Heilbronn-Reds-Neuzugang Marques Charlton: „Der American Dream hat sich stark verändert“
In Marques Charlton haben die TSG Heilbronn Reds ihren ersten Import-Spieler gefunden. Im Interview der Woche spricht der US-Amerikaner über seine Zeit in Deutschland, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu seiner Heimat und über den American Dream.

Ein Aufbruch ins Ungewisse war es im April dieses Jahres für Marques Charlton nicht mehr. Fünf Jahre nach seinem ersten Aufenthalt in Deutschland ist der US-Amerikaner im Frühjahr zurückgekehrt. Anders als von 2015 bis 2020 während seiner Zeit in Reutlingen steht nun in Heilbronn nicht mehr nur der Basketball bei der Regionalliga-Mannschaft der TSG Heilbronn Reds im Lebensmittelpunkt des 32-Jährigen, sondern das Ziel, sich in Deutschland ein eigenes Leben aufzubauen. Seit diesem Monat arbeitet er als Assistant Teacher an der Josef-Schwarz-Schule. Ein Gespräch über Deutschland, seine Menschen und den American Dream.
Mister Charlton, willkommen zurück in Deutschland. Was hat Sie bewogen zurückzukehren?
Marques Charlton: In den USA liefen die Dinge nicht so gut für mich. Deswegen habe ich einige Bekannte aus meiner Zeit in Reutlingen und Stuttgart kontaktiert. Eigentlich wollte ich meinen ehemaligen Job auf der Army Base in Vaihingen wieder aufnehmen und dort mit Kindern arbeiten. Dann habe ich aber Matthias (Götz, Team-Manager der Heilbronn Reds, Anm. d. Red.) kontaktiert, weil ich auch ein bisschen Basketball spielen wollte, und die Dinge haben ihren Lauf genommen.
Fehlte Ihnen in den USA die Zukunftsperspektive?
Charlton: Es ging vor allem um Familienangelegenheiten, und ich hatte auch nicht den Job, den ich mir vorgestellt hatte. Ich habe zu wenig Geld verdient, um mein Leben zu finanzieren und musste dann für mich entscheiden, ob ich bleibe und mich irgendwie durchschlage oder die Chance hier wahrnehme. Ich hatte dann schnell das Gefühl, dass das hier eine Möglichkeit für mich ist, die ich nicht verstreichen lassen kann.
Was mögen und schätzen Sie an Deutschland, dass sie dazu bewogen hat, zurückzukommen?
Charlton: Die Menschen hier sind, egal wo ich hingekommen bin, immer sehr gastfreundlich gewesen, und es hat sich für mich immer sofort sehr familiär angefühlt. Matthias und die ganze Reds-Familie haben sich so intensiv um mich gekümmert: Ich hatte vier Vorstellungsgespräche und Goran (Mijic, Trainer der Heilbronn Reds, Anm. d. Red.) hat mir mit seinen Kontakten anfangs einen Nebenjob besorgt. Seit ich hier bin, habe ich mich noch keinen Tag alleine gefühlt, obwohl ich alleine hergekommen bin. In meinem Heimatland habe ich mich hingegen allein gefühlt – obwohl ich dort eine Familie habe. Hier habe ich das Gefühl, dass da immer etwas ist, was mich im Notfall auffängt: ein Job, der Sport, die Menschen oder gesellschaftliches Engagement.
Was vermissen Sie von Ihrem „alten Leben“?
Charlton: Ich habe zwei Kinder in den Staaten, die ich sehr vermisse. Ich bin mit ihnen aber fast jeden Tag per Videotelefonie in Kontakt und werde sie im Dezember auch besuchen. Aber das ist neben meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwester beinahe das einzige. Außer bei meiner Familie habe ich mich drüben nie wirklich verwurzelt gefühlt; egal ob College oder Arbeit, das war für mich immer nur eine Zwischenstation. Das ist jetzt anders.
Zur Person
Marques Charlton (32) stammt aus Deer Park auf Long Island im US-Bundesstaat New York. Nach seinem Bachelor-of-Science-Abschluss in Financial Information & Analysis 2014 an der Clarkson University zog es Charlton im Jahr darauf erstmals nach Deutschland, um seine Basketball-Karriere bei der TSG Reutlingen fortzusetzen. Von 2017 bis 2020 arbeitete er bei der TSG auch als Jugendtrainer sowie auf der Patch Barracks Army Base in Stuttgart-Vaihingen.
Die Covid-Pandemie zwang Charlton 2020 schließlich zur Rückkehr in die USA. Dort arbeitete er anschließend als Co-Trainer der Basketball-Mannschaft an der St. Lawrence University sowie als Mathematik-Lehrer an verschiedenen Schulformen von der Grundschule bis zur High School. Im April dieses Jahres kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitet seit diesem Monat als Assistant Teacher für Mathematik an der Josef-Schwarz-Schule in Heilbronn.
Seit Sie 2015 erstmals nach Deutschland gekommen sind, hat sich dieses Land verändert – gesellschaftlich, kulturell, wirtschaftlich, politisch. Was für ein Land haben Sie vorgefunden, als Sie in diesem Frühjahr zurückgekehrt sind?
Charlton: Aus meiner Perspektive hat sich, ehrlich gesagt, gar nicht so viel verändert. Ja, die Zeit mit Covid war verrückt, aber die Dinge sind inzwischen wieder wie vorher. Die Menschen sind die gleichen, das Essen ist das gleiche und der Basketball ist auch gleichgeblieben.
