„It’s time to shine now“: Neckarsulmer Torhüterinnen lassen Thomas Zeitz beruhigt schlafen
Ausgerechnet im wichtigsten Spiel der Neckarsulmer Bundesliga-Saison fehlt dem Trainer gegen Bayer Leverkusen Stammtorhüterin Lena Ivancok. Doch ihre Vertreterinnen Johanna Fossum und Aleksandra Orowicz überzeugen mit Paraden und Führungsqualität.

Es war am Donnerstagabend zum Auftakt in die Playdowns der Handball-Bundesliga so etwas wie das „Worst Case“-Szenario, das viele befürchtet, sich aber niemand gewünscht hatte. Ausgerechnet im bisher wichtigsten Spiel der Saison musste Sport-Union-Trainer Thomas Zeitz auf zwei seiner wichtigsten Spielerinnen verzichten. Spielführerin und Top-Torjägerin Munia Smits fehlte mit einem geschienten Knöchel ebenso wie Lena Ivancok. Die österreichische Torhüterin, die dank 10,1 Paraden pro Spiel den ligaweit zweitbesten Wert aufweist, war am vergangenen Wochenende während der Qualifikations-Playoff-Spiele der Alpenrepublik für die Weltmeisterschaft gegen die Türkei umgeknickt und lief nur äußerst unrund durch die Ballei, während ihre Mannschaftskolleginnen die „Werkselfen“ von Bayer Leverkusen mit 30:22 (16:10) in die Knie zwangen.
Zeitz hatte somit bereits vor Spielbeginn nicht nur zwei sportliche Leistungsträgerinnen verloren, sondern zudem zwei Akteurinnen, „die uns auch mit ihrer Persönlichkeit und ihren Motivationskünsten auf dem Feld etwas geben“, wie der 51-Jährige im Nachgang einräumte. Während personelle Alternativen für Rückraum-Spielerin Smits nach weitgehend überstandener Verletztenmisere wieder vorhanden waren, blieb die große Frage, wie und vor allem von wem der Ausfall von Ivancok kompensiert werden würde.
Langes Rätselraten: Wer ersetzt Vielspielerin Lena Ivancok?
Die österreichische Nationalspielerin hatte bis dahin alle 22 Hauptrunden-Begegnungen bestritten und dabei auch das Gros der Spielzeit für sich verbucht. Ihre guten Leistungen gaben Zeitz darüber hinaus auch nur selten Anlass, die Wienerin vorzeitig vom Feld zu nehmen. Mehr als vereinzelte Siebenmeter-Situationen oder Einsatzminuten in bereits entschiedenen Partien waren für Johanna Fossum und Aleksandra Orowicz, die beiden weiteren Torhüterinnen im Neckarsulmer Kader, daher häufig nicht drin. Am Donnerstagabend, im bislang wichtigsten Spiel der Neckarsulmer Saison, mussten sie aber nun auf einmal liefern − ein klassischer Sprung ins kalte Wasser.
Erfahrung, Trainingskonstanz und ihre Lautsprecher-Fähigkeiten hatten für Thomas Zeitz letztlich den Ausschlag gegeben, mit Aleksandra Orowicz zwischen den Pfosten zu beginnen. „Dass wir heute gewonnen haben und dabei auch Spielerinnen ihre Qualitäten zeigen konnten, die bisher weniger gespielt haben, war sehr wichtig und gibt uns Selbstvertrauen“, sagte die 28-Jährige nach der Partie, und gab zu, am Anfang doch mächtig nervös gewesen zu sein. „Im ersten Moment habe ich nur gedacht: Mist! Aber ich denke, das ist normal, wenn man sonst nicht eine solche Verantwortung trägt. Aber dann muss man die Situation annehmen, für seine Mannschaft da sein und sein Bestes geben. Dann gibt es keine Ausreden“, sagte Orowicz.
Zeitz lässt die Katze erst spät aus dem Sack − und hält damit die Anspannung hoch
Trainer Thomas Zeitz hatte das Duo bewusst im Unklaren darüber gelassen, wer denn nun von Beginn an in der Ballei auflaufen würde. „Wir haben (im Trainerteam, Anm. d. Red.) nur gesagt, wenn es irgendwie geht, wollen wir beide spielen lassen.“ Der Spielverlauf gab dies schließlich her, weil die Sport-Union − ohne zu glänzen − ihre Hausaufgaben frühzeitig erledigte. „Vor dem Spiel hat Johanna mich gefragt: ‚Weißt Du, wer von uns beginnt?‘ − ‚Nein, weißt Du’s?‘ − ‚Nein‘ − ‚Okay‘“, erzählte Aleksandra Orowicz später mit einem Lachen. „Wir wussten es bis kurz vor Spielbeginn nicht und mussten deswegen auch beide vorbereitet sein.“

