Wie gefährlich ist die "indische" Mutation?
Viele Fragen zur Infektiosität und der Auswirkung der neuen Mutation des Coronavirus auf den Impfschutz sind noch offen. Wir erklären, was bisher über B.1.617 bekannt ist.

In Indien verbreitet sich das Coronavirus rasant. In den Krankenhäusern fehlt es an Sauerstoff und Krankenhausbetten, Krematorien sind überlastet. Grund für die dramatische Ausbreitung der Seuche könnte unter anderem die Virusvariante B.1.617 sein, die auch als "indische Mutante" bezeichnet wird. Deutschland und andere Länder haben den Reiseverkehr mit dem Land stark eingeschränkt, um die Verbreitung zu bremsen. Wie gefährlich ist B.1.617 und was könnte eine Ausbreitung in Europa für die Impfkampagne hierzulande bedeuten?
Wie ist die Lage in Indien?
In Indien, der größten Demokratie der Welt, leben 1,38 Milliarden Menschen, mehr als 17 Millionen sind oder waren nach offiziellen Zahlen seit Beginn der Pandemie mit dem Coronavirus infiziert. Bislang gab es nach Angaben von Johns-Hopkins-Universität und Robert-Koch-Institut (RKI) knapp 200?000 registrierte Todesfälle in Zusammenhang mit einer Covid-Infektion. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. In den vergangenen Tage hat sich die Lage dramatisch zugespitzt – die Zahl der erfassten Corona-Neuinfektionen erreichte fünf Tage in Folge weltweite Höchstwerte. Zuletzt stieg sie auf mehr als 350??000 in 24 Stunden, 2800 Menschen starben. Seit Tagen fehlen in den Krankenhäusern des Landes medizinischer Sauerstoff und Betten. Erkrankte sterben vor Kliniken in Neu Delhi und anderen Städten. Angesichts dieser Zuspitzung haben Deutschland und andere Länder Indien Hilfe zugesichert – etwa, was die Lieferung von Sauerstoff und Medikamenten angeht.
Ist die Mutante bereits in Deutschland angekommen?
In Deutschland wurden bereits einige Infektionen mit B.1.617 registriert. Um die weitere Einschleppung zumindest zu verlangsamen, wurden Einreisen aus Indien am Wochenende deutlich begrenzt. Auch Länder wie Großbritannien und die USA stoppten Einreisen. Eine einheitliche Regelung in der EU gibt es bislang nicht.
B.1.617 wird auch als Doppel-Mutation bezeichnet. Warum?
Sie weist gleich zwei Veränderungen an einem Oberflächenprotein auf. Diese Mutationen sind jeweils bereits von anderen Varianten bekannt. Bei B.1.617 treten sie gemeinsam, also sozusagen "gedoppelt", auf.
Was bedeutet das für die Infektiosität?
Beide Mutationen stehen in Verdacht, dem Virus das Andocken und Eindringen in menschliche Zellen zu erleichtern. Ob B.1.617 jedoch wirklich infektiöser ist als andere Varianten, ist noch unklar. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Virusvariante bislang als Variant of Interest ein – eine potenziell besorgniserregende Variante. Eindeutige Hinweise auf eine erhöhte Infektiösität oder Gefährlichkeit gibt es bislang jedoch nicht.
Warum wütet das Virus in Indien dann so heftig?
Wahrscheinlich sind mehrere Faktoren für die drastische Lage in Indien verantwortlich. So gab es Massenveranstaltungen für Regionalwahlen und religiöse Feste ohne Masken und Abstand. Zudem ist B.1.617 nicht die einzige Variante, die sich in Indien stark ausbreitet. Die Fallzahlen mit der britischen Variante B.1.1.7 und der Variante, die zuerst in Südafrika aufgetaucht ist (B.1.351), steigen ebenfalls. Es könnte auch sein, dass sich das Virus derzeit vor allem in jenen Bevölkerungsschichten ausbreitet, die sich in der ersten Welle noch gut schützen und isolieren konnten, den eher wohlhabenden Schichten. Von der ersten Welle war vornehmlich die ärmere Bevölkerung betroffen. Und: In Indien haben laut Johns-Hopkins-Universität und RKI erst knapp zehn Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten – obwohl das Land selbst Impfstoff in Massen produziert.
Wie wirksam sind die zugelassenen Impfstoffe gegen die Mutation?
Auch darüber herrscht noch keine Klarheit. Zunächst fürchteten Wissenschaftler, dass Geimpfte und Genesene vor einer Ansteckung mit B.1.617 weniger gut geschützt sein könnten. Weitere Untersuchungen lassen jedoch vermuten, dass sich die neue Variante dem Immunsystem doch nicht so leicht entzieht und damit Impfungen einen gewissen Schutz bieten. Charité-Virologe Christian Drosten äußerte sich im NDR-Podcast jedenfalls optimistisch mit Blick auf die nächsten Impfstoff-Generationen. Demnach könnte aller Voraussicht nach bereits "ein leichtes Update" der bestehenden Vakzine reichen, um "mit geringem Aufwand" auch "die meisten Immunescape-Mutanten" erfassen zu können.