Keine Erklärung für hohe Inzidenz im Landkreis Heilbronn
Mit Mann und Maus versucht das Gesundheitsamt des Landkreises Heilbronn die hohen Infektionszahlen in der Corona-Pandemie zu minimieren. Dabei ist die Kapazität der Behörde bei der Nachverfolgung der Kontakte längst überschritten. Landrat Detlef Piepenburg appelliert an Vernunft der Bürger.

Bei Inzidenzen jenseits der 250 "ist es uns nicht möglich, tagesaktuell zu reagieren", sagt Thomas Maier, Leiter des Dezernats staatliche Verwaltung, zu dem das Gesundheitsamt gehört. Dazu passt die Geschichte eines 17-jährigen Lauffeners. Er wurde am vergangenen Mittwoch von seinem Arzt positiv getestet. Vom Landratsamt habe er seitdem nichts gehört. So habe er am Montag selbst dort angerufen. Befragt worden seien aber weder er noch seine Kontakte. "Ich habe mir jetzt vorsichtshalber selbst eine 14-tägige Quarantäne verordnet", sagt dessen Vater.
Es fehlt an Personal
Tatsächlich schiebt das Gesundheitsamt einen Bearbeitungsstau vor sich her. "In den vergangenen Tagen konnten wir zwar etwas abbauen", sagt Dr. Thomas Schell, Leiter des Gesundheitsamts. Das Grundproblem sei aber, dass es an Personal fehle. "Wir haben innerhalb von zwei Wochen die dreifache Inzidenz", sagt Schell.
Die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die bei der Kontaktverfolgung helfen, hat das Landratsamt von 30 auf 40 erhöht. Immer wieder stellt die Behörde darüber hinaus Beschäftigte auf Zeit ein, um die Zahl derer zu erhöhen, die die Infektionsketten brechen sollen. Dabei handelt es sich unter anderem um Studenten, Abiturienten oder Arbeitnehmer in Elternzeit. Der Kontakt kommt über die Landes- und die Bezirksärztekammer zustande.
Infektionsschwerpunkte sind nicht auszumachen
Sie alle unterstützen die 70 Arbeitnehmer des Landratsamtes und das beauftragte Callcenter in Mannheim, das mit 20 Mitarbeitern ebenfalls die Kontakte positiv getesteter Personen im Landkreis Heilbronn befragt und informiert. Trotzdem wies der Landkreis vergangene Woche die höchste Inzidenz in Baden-Württemberg aus. "Wir haben dafür keine Erklärung", sagt Schell. Man könne auch keine Schwerpunkte ausmachen. "Sonst hätten wir wenigsten einen Hebel." Stattdessen sei das Infektionsgeschen diffus.
Landrat Detlef Piepenburg appelliert deshalb an die Vernunft der Bürger. "Wir haben es mit einer hochansteckenden Seuche zu tun. Das kann der Staat alleine nicht regeln", so der Landrat. "Es kommt auf jeden einzelnen an." Im Schnitt erhalte er jeden zweiten Tag eine Todesmeldung. "Wir haben inzwischen zusammen über 200 Tote im Gesundbrunnen und in Löwenstein. Das ist keine Bagatelle", betont Piepenburg. Die Menschen seien deshalb dringend aufgerufen, sich "umsichtig und vernünftig zu verhalten". Jeder müsse sich an die Regeln halten und Kontakte vermeiden.
Tests sind Momentaufnahmen
Piepenburg ist davon überzeugt, dass die Pandemie den Alltag noch lange bestimmen wird. Impfungen und Tests seien wichtig. "Aber Impfen gibt keine Garantie. Und Tests sind Momentaufnahmen, die fünf Minuten später bereits erledigt sein können." Ein Ende der Fahnenstange kann er nicht ausmachen. "Wir haben eine Krankheit, die uns auf Jahre hin begleiten wird."
Dem Chef des Landratsamts bereite Sorge, dass Krankheiten auch nach einer Impfung aufgetreten seien. Zudem könnten mit jeder Mutation neue Probleme auftauchen. Piepenburg verweist dabei auf die Mutation B.1.617, die derzeit in Indien grassiert. Viel wisse man darüber noch nicht. "Da ist mir ganz mulmig geworfen", sagt Piepenburg. Das Problem werde man erst im Griff haben, wenn weltweit flächendeckend geimpft worden ist.
Chef des Gesundheitsamts hofft auf niedrigere Zahlen
Etwas mehr Optimismus verbreitet der Chef des Gesundheitsamts. Schell ist zuversichtlich, dass sich der Landkreis Heilbronn mit der Inzidenz wieder dem Landesdurchschnitt annähern werde. Und dass die Zahlen mit zunehmender Impfung sinken werden. Eine vierte Welle etwa im kommenden Herbst wolle er zwar nicht ausschließen. Schell hofft aber, dass sie dann deutlich kleiner ausfallen wird als die dritte Welle.
Gesundheitssystem
Für den Heilbronner Landrat Detlef Piepenburg steht fest, "dass Corona das Leben der Menschen noch lange begleiten wird". Der Chef des Landratsamts hält es deshalb für notwendig, dass das gesamte Gesundheitssystem neu aufgestellt werden muss. Das sei eine zentrale Aufgabe der Zukunft. Bisher sei das Gesundheitssystem nämlich so konzipiert, dass Corona nicht berücksichtigt wird. Das gelte sowohl für die Betten in den Krankenhäusern und die Intensivmedizin ebenso wie für die Zahl der Pflegekräfte. "Wir brauchen auf Dauer mehr Intensivkräfte." Auch die Bedarfsplanung bei den Ärzten und der Budgetierung müsse auf die neue Situation angepasst werden.