30 Jahre Einheit: Ein Zettel weist den Weg ins Glück
Dank einer Zeitungsannonce vom Osten nach Künzelsau: Durch einen Zufall landeten Reneé und Ralf Weigel nach der Wende im Kochertal und dort wurden sie auch heimisch. Nicht nur im Sport. Die (Einheits-)Geschichte von Turntrainer und Unternehmer Ralf Weigel und seiner Frau.

Schön, wenn jemand sagen kann, alles richtig gemacht. Und Ralf Weigel wiederholt diesen Satz während des langen Telefongesprächs immer wieder. Denn derzeit ist der Präsident der KTV Hohenlohe in Paris unterwegs. Der Turner aus Leidenschaft ist geschäftlich beim Tennisturnier French Open.
"Frankreich war auch das erste Land, das wir nach der Wende besucht haben", sagt der Ingelfinger. "In Magdeburg standen nach dem Mauerfall immer die Busse, mit denen man für einen Hunni nach Paris fahren konnte. Jetzt bin ich wieder hier."
Zufälle und Wendungen weisen den Weg nach Künzelsau
Dass Weigel heute in Ingelfingen lebt, Unternehmer ist und seine Frau Reneé Turn-Trainerin im Kochertal, ist Zufällen und günstigen Wendungen zu verdanken. Die Erinnerungen daran sind noch präsent. Keine Frage. Schließlich stellte der Mauerfall und die deutsche Einheit einen Wendepunkt im Leben von Reneé und Ralf Weigel dar. Ihr altes Leben in der DDR endete, ihre Zukunft in Künzelsau begann. Und das mit mit einem Zettel.
"Die DDR war in der Auflösung begriffen", erzählt Ralf Weigel. "Wir beide waren in Magdeburg im Bezirkstrainingszentrum tätig." Jährlich sichteten sie bis dahin rund 1000 bis 1500 Nachwuchsturner und luden schließlich 36 zum Probetraining ein. Darunter waren spätere Olympiateilnehmer oder auch Europameister.
Der Stecker wurde gezogen, die Trainer nicht mehr benötigt
"Doch als die Mauer gefallen und alles vorbei war, wurde der Sport als erstes abgewickelt", erzählt Weigel. Noch heute bedauert er, dass die damalige DDR-Infrastruktur im Turnen zerstört anstatt adaptiert wurde. Er bezeichnet die Bedingungen als Schlaraffenland. "Es wurde einfach der Stecker gezogen." Die Trainer wurden nicht mehr benötigt. "Wir haben die Kinder damals trotzdem noch ein halbes Jahr weiter trainiert, um ihnen Halt zu geben", sagt Weigel. "Es war ein ziemliches Durcheinander. Dann wurden neue Strukturen geschaffen. Wir waren noch mit dabei, als der Landessportbund Sachsen-Anhalt gegründet wurde."
Bei einer Veranstaltung in Bitterfeld sah Weigel einen Zettel liegen. "Der STB suchte damit einen Trainer für Künzelsau", erzählt er. "Wir waren damals um die 30, in einem Alter also, in dem man sich noch verändern kann." Also beschlossen sie, Kontakt mit dem TSV Künzelsau aufzunehmen. "Wir hatten verschiedene Ideen", erzählt Ralf Weigel.
Zum Telefonieren musste er an die ehemalige Grenze fahren
Aber das Jobangebot aus dem Kochertal klang interessant. Also fuhr er die rund 100 Kilometer bis zur ehemaligen Grenze. "Es gab noch nicht so viele Telefonleitungen in den Westen", erklärt er. "Ich haben mich mit dem damaligen Vorstand Kurt Gesper kurz unterhalten und später sind wir nach Künzelsau gefahren und haben uns alles angeschaut." Im zwischenmenschlichen Bereich hat es gepasst. Das Problem waren die Finanzen. Zwei hauptamtliche Trainer konnte sich der TSV nicht leisten.
"Es waren harte Verhandlungen", erinnert sich Gesper. "Wir wollten sie unbedingt und haben gezittert, dass es klappt." Es funktionierte nur, weil sich Ralf Weigel eine Arbeit neben seiner Trainertätigkeit suchte. Reneé Weigel war als Trainerin tätig, gab zusätzlich Kurse, baute eine Turnschule auf und betrieb bei der KTV Hohenlohe Aufbauarbeit im Mädchen- und Frauenturnen. "Heute sind es schon fast geniale Strukturen für den ländlichen Raum mit drei männlichen und drei weiblichen Mannschaften bei der KTV", sagt Weigel.
Weigel hat die Idee zur elektronischen Netzüberwachung im Tennis
Ein zweiter Wendepunkt war, als er im Fernsehen sah, wie Boris Becker einer Netzrichterin den Ball an den Kopf schlug - aus versehen. Weigel entwickelte die Idee zur elektronischen Netzüberwachung. Drei Jahre tüftelte er daran. "Das kam zum Zwölf-Stunden-Tag noch oben drauf", sagt er. "Das war schon keine einfache Zeit." Aber es lohnte sich. Weigel ist bei den großen Turnieren der Welt unterwegs. Und trotzdem sagt er: "In meiner Seele bin ich Turntrainer und nicht Tennis-Piepser-Anmacher." Doch in Künzelsau trainieren jetzt eben andere. "Mir reichte die Zeit nicht mehr - gerade als ich 2005 die French Open dazu bekam, war ich zu lange am Stück weg, um vernünftig als Trainer arbeiten zu können."
Am Ende lief für Reneé und Ralf Weigel nach der Wende alles in die richtige Richtung. "Der wirkliche Verlierer der Einheit ist die Generation meiner Eltern. Die waren mit 50 arbeitslos und keiner hat sie gebraucht. Für sie war es bitter", sagt Weigel, den es selbst nur noch selten in den Osten zieht. "Wir hatten noch die Chance uns neu zu orientieren." Die Weigels nutzten sie, das gelang nicht allen.
Zu den Personen
In der DDR hatte Reneé Weigel ihre Ausbildung zur Diplom-Sportlehrerin abgeschlossen, im Westen wurde sie zur A-Trainerin zurückgestuft. Ralf Weigel befand sich noch in der Ausbildung, hatte aber auch seinen Trainerschein in der Tasche. „Künzelsau konnte sich zwei hauptamtliche Trainer nicht leisten“, sagt Ralf Weigel. Deshalb arbeitete er zunächst bei der Firma Reisser in Künzelsau. Reneé stieg als selbstständige Trainerin ein. Gab zusätzlich Kurse, baute eine Kinderturnschule auf und leistete Aufbauarbeit.
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