Der letzte DDR-Bahnhof vor der Zonengrenze stand in Probstzella
20 Millionen Menschen reisten über den kleinen Bahnhof an der Grenze zu Bayern in die DDR ein und von dort aus. Heute erinnert ein kleines Museum an die wechselvolle Geschichte des Orts an der Zonengrenze.

Rund 20 Millionen Reisende aus Ost und West sind zwischen 1946 und 1990 über einen kleinen Bahnhof in der thüringischen Provinz in die DDR ein- und von dort ausgereist: Probstzella. Die Lage an der Eisenbahnstrecke München - Berlin war für den Ort lange Zeit ein Segen, mit der deutsch-deutschen Teilung wurde sie zum Fluch.
1885 erfolgte in Probstzella der Lückenschluss zwischen bayerischer und preußischer Staatsbahn, bereits ab Ende der 1930er-Jahre war die Strecke elektrifiziert. "Das war sehr fortschrittlich", sagt Uwe Quoika, der sich als Ehrenamtlicher um das kleine Museum Grenzbahnhof Probstzella kümmert. Die Ausstellung im historischen Bahnhofsgebäude von 1885 erinnert an die wechselvolle Geschichte des Ortes an der Grenze zu Bayern, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur beinahe unüberwindlichen Trennlinie zwischen Sozialismus und Kapitalismus wurde.
In den 1930er-Jahren war Probstzella ein blühender Ort

Die Gegend galt zu Ende des 19. Jahrhunderts als eines der Zentren des Schieferabbaus in Thüringen, hier produzierte Schiefertafeln wurden per Bahn in alle Welt verschickt. Probstzella erlebte seine Blüte - wirtschaftlich und kulturell. Der ortsansässige Industrielle Franz Itting beauftragte den Bauhaus-Architekten Alfred Arndt mit dem Bau eines Veranstaltungshauses in Probstzella.
Bis 1927 entstand mit dem "Haus des Volkes" das größte Bauhaus-Ensemble Thüringens. Studenten des Bauhauses in Dessau übernahmen die Inneneinrichtung. Künstler aus Berlin und Leipzig reisten fortan in das Dorf, um auf der damals modernsten Bühne Thüringens vor Arbeitern aus dem Tal aufzutreten.
Ab 1946 war die Gegend Sperrgebiet
Dann kam der Krieg und danach die Teilung in Ost und West. Probstzella verschwand als Grenzort zur BRD für den Großteil der DDR-Bevölkerung von den Landkarten, denn ein fünf Kilometer breiter Streifen entlang der Staatsgrenze wurde zum Sperrgebiet erklärt. Hinein durfte nur, wer einen Passierschein vorweisen konnte - etwa, um Verwandte zu besuchen. Einwohner, die als "nicht zuverlässig" galten, wurden ins Innere der DDR umgesiedelt oder sie mussten den sozialistischen Staat gleich ganz verlassen.
1952 seien bei der "Aktion Ungeziefer" nachts 13 Familien aus ihren Häusern geholt und weggebracht worden, erzählt Quoika. Es waren vor allem Industrielle, die sich geweigert hatten, in die Volkseigenen Betriebe und Kombinate einzutreten. Mit der "Aktion Kornblume" wurden am 3. Oktober 1961 weitere 23 Familien aus Probstzella und umliegenden Orten deportiert, diesmal aus "politischen Gründen".
Die Rote Armee demontierte die Bahnanlagen und nahm sie mit in die Sowjetunion

1946, mit dem Einmarsch der Roten Armee, war auch Probstzellas Zeit als fortschrittlicher Bahnknotenpunkt zu Ende. Die Soldaten demontierten die elektrischen Anlagen und das zweite Gleis und nahmen alles als Reparationsleistungen mit in die Sowjetunion.
Probstzella wurde wieder von Dampfloks, später Dieselloks, angefahren. Für den innerdeutschen Grenzverkehr bedeutete das: Für Reisende aus der DDR in Richtung Westen war hier Schluss. Bis 1951 mussten sie aussteigen und mit ihrem Gepäck über den Berg ins 1,3 Kilometer entfernte Falkenstein in Bayern laufen. Erst 1952 sei der Streckenabschnitt über die Staatsgrenze mit Geld aus der Bundesrepublik wieder elektrifiziert worden, sagt Quoika. Der Lokwechsel erfolgte von da an am letzten Posten der DDR, in Probstzella.
70 Menschen versuchten im Laufe der Jahrzehnte über den Kontrollpunkt außer Landes zu kommen, sagt Quoika. "Rund die Hälfte starb dabei" - durch Minen, durch die Selbstschussanlagen entlang des Grenzzauns oder Schüsse von DDR-Grenzern.
Mit 14 begann Margarete Schunke ihre Ausbildung zum Eisenbahner
Margarete Schunke hat über vier Jahrzehnte am und im Grenzbahnhof gearbeitet. Mit 14 Jahren begann das Mädchen aus einer Eisenbahnerfamilie die Ausbildung zum "Betriebs- und Verkehrseisenbahner", sagt die heute 77-Jährige. Die Bahn sei damals einer der größten Arbeitgeber gewesen, "und ich war voll bei der Sache". Der Preis: keine Fragen stellen, auch als die Grenze ausgebaut und immer schärfer bewacht wurde. Mit totem Gleis, Panzersperre und einem neuen Kontrollgebäude in Plattenbauweise, der Grenzübergangsstelle, kurz GÜSt, die 1978 in Betrieb ging. 300 Eisenbahner hätten dort zu DDR-Zeiten gearbeitet, sagt Quoika, auf jeden seien drei "Aufpasser" gekommen - aus Armee, von den Grenztruppen und der Stasi.
"Wir waren so geprägt, dass wir uns angepasst haben", sagt Margarete Schunke. "Sonst wären wir ausgewiesen worden." Dreimal pro Jahr hätte sie unterschreiben müssen, dass sie kein Wort von dem weitergibt, was sie am Bahnhof erlebte. "Wir haben uns auch innerhalb der Familie nur selten über die Arbeit unterhalten."
Wer aufmuckte, wurde ausgewiesen

