Der DHB, der Frauen-Handball und die Lehren aus der Heim-Weltmeisterschaft
Für den Deutschen Handballbund war die am Sonntag zu Ende gegangene Weltmeisterschaft ein großer Erfolg. Aus diesem erwachsen nun aber auch neue Herausforderungen.

Die Tränen waren am Sonntag schnell getrocknet und die erste Enttäuschung bald verflogen. Die deutschen Nationalspielerinnen hatten noch in der Rotterdamer Ahoy-Arena verstanden, dass sie nach ihrer 20:23-Finalniederlage gegen Norwegen nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen hatten.
„Nach dem Abpfiff ist man natürlich kurz enttäuscht gewesen. Aber Silber ist der Wahnsinn. Das ist das, was wir uns erträumt, aber vielleicht gar nicht so sehr erwartet hatten. Es war eine tolle, tolle WM“, sagte Spielführerin Antje Döll von der Sport-Union Neckarsulm stellvertretend für die gesamte Mannschaft. Xenia Smits, ihre ehemalige Mitspielerin bei HB Ludwigsburg, sah es ähnlich: „Wir sind so stolz, dass wir viele, viele, viele in Handball-Deutschland begeistern konnten und so ein tolles Turnier gespielt haben. Das steht jetzt an erster Stelle.“
An zweiter Stelle stehen sechs Aspekte, die aus deutscher Sicht von dieser Heim-Weltmeisterschaft bleiben.
Die sportlichen Erkenntnisse für die DHB-Auswahl
Deutschland kann auf der großen Handball-Bühne mithalten. Die Hauptrunden-Spiele gegen Montenegro (36:18) und Spanien (29:25) gaben dazu einen Vorgeschmack, die gewonnenen K.o.-Duelle mit Brasilien (30:23) und Frankreich (29:23) waren angesichts ihrer Deutlichkeit eine Bestätigung dessen. Und selbst die übermächtigen Norwegerinnen hatten im Finale einige Mühe mit der DHB-Auswahl, die darüber hinaus bewiesen hat, dass man das Publikum auch mit kompromisslosem Abwehrspiel begeistern kann.

