Bunkerwald Waldstetten: Früher Waffenlager, heute Lost Place
28 Betonbauten im Wald über der Gemeinde Waldstetten dienten den Amerikanern als Waffenlager während des Kalten Kriegs. Noch heute zeugen sie von einer Zeit, in der ein Atomkrieg schon einmal eine reale Bedrohung darstellte. Warum sich Mythen um die Anlage ranken und was mit ihr passieren soll.

Zufällig stößt wohl niemand auf die Bunkeranlage, die sich bei Waldstetten in die Bäume gräbt. Oberhalb der Gemeinde im Ostalbkreis lagerten Waffen und Vorräte der Amerikaner während des Kalten Krieges. Heute überwintern in mehreren der Betonbauten Fledermäuse, andere stehen leer und zeugen von einer Zeit, in der ein Atomkrieg schon einmal eine reale Bedrohung darstellte.
Die Geschichte des Bunkerwalds beginnt im Dritten Reich. Um am Fuße des Hornbergs ein Militärgelände zu errichten, enteignet die Wehrmacht Grundstücksbesitzer in Waldstetten. Daraus wird wegen des nahenden Kriegsendes nichts, doch die Grundstücke gehen später in den Besitz der Bundesrepublik über. 1954 beginnen die Amerikaner, auf dem Gelände 28 Bunker in die Höhe zu ziehen. Vier Jahre lang mischen Arbeiter einer Frankfurter Firma Beton und gießen ihn in Schalwände.
Lange ist unklar, was genau gebaut wird
Weil das Gelände eingezäunt ist, weiß die Bevölkerung nicht, was genau in dem Waldstück gebaut wird, erinnert sich Rainer Barth. "Das war Top Secret, eine Genehmigung brauchten die nicht." Lediglich eine Bleistiftskizze aus dem Archiv des Kreisbauamts verrät ihm später die Ausmaße der 30 Hektar großen Anlage. Der 79-Jährige aus Ellwangen war viele Jahre Bürgermeister in Waldstetten. Heute ist er Vorstand des Heimatvereins, der das Andenken an die Bunkeranlage pflegt und Führungen organisiert.
Ganz im Verborgenen blieb der Bunkerbau jedoch nicht. Eine Familie eröffnet in dem Wäldchen einen Kiosk und verkauft Zigaretten und Bier an die Bauarbeiter. Einige von ihnen lassen sich später im Ort nieder und gründen Familien. "Die haben gemerkt: Die schönsten Frauen gibt es in Waldstetten", scherzt Barth.
All das weiß er aus Erzählungen, weil er die Nachfahren der Bauarbeiter zu einem Treffen eingeladen hat. Mit dabei war der kommandierende US-General Raymond Haddock. Er berichtet damals, dass die verfeindete Sowjetunion durchaus um die Bunkeranlage in Waldstetten wusste. "Genauso wussten wir aber, wo die sowjetischen Bunker stehen."
Munition, Gewehre und Lebensmittel - Atomare Sprengköpfe aber wohl nicht
Zum Schutz der Bevölkerung sollten die Bunker nicht dienen. Stattdessen lagert dort Material für die Kasernen in Göppingen und Mutlangen/Schwäbisch Gmünd, damit es bei Angriffen auf die Standorte geschützt ist. Später verrät Haddock, was sich in den Bunkern stapelte: große Mengen Munition, Gewehre, Lebensmittel, Uniformen und Teile von Pershing-Raketen.
Atomare Sprengköpfe seien offiziell nie darunter gewesen, erzählt Barth. Ganz ausschließen will er das aber nicht. Schließlich seien die Sprengköpfe Teil einer mobilen Einheit gewesen, um ihren Standort zu verschleiern. "Bundeswehr-Offiziere haben mir später gesagt, die seien auch hier gesehen worden. Ich vermute, man wollte die Waldstetter beruhigen."
Was die Amerikaner bauten, holt sich heute die Natur zurück
1987 räumten die Amerikaner die Bunker. Zurück blieben Erdnussdosen und ein Teil einer Panzerkette, sonst stand die Anlage leer. Im Laufe der Zeit hat sich die Natur das Gelände zurückgeholt. Die sechs Meter breite Einfallsstraße, über die die Amerikaner Güter in die Anlage schafften, kann man nur noch erahnen. Die Bunker säumen den Wegesrand, jeder steht leicht versetzt im Dickicht des Waldes. Aus dem Grün, das auf den Dächern gepflanzt wurde, sind Bäume geworden. Durch die offenen Metalltüren fällt der Blick auf abgeblätterten Putz, Graffiti und etwas Laub. Rainer Barth freut sich vor allem über den Sound. "Hier haben Sie ein Echo, fast wie im Kölner Dom."
Acht Bunker sind mit einem großmaschigen Gitter zugesperrt, damit Fledermäuse hier überwintern können. Die Naturfreunde Schwäbisch Gmünd beobachten die Tiere seit den 90er Jahren. "Das wird gut angenommen", sagt Barth. Abseits dessen sei einer der Bunker mal Schauplatz einer Abi-Party gewesen, verrät der 79-Jährige, der seit sieben Jahren regelmäßig Besucher durch die Anlage führt. Die Bunker anderweitig zu nutzen, ist derzeit aber nicht geplant. Möglich wäre es aber, findet Rainer Barth. "Die halten nochmal 100 Jahre."
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