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Koordinator der Intensiv-Versorgung: Lockdown und schneller impfen

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Götz Geldner, Koordinator der intensivmedizinischen Kapazitäten im Land, sieht die Versorgung an den Kliniken in Baden-Württemberg gefährdet. Er fordert ein deutlich höheres Impftempo und einen Lockdown, um die hohen Ansteckungszahlen zu senken.

Die Intensiv-Ressourcen waren vor der Pandemie schon knapp bemessen, sagt Götz Geldner. Foto: privat
Die Intensiv-Ressourcen waren vor der Pandemie schon knapp bemessen, sagt Götz Geldner. Foto: privat  Foto: Gottfried Stoppel

Wir werden nicht an einem Lockdown vorbeikommen, um das Gesundheitssystem zu retten und eine vernünftige Versorgung aufrecht zu erhalten", sagt Professor Götz Geldner. Er ist Koordinator der intensivmedizinischen Versorgung im Land.

Wie geht es Ihnen?

Götz Geldner: Na, was soll ich sagen, es ging mir schon mal besser.

Ihre Kollegen vom Divi-Intensivregister warnen eindringlich vor einer drohenden Überlastung der Intensivstationen. Wie ist die Lage im Land?

Geldner: Nicht gut. Etwas mehr als ein Drittel der Intensivbetten in Baden-Württemberg ist mit Covid-19-Patienten belegt. Das geht zu Lasten der Normalversorgung. Das System war vorher schon eng genäht. Vor der Pandemie haben wir etwa zehn bis 15 Prozent der Intensivbetten für echte Notfälle freigehalten – Verkehrsunfälle oder Eingriffe am Herzen. Diese Kapazitäten werden jetzt immer kleiner und wir müssen geplante Eingriffe absagen. Hinzu kommt, dass das Personal seit einem Jahr quasi durcharbeitet. Vor allem Pflegekräfte gehen aus dem Beruf raus, weil sie die Belastung psychisch und physisch nicht mehr ertragen. Wir rasen voll in ein noch viel größeres Personalproblem rein als wir es bisher schon hatten.


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Man hört immer wieder Politiker, die mit den Zahlen des Divi-Intensivregisters argumentieren und auf der Basis sagen, es seien noch jede Menge Intensivkapazitäten frei.

Geldner: Im Divi-Intensivregister sind alle Intensivbetten aufgelistet – auch solche, die de facto gar nicht zur Verfügung stehen. Also zum Beispiel Betten in Reha-Kliniken oder orthopädischen Kliniken, da kann man aber keine Covid-Patienten hinverlegen. Mit unserem Ressource Board in Baden-Württemberg ist das anders. Die Kliniken im Land melden dafür zweimal täglich die tatsächlich zur Verfügung stehenden Betten. Und die sind immer in Verbindung mit dem Personal zu sehen. Wenn zum Beispiel Pflegekräfte wegen Krankheit ausfallen, können auch weniger Betten betrieben werden. Das Personal ist die große Engstelle.

Welche Entwicklung erwarten Sie?

Geldner: Wir wissen aus den ersten beiden Wellen genau, dass die Intensivzahlen an die Inzidenzen gekoppelt sind. Die Patienten, die wir jetzt auf den Intensivstationen sehen, haben sich vor Ostern infiziert. Da die Inzidenzen weiter steigen, werden wir noch mehr Patienten bekommen und Richtung 40 Prozent Belegung mit Covid-19-Erkrankten gehen. Ab da wird es dann richtig schwierig mit der Versorgung.


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Was heißt das?

Geldner: Zunächst, dass man anders organisieren muss. Also zum Beispiel Personal aus anderen Stationen abziehen. Intensivpfleger können Sie aber nicht klonen. Und eine Pflegekraft, die in einem ganz anderen Bereich gelernt und gearbeitet hat, ist nicht so erfahren bei der Versorgung Schwer- und Schwerstkranker. Die Versorgungsqualität wird also sinken.

Häufig wird auch als schlimmstes Szenario die Triage beschrieben. Droht die Situation, dass Ärzte entscheiden müssen, wen sie noch behandeln können und wen nicht mehr?

Geldner: Das sehe ich in der Form momentan nicht. Natürlich ist es sowieso ärztliche Aufgabe, bei jedem Patienten realistisch einzuschätzen, ob eine Therapie Erfolg bringen kann, alles andere wäre unethisch. Wir müssen vielleicht diese Indikationsstellung künftig enger ziehen.


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Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Geldner: Wir sind auf jeden Fall nicht schuld, wenn es mit der Versorgung nicht mehr klappt. Dafür dürfen sich dann die Entscheidungsträger verantwortlich fühlen.

Ihr Appell?

Geldner: Die Impfungen müssen besser funktionieren. Vorher brauchen wir einen Lockdown, um von den hohen Zahlen runterzukommen, einen vernünftigen Sommer zu erleben und nicht voll in eine vierte Welle im Herbst reinzurauschen.

Zur Person

Professor Götz Geldner leitet die Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin an den RKH-Kliniken Ludwigsburg. Er ist Präsident des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten und koordiniert die Intensivmedizinische Versorgung im Land. Wichtiges Instrument dabei ist das sogenannte Ressource Board – eine tagesaktuelle Übersicht zu freien Intensivbetten an den Kliniken. 

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