Die Erkenntnisse des Handballweltverbandes IHF
Schon vor dem Finaltag hatten mit 354.029 Zuschauern so viele wie noch nie die 106 WM-Partien besucht. Vor allem an den deutschen Spielorten war das Interesse groß. „Deutschland und die Niederlande haben Weltklasse-Bedingungen geboten und mit der Atmosphäre in den Arenen ihre Begeisterung für den Handball unter Beweis gestellt. Alle, die bei diesem Turnier involviert waren, die Organisatoren an den Spielorten, die Nationalverbände und die Gastgeberstädte, haben fantastische Arbeit geleistet, um eine herausragende Veranstaltung auf die Beine zu stellen“, sagte Per Bertelsen als Vorsitzender des Organisationskomitees des Weltverbandes IHF.
Die Lehren aus der TV-Diskussion
Dass die beiden Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) zunächst auf Live-Übertragungen der deutschen WM-Spiele verzichtet hatten, war der größte „Nebenkriegsschauplatz“ während der Vor- und Hauptrunde. DHB-Präsident Andreas Michelmann wütete, ARD und ZDF verwiesen auf begrenzte Budgets, SportEurope.tv als Pay-TV-Partner im Streamingbereich reagierte angesichts der fehlenden Wertschätzung verärgert.
Zum Turnierabschluss sahen das Finale im Ersten dann durchschnittlich 5,786 Millionen Menschen und signalisierten dem ÖRR damit, dass bei großen Turnieren durchaus ein Interesse an Frauen-Handball vorhanden ist. „Jetzt sehen wir, was wir bewegen können, wenn wir ein paar Bälle rumschmeißen“, sagte Rückraum-Spielerin Viola Leuchter gegenüber der dpa nicht ohne eine gewisse Genugtuung.
Die Nachwuchsspielerinnen machen Lust auf mehr
Blombergs Nieke Kühne (21) begeisterte von Anfang an mit ihrer Unbekümmertheit und ihrem Zug zum Tor, die stets gut gelaunte Aimée von Pereira (25), für die es ebenfalls das erste große Turnier mit der A-Nationalmannschaft war, mit ihrer bei København Håndbold erprobten Kompromisslosigkeit im Abwehrspiel. Und Viola Leuchter (21, Odense Håndbold) bewies gemeinsam mit Bensheims Nina Engel (22), dass sich der deutsche Handball nicht um seinen rechten Rückraum sorgen muss.
Eine ganze Reihe weiterer Spielerinnen kommt darüber hinaus erst noch in das beste Handballer-Alter. „Wir haben Spielerinnen, die sich von der Qualität her nicht groß in irgendetwas nachstehen. Wir haben keinen Qualitätsabfall, wenn wir wechseln, was eine sehr positive Entwicklung ist. Dazu gehört auch, dass die jungen Spielerinnen jetzt schon einen Stellenwert in der Mannschaft haben und einem Spiel ihren Stempel aufdrücken können“, sagte Ingo Meckes, Sportvorstand des Deutschen Handballbundes (DHB). Der nächste Schritt wird sein, die U19-Europameisterinnen des Sommers schrittweise an das Team heranzuführen.
Die Zukunft des Frauen-Handballs gilt es zu gestalten
Man hat definitiv Blut geleckt im deutschen Team. „Wir dürfen zufrieden sein, aber auch den Ansporn haben, zu sagen: So etwas will ich noch einmal erleben, und dann will ich, dass es anders ausgeht“, sagte etwa Co-Trainer Frederick Griesbach nach der Finalniederlage.
Die „Hands up for More“-Kampagne rund um die WM ist wahrgenommen worden, weil der DHB sie mit Leben zu füllen wusste – unter anderem durch die Rekord-Prämien für das sportliche Abschneiden. Nun geht es in den nächsten Schritten um mehr Professionalisierung, damit sich die Spitze schrittweise verbreitern lässt. Dass dies kein Selbstläufer werden wird, zeigen die diversen Herausforderungen der Vereine im Bundesliga-Alltag. Doch die Zuschauerzahlen in der Handball Bundesliga Frauen werden der erste Indikator dafür sein, wie laut diese Heim-Weltmeisterschaft tatsächlich nachhallt.
Für den DHB hatte Mark Schober als Vorstandsvorsitzender schon während der Vorrunde in Stuttgart betont, dass es „für uns auch ein Auftrag für die Zukunft ist, dass wir nicht aufhören werden, das Thema Frauen-Handball voranzutreiben und zu fördern. Wir haben noch viele Aufgaben vor uns (u.a. die Eröffnung der Bundesstützpunkte in Leipzig und Stuttgart 2027, Anm. d. Red.) und wir werden nach der Weltmeisterschaft nicht aufhören“, kündigte der 52-Jährige an. Auch, weil der DHB 2032 als Co-Gastgeber der Europameisterschaft erneut eine sehr gute Rolle spielen möchte.
Die Rolle des Bundestrainers
Markus Gaugisch hatte vor dem Turnier alles auf eine Karte gesetzt und ist für dieses Risiko belohnt worden. Der 51-Jährige vertraute bei seiner Kaderplanung auf einen bekannten Stamm um einige seiner ehemaligen Spielerinnen aus Bietigheim/Ludwigsburg.

Statt auf Experimente oder gute Einzelspielerinnen, setzte der Göppinger auf Eingespieltheit und ein Mannschaftsklima, das sich, personell weitgehend unverändert, seit Olympia 2024 entwickeln sollte, um bei der Heim-WM auf den Punkt da zu sein. Der Plan ging ebenso vollends auf, wie der noch im März vollzogene Tausch der Spielführerin. Emily Vogel und Alina Grijseels nahmen ihm ihre „Entmachtung“ nicht übel, sondern konnten anschließend befreiter aufspielen.
Und Titelsammlerin Antje Döll (37) nahm als Mannschaftsälteste, die sich den Weg in die A-Auswahl einst hart erarbeitet hatte, ihre neue Rolle umgehend an. Die „Stuttgarter Zeitung“ kürte sie schon vor dem Turnier zur „Grande Dame des deutschen Handballs“, die IHF im Anschluss zu einem „All Star“. Auch das ist in Teilen ein Verdienst Gaugischs, der nun gestärkt in die lange geplanten Verhandlungen um ein neues Arbeitspapier gehen kann.





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