Als es dann los ging, hatte Zeitz ihnen nur ein flüchtiges „It’s time to shine now“ mit auf den Weg gegeben. Mehr nicht. „Aber wir haben die ganze Saison gut trainiert und wussten, dass wir den Job von Anfang an übernehmen können und nur an uns glauben müssen“, sagte Johanna Fossum, der Zeitz bereits in den vorangegangenen Tagen und Wochen eine gute Form attestiert hatte. Kleinere Wehwehchen hatten den Rhythmus der Norwegerin jedoch ab und an gestört, so dass das Trainerteam zunächst auf Orowicz vertraute.
Fünf Paraden und ein Assist: Aleksandra Orowicz ist sofort im Spiel
Die Polin fand schnell in die Partie, hielt gleich den allerersten Wurf des Spiels von Johanna Andresen, provozierte einen Siebenmeter-Fehlwurf von Christin Kaufmann über das Tor und gab von hinten auch immer wieder die von Zeitz so geschätzte Energie an ihre Vorderleute weiter. Fünf abgewehrte Bälle und eine Paradenquote von genau 25 Prozent waren zwar keine Spitzenwerte, doch die ausgestrahlte Sicherheit der Torhüterin färbte auf die Neckarsulmer Deckung ab. Und auch als Vorlagengeberin trat Orowicz in Erscheinung.
Auf fünf Paraden und eine Quote von rund 42 Prozent, darunter zwei Siebenmeter, kam in den letzten 15 Minuten der Partie dann auch Johanna Fossum. „Sie kommt rein und hält dann auch gleich wie der Teufel“, adelte Thomas Zeitz die Norwegerin, die nach ihrer Hereinnahme fast fünf Minuten ohne Gegentor blieb. Eigentlich nur für einen Siebenmeter von Christin Kaufmann auf das Feld geschickt, signalisierte ihr Trainer der 22-Jährigen nach ihrer Parade umgehend, auf dem Feld zu bleiben.
„Sie war überhaupt nicht deprimiert, dass sie nicht von Anfang an gespielt hat, sondern hat schön gewartet und dann in der letzten Viertelstunde gezeigt: ‚Trainer, Du kannst mich auch von Anfang an spielen lassen.‘“ Es sind genau solche Momente, die den 51-Jährigen vor dem zweiten Playdown-Duell am nächsten Freitag in der Leverkusener Ostermann-Arena (19 Uhr) ruhiger schlafen lassen. „Es war einfach sehr wichtig mit einem Sieg in diese Playdowns zu starten, oder wie ich sie nenne: die NBA Finals“, resümierte Orowicz herzhaft lachend.
Zusammenspiel der Torhüterinnen und Trainerin Branka Zec als Erfolgsrezept
Denn dass in Spiel zwei der „Finals“ Lena Ivancok dann wieder zwischen die Pfosten zurückkehrt, ist noch lange keine ausgemachte Sache. Ihr geschienter rechter Knöchel benötigt in den nächsten Tagen noch einige Behandlungseinheiten und vor allem Regenerationszeit. Mitreisen wird die 24-Jährige nicht zuletzt aufgrund der Rahmenbedingungen mit dem dann möglicherweise gesicherten Klassenerhalt aber in jedem Fall. Aleksandra Orowicz und Johanna Fossum stünden allerdings für einen erneuten Einsatz bereit.

„Wir sind einfach ein gutes Torhüterinnen-Team“, sagte Orowicz, die den Verein in der Hoffnung auf regelmäßigere Einsatzzeiten am Saisonende vorzeitig in Richtung Zweitligist FSV Mainz 05 verlassen wird, mit Blick auf das Zusammenspiel mit Ivancok und Torhüterinnen-Trainerin Branka Zec. „Branka und Lena unterstützen uns immer von außen. Ohne sie wäre es nicht dasselbe“, betonte auch Fossum.
Ob Thomas Zeitz am Freitag tatsächlich der jungen Norwegerin eine Start-Sieben-Chance gibt, scheint nach den Eindrücken des Gründonnerstags nicht ausgeschlossen. „Wir mussten heute unbedingt gewinnen und wir wollten unbedingt gewinnen; darüber können wir uns jetzt freuen, aber wir müssen nächste Woche wieder bereit sein, um das nächste Spiel dann auch zu gewinnen“, richtete Fossum den Blick schnell nach vorne, nachdem sich der erste Freudentaumel gelegt hatte.