Wird die Eventbranche die Krise überleben?
"Alles, was derzeit an Veranstaltungen angeboten wird, sind selbstverordnete Beschäftigungstherapien für Veranstalter und Künstler", sagt Jens Michow vom Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. Seine Branche sieht er durch die Corona-Krise hart getroffen.
Herr Michow, welchen Schaden hat die Corona-Pandemie bislang in der Veranstaltungsbranche angerichtet?
Jens Michow: Wir haben der Politik eine ziemlich detaillierte Aufstellung gemacht. Die entgangenen Einnahmen bis Ende September betragen demnach etwa 4,7 Milliarden Euro. Zehn Prozent dieses Betrags haben wir als Schaden angesetzt, also 470 Millionen Euro. Das ist sehr konservativ gerechnet.
Wen hat es besonders hart getroffen?
Michow: Es hat die gesamte Branche besonders hart getroffen. Wenn man sich mal überlegt, dass zigtausende Veranstaltungen abgesagt wurden, dann bedeutet das ja nicht nur, dass es entgangene Gewinne gibt, es sind ja auch Vorbereitungskosten entstanden, die nunmehr verloren sind. Und jedes Konzert, was nachgeholt wird, ist ein neues Konzert. Dafür hat man genauso wieder Vorlaufkosten. Wir liefern hochverderbliche Ware. Das, was gestern nicht aufgebraucht wurde, ist verloren.
Sie selbst haben als Veranstaltungsunternehmer in den 80ern zusammen mit einem Geschäftspartner eine Insolvenz durchgemacht. Welchen Rat können sie Kollegen heute geben?
Michow: Es ging damals um viel Geld, welches ich bei Konzerten verloren habe, aber ich habe keine eidesstattliche Erklärung abgegeben, sondern unseren Gläubigern gesagt: Ihr kriegt euer Geld, es wird nur etwas dauern. Und Pfennig für Pfennig habe ich ganz artig alles abgezahlt. Heute bin ich Rechtsanwalt und mache auch sehr viel Insolvenzberatung. Da waren das wertvolle Erfahrungen, die ich heute unseren Mandanten weitergeben kann: Man muss mit Gläubigern sorgsam umgehen. Man trifft Zahlungsvereinbarungen, die man auch einhalten kann. Und wenn das mal nicht klappt, sitzt man das nicht aus, sondern meldet sich rechtzeitig vorher bei dem Gläubiger und teilt ihm mit, dass es Schwierigkeiten gibt. Das schafft Vertrauen. Aber das ist nicht vergleichbar mit der Situation, die wir zurzeit haben. Jetzt geht es darum, dass Menschen unverschuldet in eine Krise geraten sind.

Sie kritisieren die Politik für ihren Umgang mit der Veranstaltungsbranche. Warum?
Michow: Von dem 130 Milliarden schweren Konjunkturpaket gibt es für den gesamten Bereich der Kultur gerade mal eine Milliarde Euro. Das ist sehr viel Geld. Angesichts der Bandbreite von Wirtschaftsbereichen, die damit wieder auf die Beine gebracht werden sollen, relativiert sich der Betrag allerdings ganz erheblich. Da für den gesamten Bereich Musik gerade mal 150 Millionen eingeplant sind, werden die Veranstalter auch davon nur einen Bruchteil erhalten. Das ist für einen Neustart viel zu wenig – von einer Schadenskompensation ganz zu schweigen. Die Vielfalt unseres Kulturangebots ruht auf den Schultern ganz vieler Unternehmen. Viele werden diese Krise nicht überleben. Und das werden vor allem die kleineren Unternehmen sein. Wir brauchen aber gerade die kleineren, die die nicht so gewinnträchtigen Jazz-, Blues- und Folkkonzerte ausrichten. Wenn uns die wegbrechen, wird die Vielfalt unseres Kulturangebots erheblich leiden und nur noch der lukrative Mainstream übrig bleiben.
Die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern machen es vermutlich auch nicht einfacher.
Michow: Für Tourneeveranstalter ist das eine Katastrophe. Man kann keine Deutschlandtournee planen, wenn es in jedem Land unterschiedliche Auflagen und Veranstaltungsbedingungen gibt. Wir haben kein Verständnis dafür, dass es den Ländern nicht gelingt, uns den Neustart nicht zumindest durch koordinierte Veranstaltungsauflagen zu erleichtern.
Sie sagen andererseits ja auch selbst, bei Veranstaltungen die Abstandsregeln einzuhalten und gleichzeitig wirtschaftlich auskömmlich zu sein, das ist nicht machbar.
