Bauernhaus von 1837 erzählt Geschichten vom Reparieren und Bewahren
Seit knapp zehn Jahren steht ein altes Bauerhaus mitten im Bretzfelder Teilort Weißlensburg leer.

Über der großen Türe ist die Jahreszahl eingeritzt. 1837 steht da. Damit gehört das Haus mitten im Bretzfelder Teilort Weißlensburg zu denen, die beim Malen der ersten Karte des Weilers schon standen. Wenigstens zum Teil. Denn mit den Jahren und zunehmendem Wohlstand wurde Stück für Stück angebaut. Knapp zehn Jahre steht das Haus nun aber leer. Die hölzernen Fensterläden sind zu. Durch einige gebrochene Streben fällt Licht ins Haus.
Zuletzt hat hier die Bas gelebt. Mit ihren weißen Haaren und der Strickjacke über der Kittelschürze hat sie oft aus dem Fenster über der Tür runter auf die Straße geschaut. Hat ein Schwätzle gehalten mit denen, die vorbeikamen. Im Winter hat sie ihre rote Jacke übergezogen. Wenigstens dann, wenn sie einige Meter die Straße hoch lief, um dort mit der Nachbarin zu reden. Ihr Mann war lange schon tot. Die drei Kinder groß. Als der älteste Sohn auch ausgezogen war, lebte sie alleine mit dem Onkel, ihrem Schwager, in dem Haus. Viele Jahre. Er mit Cord-Hut auf dem Kopf, meist in der Werkstatt beim Holzmachen oder um Sachen zu reparieren. Sie in der Küche oder in der guten Stube. Als sie ins Pflegeheim musste, lebte er noch einige Jahre allein in dem viel zu großen Haus. Dann starb auch er. Seither ist der Ofen kalt.
Verwinkelt ist der Grundriss. Um in die Zimmer zu kommen, mussten alle entweder durch die Küche oder das Wohnzimmer, oft auch durch ein anderes Schlafzimmer. In den Räumen über dem Gewölbekeller ist der Boden schief und wellig. Die Tapeten tragen noch aufgemalte Bordüren. In anderen Räumen wurde in den 1970er Jahren renoviert. Da hängen bedruckte Tapeten mit Waldmotiv an den krummen Wänden. Eine rote Porzellanlampe war zu der Zeit letzter Schrei. Jetzt bricht sich das Abendlicht in dem dicken Glas.

Damals wurde sicher auch das hellblaue Bad eingebaut. Zwei Waschbecken, Wanne, Dusche sogar. Lange hat hier niemand mehr das Wasser laufen lassen. Die Badewanne ist ganz stumpf vom vielen Scheuern. Auf dem Thermostat steht der Name des beauftragten Sanitärbetriebs. Den gibt es im Nachbarort noch heute.
In der Küche zeigt es 8.42 Uhr an. Dabei ist längst Abend. Rührlöffel und Tauchsieder liegen auf dem Küchenbuffet. Die Schübe für Mehl und Zucker hängen schief im Regal. Auf dem Tisch steht der Albrecht-Kaffee. Den hat der Onkel wohl gern getrunken. Woher der Deko-Rabe stammt? Man weiß es nicht. Dass die Bas gern Liebesromane gelesen hat, das aber ist nicht zu übersehen. Überall liegen Stapel mit den gelben Bastei-Heften. Daneben auch alte Kontoauszüge, Briefe und Postkarten von den Enkelkindern.

Im Schlafzimmer steht noch der Frisiertisch. Zugeklappt. Der Spiegel sieht noch aus wie neu. Der Schrank ist noch voll. Die rote Jacke, die sie so gern getragen hat in den letzten Wintern, sie ist noch da. Auch die braune Stoffhose mit dem bequemen Bund. In der Ecke steht die Nähmaschine. Eine, die mit dem Fuß angetrieben werden muss. Lange wurde sie nicht benutzt. Auch der Radioschrank, ein Kuba, ist noch da. Ein Fuß ist abgebrochen. Nichts also, was Jochen Scheuber, der das Haus vor etwa sieben Jahren gekauft hat, nicht reparieren könnte mit seinen geschickten Händen.

Viel repariert wurde auch in der Vergangenheit. Das beweisen das Schaukelpferdchen und der große Pferdestall, der für die Kinder zum Spielen gebaut wurde. Beide stehen nun auf dem geräumigen Dachboden. Inmitten von Stapeln mit Eierkartons und leeren Truhen. Von den Decken hängen Seile und Ketten, Siebe, alte Säcke. Gewaschen und fein säuberlich in die Truhe gestapelt. Denn: Man weiß ja nie, was man noch brauchen kann. Denn eines ist sicher: Die Bewohner dieses Hauses haben schon viel erlebt in den vergangenen Jahrzehnten. Schöne Weihnachten und weniger üppige. Davon erzählen die Weihnachtskugeln, die vergessen in ihrem Karton liegen, die niemand haben wollte.
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