Dabei wurde Margarete Schunke im Laufe der Jahre Zeugin manch erschütternder Szenen: Wie ein Jugendlicher aus dem Ort auf einen Güterzug aufsprang und nach Bayern flüchtete. Die Grenzer schossen, hätten aber nur einen der ihren verwundet. Sie bekam mit, wie ein Mann mit gefälschten Dokumenten erwischt und aus dem Zug geholt wurde. Am schlimmsten für sie sei jedoch der Sommer 1964 gewesen. Schunke hatte gerade ihren Sohn geboren, kurze Zeit später wurde das Trinkwasser in der Gemeinde abgestellt.
Wasser kam nur noch mit dem Tankwagen und war immer knapp. Erst viel später erfuhr sie den Grund: Fässer mit Gift, die die Armee im örtlichen Stollen eingelagert hatte, waren leck, das Trinkwasser wurde verseucht. "Entgrünungsmittel" hieß das Gift im DDR-Jargon - es wurde verwendet, um Bäume und Sträucher entlang des Grenzzauns zu vernichten und stets freie Sicht zu haben.
2008 wurde die letzte Grenzübergangssstelle der DDR abgerissen
1990 betrat Uwe Quoika, der zu DDR-Zeiten nur mit Passierschein nach Probstzella gedurft hatte, die GÜSt zum ersten Mal. Allein der lange, schmale Gang, durch den die Reisenden mussten, "war beängstigend", sagt er. Inzwischen lebt er selbst im Ort, seine Frau stammt von hier. Margarete Schunke wurde nach der Wende an den Bahnhof Saalfeld abgeordnet, die GÜSt habe sie "nie wieder betreten, ich wollte das nicht". Die ganzen Jahre hätten sie in Probstzella "das Gebäude vor der Nase gehabt. Das war ein Schandfleck".
Ende 2008 verschwand der letzte existierende Grenzbahnhof der DDR in Probstzella, die GÜSt wurde abgerissen, "aus Baufälligkeit", wie es zur Begründung hieß. Schunke sagt, viele Einwohner hätten das Gebäude einfach nicht mehr sehen wollen. An die Geschichte des Grenzbahnhofs Probstzella, über den in über vier Jahrzehnten 20 Millionen Reisende abgefertigt wurden, erinnert die Ausstellung im Bahnhof von 1885, einer Zeit, als das kleine Probstzella ein blühender Ort war.
Viele Details sind wieder liebevoll hergestellt worden
Auch das Bauhaus-Ensemble Haus des Volkes HdV in Probstzella hat eine bewegende Geschichte. Eingeweiht 1927 und bis weit in die 1930er-Jahre hinein kulturelles Zentrum für die Umgebung, wurde es zu DDR-Zeiten vergessen und verfiel nach der Wende zunächst weiter. Der ortsansässige Unternehmer Dieter Nagel kaufte das HdV 2003 gemeinsam mit seiner Frau. Seitdem wird in Probstzella an der Sanierung im original Bauhaus-Stil gearbeitet.
Viele Details aus der Erbauungszeit sind inzwischen wieder liebevoll hergestellt worden. Erst kürzlich wurden die zum HdV gehörenden Garagen im Bauhaus-Stil saniert, die Arbeiten an der Konzertmuschel im Park laufen. Als eines der nächsten Projekte soll der Pavillon im Park originalgetreu hergestellt werden. So pilgern inzwischen Architekturfans aus aller Welt nach Probstzella, einem Ort mit knapp 3000 Einwohnern, um dort das größte Bauhaus-Ensemble Thüringens zu besuchen und eine Zeitreise zurück ins Jahr 1927 zu machen.
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