Wie wird Deutschland in den USA gesehen und wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie ihr gesagt haben, dass es Sie erneut nach Deutschland zieht?
Charlton: Die Menschen, die ich kannte und kenne, wussten gar nicht wirklich viel über Deutschland. Sie wissen natürlich über die Geschichte Bescheid, aber sonst… Meine Eltern und Freunde waren trotzdem wirklich glücklich über meine Entscheidung. Denn alle haben gesehen, wie wohl ich mich hier in meiner ersten Zeit gefühlt habe. Meine Eltern haben mich auch schon besucht und bis auf das Essen, an das sie sich irgendwie nicht gewöhnen konnten, hat es ihnen hier sehr gefallen. (lacht)
Sie kennen nun beide Welten ganz gut: Was können Deutschland und die Deutschen von den USA und den US-Amerikanern lernen – und umgekehrt?
Charlton: Das ist eine gute Frage (denkt einen Moment nach). Ich versuche es mal so zu erklären: In Deutschland ist es meist so, dass Menschen Ihnen erst einmal sehr distanziert gegenübertreten. Anders wird das erst dann, wenn Sie sich eine Zeit lang in einem vertrauten Umfeld befinden, etwa in einem Verein oder einer ähnlichen Community. Dort werden die Menschen Sie dann aber bei allem unterstützen.
Und in den USA ist das anders?
Charlton: Dort ist es genau umgekehrt: Menschen, die sich eigentlich gar nicht kennen, grüßen sich freundlich auf der Straße, aber am Ende schaut jeder – selbst in gemeinsamen Communitys – vor allem nach sich selbst. Es ist sehr selten, an fremde Orte zu kommen und dort sofort aufgenommen zu werden. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber kurz gesagt: Amerikaner schauen erst einmal nach sich selbst. Man lässt es aber gerne so aussehen, als ob sich um alle gekümmert wird. Deutsche kümmern sich dagegen gerne umeinander, es wirkt aber oft erst einmal so, als ob jeder nur nach sich selbst schaut.
Die Deutschen sind, einmal mehr in ihrer Geschichte, derzeit auf der Suche nach einer Identität. Deutschland scheint noch herausfinden zu müssen, was für ein Land es in Zukunft sein will und wie diese Zukunft erreicht werden soll. Bekommt man diesen Prozess als Ausländer mit?
Charlton: Lustig, dass Sie das sagen. Eine Menge der Deutschen, mit denen ich spreche, sagt, dass es ihnen hier nicht gefällt und dass sie am liebsten irgendwo anders hingegen wollen würden. Meine Antwort ist dann immer: Das ist verrückt! Ich kann es natürlich ein Stück weit verstehen, weil ich in den USA in einer ähnlichen Situation war. Das lag aber auch daran, dass sich der American Dream dort so stark verändert hat.

Wie meinen Sie das?
Charlton: Na ja, als ich jünger war, hieß es immer: Mit 25 ist man verheiratet, mit 30 hat man ein Haus und mit 35 drei Kinder. All das hat sich geändert. Dieses Streben danach gibt es immer seltener; Kinder wollen heute stattdessen lieber TikTok- oder YouTube-Stars werden. Das klingt jetzt vielleicht nach Worten eines alten Mannes, aber ich denke sogar, wir Amerikaner verlieren gerade ein wenig von dem, was uns lange ausgezeichnet hat, und sind ganz ähnlich wie die Deutschen dabei, herauszufinden, wohin unsere Reise als Nation geht. Die ganze Welt ist in einer Art Schwebezustand, und alle versuchen immer individueller zu werden. In den 1990er-Jahren haben wir alle noch den gleichen Traum verfolgt: verheiratet, Kinder, Haus und ein gefestigtes, sicheres Leben. Dieses kollektive Streben gibt es heute in der Form nicht mehr.
Als New Yorker dürfte Ihnen Liza Minnellis Textzeile „If I can make it there, I’m gonna make it anywhere“ vertraut sein. Was stimmt Sie optimistisch, dass Sie es hier in Deutschland schaffen werden und sich ein Leben aufbauen können, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Charlton: Ich versuche mich jetzt, da ich etwas reifer und erwachsener geworden bin, noch intensiver mit der Kultur und der Sprache auseinanderzusetzen als während meiner ersten Zeit in Deutschland. Denn wenn ich in zwei Jahren die Sprache spreche, kann in über ein Weiterbildungsprogramm „richtiger“ Lehrer werden, jetzt bin ich ja erst einmal nur Assistant Teacher. Das eröffnet dann automatisch auch viele weitere Möglichkeiten – nicht nur finanziell. Außerdem habe ich die Unterstützung des Vereins und seiner Menschen. Ja, ich kann ganz gut Basketball spielen, aber Matthias hat mir von Anfang an gesagt, „Ich kümmere mich nicht um dich als Basketball-Spieler, ich kümmere mich um dich als Menschen und helfe dir, wobei ich kann.“
Und, Hand aufs Herz, wie läuft es mit dem Erlernen der Deutschen Sprache?
Charlton: Es läuft ganz gut, ich bin viel mit Duolingo beschäftigt und kann schon ein bisschen. Goran spricht im Training viel auf Deutsch – und Kroatisch (lacht). Es wird immer besser.