch einige Jahre weiter. Die Gebäude östlich der Heilbronner Straße wurden bereits 2006 abgerissen, heute befinden sich dort ein Lidl-Markt und Wohnhäuser.
Serie Lost Places
In loser Folge stellt die Redaktion vergessene Orte in der Region und darüber hinaus vor. Und sie geht der Frage nach, wie aus "Lost Places" mit Mut und Kreativität Neues entstehen kann.
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