Michow: Auch wenn es nur Wenige verstehen: Solange von Platz zu Platz ein Abstand von 1,50 Meter eingehalten werden muss, lassen sich Veranstaltungen nicht wirtschaftlich durchführen. Natürlich finden nun überall wieder Veranstaltungen statt, bei denen aber in eine 1000er Halle nur 200 Personen eingelassen werden. Künstler und Veranstalter wollen wenigstens irgendwas machen, bevor gar nichts passiert. Aber es kann doch niemand ernsthaft glauben, dass dabei irgendjemand Geld verdient! Hallenmieten, Werbungs- und Personalkosten reduzieren sich doch nicht auf ein Viertel. Und auch das Publikum wird nicht den vierfachen Eintrittspreis zahlen wollen. Alles, was derzeit an Veranstaltungen angeboten wird, sind selbstverordnete Beschäftigungstherapien für Veranstalter und Künstler – mehr nicht.
Aber an der Abstandsregel werden Sie ja nicht wirklich rütteln wollen, oder?
Michow: Nein. Das ist mir auch ganz, ganz wichtig: Ich will nicht an irgendwelchen Maßnahmen, die dem Infektionsschutz dienen, rütteln. Es wird aber mit zweierlei Maß gemessen. Es wird billigend in Kauf genommen, dass die Leute in der Bahn dichtgedrängt stehen, in Kaufhäusern und auf Märkten zusammenkommen oder im Flieger wie gewohnt Platz an Platz zusammensitzen. Auch wir haben Modelle erarbeitet, wie ohne Abstandsregeln Infektionsschutz gewährleistet werden kann. Aber Veranstaltungen? Das ist derzeit chancenlos. Vielleicht sollten wir einfach demnächst in Flugzeugen veranstalten.
Warum sollte der Staat die Veranstaltungsbranche unterstützen?
Michow: Wir reden hier über eine Branche, die jährlich immerhin fünf Milliarden Umsatz macht, von der 130.000 Erwerbstätige wirtschaftlich abhängig sind, da sie nur Geld verdienen, wenn Veranstaltungen stattfinden. Die gesamte Musikwirtschaft hängt im Wesentlichen vom Live-Geschäft ab. Davon leben nicht nur die Künstler sondern auch die Autoren, Musikverleger und Tonträgerproduzenten. Und das, finde ich, sollte man als Politiker etwas ernster nehmen.
Das waren alles wirtschaftliche Gründe. Gibt es noch andere Gründe, warum wir als Gesellschaft Festivals und Konzerte brauchen?
Michow: Nietzsche hat mal gesagt, ein Leben ohne Musik wäre ein Irrtum. Musik kann Balsam für die Seele sein, sie produziert Glückshormone, prägt Menschen. Live-Konzerte bieten das eben nicht nur als Konserve, sondern lassen so etwas wie eine persönliche Beziehung zu den Künstlern entstehen, schaffen Emotionen. Dieses Gemeinschaftserlebnis, dieses miteinander Klatschen, miteinander Singen - das ist ein einzigartiges Erlebnis, das sie durch keinen Stream ersetzen können. Gerade in Krisenzeiten gibt der Konsum von Musik Mut, Geborgenheit und Wärme und könnte wesentlich zu einer Rückkehr zur Normalität beitragen. Musik ist für das Wesen des Menschen, für seine Sozialisation und auch für seine Bildung ein ganz wichtiger Faktor. Und das vermittelt eben auch das Konzert- oder Festivalerlebnis.
Fünf Jahre in die Zukunft geblickt: Wie wird die Krise den Veranstaltungssektor verändert haben?
Michow: Ich höre zunehmend, dass es insbesondere große Events zukünftig nicht mehr geben wird. Ich hoffe das nicht. Die Situation wird sich irgendwann wieder erholen und zwar definitiv, wenn es einen Impfstoff gibt. Und man sieht derzeit ja, wie sehr sich die Menschen nach der Rückkehr zur Normalität sehnen. Und auch Großveranstaltungen wird es weiter geben. Menschen wollen einfach die großen Stars erleben, und das lässt sich zu erträglichen Eintrittspreisen nur darstellen, wenn man das gleichzeitig möglichst vielen Menschen ermöglicht.
Ein Sommer ohne Festivals
-
Fünf außergewöhnliche Festival-Momente aus der Region
-
Quiz: Wie gut kennen Sie die regionale Festivalszene?
-
Wie erfolgreich sind die Festivals in der Region?
-
Wird die Veranstaltungsbranche die Krise überleben?
-
Stefanie Heinzmann spielt 2021 wieder beim Blacksheep-Festival
-
Vier Jahre warten auf drei Tage Party
-
Sind Social-Distancing-Konzerte sinnvoll?
-
Was die Faszination eines Festivals für einen Dauergast ausmacht