30 Jahre Einheit: Straßennamen erinnern an Flitterwochen zweier Städte
Frankfurt (Oder) hat eine Heilbronner Straße und Heilbronn eine Frankfurt-Oder-Straße. Beide sind Zeugnisse einer der deutsch-deutschen Städtepartnerschaften im noch geteilten Deutschland. Was Anwohner beider Straßen über die Widervereinigung denken.
Am 29. September 1988 besiegeln die Oberbürgermeister Fritz Krause und Manfred Weimann mit ihren Unterschriften die Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Heilbronn. Zu verdanken ist das vor allem der Beharrlichkeit der Baden-Württemberger. Und Erich Honecker.
Der DDR-Staatsratsvorsitzende lässt sich 1987 vom Heilbronner SPD-Bundestagsabgeordneten Dieter Spöri überzeugen: Während des Treffens in Ost-Berlin gibt Honecker grünes Licht für die Städtepartnerschaft. Beriet man sich anfangs in Verwaltungsfragen, pflegt bis heute der Künstlerbund Heilbronn regen Austausch mit Kulturschaffenden aus Frankfurt. Gleiches gilt für einige Sportvereine. Außerdem reisen zum Sommercamp der Partnerstädte am Helenesee jedes Jahr auch viele Jugendliche aus Heilbronn an.

Und seit 1992 gibt es die Heilbronner Straße, eine der Hauptverkehrsadern in der Oderstadt. Und bereits seit 1988 die Frankfurt-Oder-Straße in Heilbronn: eine kleine Anwohnerstraße.
Eine frappierende Schnittstelle führt die Städte zusammen
Beide Straßen sind Zeugnis einer der frühen Städtepartnerschaften im damals noch geteilten Deutschland. Dass die beiden Städte 1988 zueinanderfanden, liegt nach Erinnerung des dienstältesten Heilbronner Stadtrats Herbert Tabler (80) an einer frappierenden Schnittstelle: Der Dramatiker Heinrich von Kleist, der 1777 in Frankfurt (Oder) zur Welt kam, verfasste in den Jahren 1807 und 1808 das historische Ritterschauspiel "Das "Käthchen von Heilbronn".
Weitere Parallelen sind nach Tablers Erinnerung die damals ähnlich dimensionierte Einwohnerzahl (Frankfurt 88 000, Heilbronn 120 000). Auch die Industriestruktur passte zusammen, schließlich verfügte Frankfurt über ein Halbleiterwerk, Heilbronn über das Telefunkenwerk. Was verbinden die Menschen heute mit ihrer Straße, der Partnerstadt, was denken sie über die Wiedervereinigung?
Was Bewohner der Partnerstadt-Straßen über die Wiedervereinigung denken
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Mike Höfer lebt seit 2015 mit Ehefrau und zwei Kindern in der Frankfurt-Oder-Straße in Heilbronn. Der Metallbauer stammt aus dem Osten, er lebte bis 2010 in Genthin (Sachsen-Anhalt). "Meine Frau kommt aus Polen", berichtet der 49-Jährige. "Daher fahren wir regelmäßig über den Frankfurter Grenzübergang." Seine Großeltern stammen aus dem Gebiet östlich der Oder. Deutschland sei schon zusammengewachsen, findet der Familienvater, auch wenn es Mentalitätsunterschiede gebe.
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Auch Ilona Reppel aus Frankfurt (Oder) kennt ihre Partnerstadt nur flüchtig. "An Heilbronn bin ich einmal mit dem Reisebus vorbeigefahren." Die Städtepartnerschaft begrüßt die Rentnerin. Die Einheit sieht sie zumindest wirtschaftlich noch nicht vollzogen: "Im Osten brauchen wir mehr Wirtschaft, da ist seit der Wende nicht viel passiert", kritisiert die Frankfurterin.
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Armin Utz (65) lebt seit 1991 mit Ehefrau Elke in der Frankfurt-Oder-Straße. Als Mitarbeiter im Bauamt der Heilbronner Stadtverwaltung hat er die Annäherung mit Frankfurt (Oder) miterlebt. "Ich fand es damals bemerkenswert, dass es eine Partnerschaft zwischen zwei deutschen Städten gibt und unterstützte die Wertschätzung, die sich darin widerspiegelt." Bisher habe es sich nicht ergeben, nach Frankfurt (Oder) zu fahren, "aber wir wollen das nachholen". Heilbronn habe nach der Wende ein Stipendium für Studierende, die nach Frankfurt (Oder) gehen, ausgerufen, erinnert sich der Pensionär. Wir wollten damals unserer Tochter das Studium der Internationalen Betriebswirtschaft in Frankfurt (Oder) schmackhaft machen, doch sie entschied sich für ein anderes Fach." Anfangs seien viele der damaligen Rathauskollegen in den Osten gegangen, um bei der Umstellung auf das westliche Verwaltungssystem zu helfen.
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Andrea Schulz lebt seit 40 Jahren in der Heilbronner Straße. Sie sei früher mehr eine Einkaufs- und Bummelstraße gewesen, findet die Frankfurterin. Über die Jahre sei immer mehr Verkehr gekommen, und dafür weniger Geschäfte. "Trotzdem gehe ich hier noch shoppen." Dass die Einheit kam, findet Andrea Schulz gut. "Als ich klein war, waren auf der damaligen Pieck-Straße die Montagsdemos", erinnert sie sich. Heute habe sie beruflich viel mit "Westlern" zu tun: "Es gibt keine Unterschiede mehr."
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Elisabeth Schütz wohnt seit 1993 in der Frankfurt-Oder-Straße. "Wir zählen zu denen, die von Anfang an hier wohnen", berichtet die 69-Jährige. Bisher habe sie noch keine Berührungspunkte mit der Partnerstadt im Osten gehabt, doch sie sei offen, mal dorthin zu reisen. "Vielleicht können wir ja eine Radtour an der Oder machen, das wäre doch interessant." Die Heilbronnerin ist dankbar, dass aus den beiden deutschen Staaten eine Einheit geworden ist. "Ich denke aber, dass die Einheit zu überstürzt angegangen wurde, viele Menschen auf beiden Seiten waren mit den Konsequenzen, die quasi über Nacht kamen, überfordert."
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Klaus-Peter Driesent erinnert sich an die Heilbronner Straße, als sie noch Wilhelm-Pieck-Straße hieß: "Früher bin ich hier oft ins Lichtspieltheater der Jugend gegangen. Deshalb hoffe ich, dass die Restaurierung nun voran geht." Ansonsten shoppe der Rentner häufig im "Kaufland-Bunker" und bei H&M. "Kaufland-Bunker" ist der Spitzname vieler Frankfurter für den grauen Einkaufskomplex in der Heilbronner Straße. "Im Westen bin ich öfters, weil ich Verwandte in Frankfurt am Main habe", erzählt der Frankfurter. Ob die Bundesländer im Osten wie im Westen 30 Jahre nach der Wiedervereinigung wirklich einig geworden sind? Klaus-Peter Driesent will sich da nicht festlegen, nur soviel: "Auf jeden Fall müssen unsere Renten im Osten ans West-Niveau angeglichen werden."
Ost-West-Kooperation
Der Beitrag wurde von der Stadtredaktion der Märkischen Oderzeitung und der Regionalredaktion der Heilbronner Stimme gemeinsam realisiert.
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