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Ein Radfahrer, viele Regeln

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Beim Radfahren schaut Dieter Setzer genau hin. Er beschäftigt sich mit Vorschriften und misst auch mal selbst nach, wie breit ein Radweg ist. Der Heilbronner Radverkehrsbeauftragte erteilt einigen Wünschen eine Absage.

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Es dauert nicht lange, bis Dieter Setzer das erste Vergehen beobachtet. Eine Frau fährt entgegen der Fahrtrichtung auf dem Gehweg. „Völlig falsch“, sagt Setzer und schüttelt den Kopf. Der 78-Jährige beschäftigt sich viel mit den Regeln für Radfahrer. Jeden Tag beobachtet er in der Cäcilien- und Wilhelmstraße, wie diese Regeln gebrochen werden. „Ich bin Rentner, ich habe die Zeit.“

Dass Radfahrer auf dem Gehweg fahren, sieht er ständig. Vor kurzem hatte ihn der Fahrer eines Elektrofahrrads fast über den Haufen gefahren. Auch an diesem Tag muss Setzer eingreifen und ermahnt einen jungen Mann, nicht auf dem Gehweg zu fahren. „Du musst hier laufen!“ Dieser nickt nur, steigt ab und schiebt. Doch nicht immer würden die Regeln aus bösem Willen gebrochen, findet Setzer. „In Heilbronn wird vieles einfach nicht zu Ende gedacht.“

Nicht jeder darf auf den Gehweg

Zum Beweis schwingt er sich aufs Fahrrad, natürlich mit Helm, und fährt die Cäcilienstraße Richtung Osten. Zu beiden Seiten stehen Autos, die Fahrbahn ist vergleichsweise schmal. Auf dem breiten Gehweg dürfen Radfahrer nur in eine Richtung fahren. „Sie müssen hier auf der Straße fahren. Wenn eine Tür aufgeht oder einer vorbei will, haben Sie ein Problem.“ Viele fahren deshalb in beide Richtungen auf dem Gehweg.

Für einen beidseitigen Radweg ist an dieser Stelle nicht genug Platz, erklärt Stefan Muth. Er ist Radverkehrsbeauftragter der Stadt Heilbronn. "Der Gehweg ist hier 3,50 Meter breit. Für einen beidseitigen Radweg bräuchten wir aber 75 Zentimeter Abstand zu parkenden Autos und zur Hauswand und damit 4,50 Meter Breite." Radfahrer müssten deshalb auf der Straße fahren, wenn sie Richtung Stadtmitte wollen. 

Ein Stück weiter möchte Setzer von der Wollhausstraße nach links in die Uhlandstraße. Das Schild „Radfahrer frei“ unter dem roten Verbotsschild erlaubt das. „Jetzt wird's aber illegal“, sagt Setzer. Denn ein paar Meter weiter, in der Gymnasiumstraße, fehlt das Schild. Radfahrer dürfen also nicht verkehrt herum in die Einbahnstraße fahren. 

Und das ist richtig so, erklärt Muth: „Dort verläuft ein Radweg in Gegenrichtung. Ein illegales Fahren auf der Straße ist nicht nötig." Am Tag des Besuchs steht dort allerdings ein großer weißer Transporter, Durchfahren ist deshalb nicht möglich. „Wenn Falschparker einen Radweg blockieren, rufen Sie das Ordnungsamt unter 07131562050 an." Ein mobiles Team des Ordnungsamts könne den Falschparker verwarnen oder abschleppen. 

Verbot der Einfahrt: Radfahrer sind hier eigentlich nicht ausgenommen. Wenige Meter vorher ist die Einfahrt noch erlaubt.
Verbot der Einfahrt: Radfahrer sind hier eigentlich nicht ausgenommen. Wenige Meter vorher ist die Einfahrt noch erlaubt.  Foto: Christoph Donauer

Mit dem restlichen Verlauf der Gymnasiumstraße ist Setzer wieder zufrieden: Der Radfahrstreifen bietet etwas Abstand zu den links daneben parkenden Autos. An der Kreuzung am Stadtgarten endet der Streifen jedoch. „In Heilbronn ist es üblich, dass Radfahrstreifen einfach im Niemandsland enden“, sagt Setzer. 

„Der Radweg endet dort in einer 30er-Zone", sagt Stefan Muth. „Laut Straßenverkehrsordnung sind Schutzstreifen in einer 30er-Zone nicht erlaubt. Dort sollen Radfahrer im Mischverkehr auf der Fahrbahn unterwegs sein." 

Fahrradampeln bringen Radfahrern kleinen Zeitvorteil

An der Kreuzung Ost- und Karlstraße nimmt Dieter Setzer die neuen Fahrrad-Ampeln in Augenschein. Vorteil einer solchen Anlage: Radfahrer bekommen etwas früher Grün, damit Rechtsabbieger keine Gefahr darstellen. Zwei Sekunden sind es, sagt Setzer. „Das bringt keinen wirklichen Vorteil.“

Der Radverkehrsbeauftragte widerspricht und rechnet vor: „Ein Radfahrer startet mit einer Geschwindigkeit von fünf Metern pro Sekunde. In den zwei Sekunden, die er durch die Fahrradampel hat, legt er zehn Meter zurück. So breit ist die Furt an dieser Stelle." Dazu komme, dass der Radfahrer ohnehin acht Meter weiter vorne stehe, als die wartenden Autos. „Bis die Autofahrer Grün bekommen, sind Sie längst an der Mittelinsel", sagt Muth.

Es geht in den Osten der Stadt, wo ein breiter Radweg Richtung Trappensee führt. Weil er neben der Fahrbahn verläuft, kommen sich Autos und Fahrräder nicht in die Quere. Setzer misst mit dem Zollstock nach: 3,80 Meter. „Was will ich denn mehr?“

Radfahrer links, Radfahrer rechts, parkende und fahrende Autos. Wenn Radfahrer bei so wenig Platz auf dem Gehweg fahren, hat Dieter Setzer Verständnis dafür.
Radfahrer links, Radfahrer rechts, parkende und fahrende Autos. Wenn Radfahrer bei so wenig Platz auf dem Gehweg fahren, hat Dieter Setzer Verständnis dafür.  Foto: Christoph Donauer

Dass Radfahrer mit dem Ausbau der Radroute Ost auf Schutzstreifen auf der Jägerhausstraße fahren sollen, versteht Setzer nicht. „Warum sollte man dort fahren, wenn man hier einen solchen Radweg hat?“ 

Derzeit kein Ausbau der Jägerhausstraße

„Derzeit ist nicht geplant, dass wir dort hinter der Einsteinstraße weiterarbeiten. Die Arbeiten wurden 2019 gestoppt, weil die Kosten gestiegen sind", erklärt Muth. Die Schutzstreifen auf der Straße seien deshalb sinnvoll, weil der Radweg neben der Fahrbahn zu schmal ist.

„Für einen Radweg bräuchten wir dort mitsamt der Sicherheitsräume drei Meter. Dadurch müssten aber die Bäume gefällt werden, weil der Radweg nur 2,60 Meter hat. Deshalb lautet die Lösung, Schutzstreifen auf der 8,5 Meter breiten Fahrbahn anzulegen.“

1,50 Meter schmal, früher aber vorschriftsgemäß

Ein weiteres Beispiel ist der Radweg an der Sontheimer Straße, der bei Knorr vorbeiführt. Er ist schmal und weist deutliche Risse auf. Setzer misst auch hier nach: 1,50 Meter breit. „Hier bin ich schon in den 90er-Jahren gefahren“, erzählt der Heilbronner. Ein Stück die Straße runter zeigt sich: Überholen ist auf diesem schmalen Streifen nicht möglich, weshalb eine Radfahrerin ein Stück hinterherfahren muss.

„Dieser Radweg würde so nicht mehr gebaut werden", sagt Stefan Muth. „Er hat aber Bestandsschutz." Würde man die Strecke erneuern, müsste sie mindestens 2,50 Meter breit sein, plus Sicherheitsabstand. „Wir wollen auch solche Wege fortlaufend erweitern, aktuell ist dort aber nichts geplant."

Wenn es um Radwege geht, misst Dieter Setzer (78) auch mal nach. Dieser hier ist mit 1,50 Metern in Ordnung, zum Überholen jedoch zu schmal.
Wenn es um Radwege geht, misst Dieter Setzer (78) auch mal nach. Dieser hier ist mit 1,50 Metern in Ordnung, zum Überholen jedoch zu schmal.  Foto: Christoph Donauer

Auf dem Radweg neben der Kolpingstraße kommen Setzer mehrere Geisterradler entgegen. Er wünscht sich, dass eine Fahrradpolizei solche Verkehrssünder belangt. „Die Antwort der Polizei war bisher, dass sie es personell nicht schaffen.“ 

Pfeile, die auf Radfahrer hinweisen

In der Kolpingstraße kann es Dieter Setzer, der sich selbst als „Normenhengst“ bezeichnet, niemandem verübeln, wenn er auf dem Gehweg fährt. Die Fahrbahn ist schmal, Autos parken nicht so wie vorgesehen auf dem Gehweg. Für Radfahrer auf beiden Seiten und Autos ist hier offensichtlich kein Platz. „Das kann man so nicht planen“, sagt Setzer und verweist auf Pfeile am Boden.

„Die Pfeile sind sogenannte Sharrows (share = teilen, arrow = Pfeil), das kommt aus dem US-amerikanischen Raum", erklärt der Radverkehrsbeauftragte. "Dort können wir keine beidseitige Infrastruktur einbauen. Damit Autofahrer nicht denken, dass kein Fahrradfahrer mehr kommt, geben wir mit den Pfeilen einen Hinweis. Das bedeutet aber keine Einschränkung der Fahrbahn."

Wem das Fahren auf der Straße zu gefährlich ist, kann auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf dem Radweg fahren. Ähnlich macht das Dieter Setzer: Wer sich auskennt, fahre ohnehin nicht auf der Straße, sagt der 78-Jährige: „In den Nebenstraßen ist es nämlich viel ruhiger.“

 

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels waren die Einschätzungen des Radverkehrsbeauftragten Stefan Muth nicht enthalten.

 

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