Sind Social-Distancing-Konzerte sinnvoll?
Wegen der Corona-Pandemie sind größere Veranstaltungen derzeit nicht möglich. Sind Social-Distancing-Konzerte, bei denen das Publikum Abstand hält, eine Alternative für die nahe Zukunft? Unsere Autoren sind geteilter Meinung.
Pro: Social-Distancing-Konzerte sind eine wichtige Hilfe in der Not
Von Ranjo Doering
Die Konzertwelt befindet sich aufgrund der Covid-19-Pandemie immer noch weitestgehend im Stillstand. Eine Besserung scheint trotz erster kleinerer, meist open air veranstalteter Auftritte nicht in Sicht. Es gibt wohl kaum einen Musikfan, der sich in dieser Phase des Ausnahmezustands nicht danach sehnt, endlich wieder ein "normales" Konzert zu besuchen, in einer feiernden Masse aufzugehen und einen Auftritt seines Lieblingskünstlers mit Tausenden Fans live anzuschauen. Das wird erst einmal nicht möglich sein. Natürlich ist das Konzerterlebnis ein anderes, ausverkaufte Hallen oder ein intimes Clubkonzert - das wird es in absehbarer Zeit nicht geben.
Doch gerade in dieser schwierigen Phase brauchen Musikerinnen und Musiker Unterstützung, Social-Distancing-Konzerte sind ein wichtiger Bestandteil dessen. Vor allem in Zeiten, in denen Künstler durch fast nicht mehr vorhandene CD-Verkäufe und minimaler Rendite durch Streaming-Anbieter mehr denn je auf Einnahmen durch Live-Tourneen und dem Verkauf von Merchandise angewiesen sind.
An Live-Auftritten hängen viele Jobs
Fakt ist: Ein online präsentierter Live-Stream kann ein Konzerterlebnis niemals ersetzen. Auch in Corona-Zeiten nicht. Wenn am Eingang die Körpertemperatur gemessen wird, Toiletten gesperrt bleiben und Desinfektionsmittelspender übergangsweise Teil eines Konzertabends werden. Das ist nicht schön, aber ertragbar. Ebenso kann man den Abstand von 1,5 Metern für eine gewisse Zeit in Kauf nehmen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er kann sich arrangieren. Und sicher ist auch: Es wird nicht für immer so bleiben. Spätestens mit einem Impfstoff wird sich die Lage wieder weitestgehend normalisieren.
Natürlich ist davon abzuraten, jetzt einfach wieder zur Normalität zurückzukehren. An Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln darf nicht gerüttelt werden. Doch jedem muss klar sein: Es geht nicht nur einfach um Konzerte. Für Künstler ist eine Live-Show vor Menschen ein Wiedereintritt in die eigene Arbeit. Der direkte Kontakt zum Publikum und den Fans ist wichtig zur Vermarktung, zur Steigerung der Popularität und damit auch zum finanziellen Überleben.
Manch einer vergisst auch, dass sehr viele Arbeitsplätze an Kulturveranstaltungen hängen. Abgesehen vom Künstler geht es auch um Veranstalter, Techniker, Beleuchter, Caterer, um Bühnen-Crews bis hin zu den Menschen an Garderoben, an den Merchandise- und Getränkeständen.
Man muss als Musik-Fan zurückstecken können
In der Realität laufen die Beschränkungen oft noch darauf hinaus, dass Clubs nicht kostendeckend arbeiten können, den Betrieb insgesamt pausieren und alle Veranstaltungen absagen oder verschieben müssen. Deshalb sind Lösungen gefragt, die sich für alle Beteiligten auch finanziell rentieren. Je vernünftiger und verständiger angesichts der Situation agiert wird, desto mehr wird das Publikum vertrauen und die Aufführungen und Veranstaltungen wieder nutzen. Durchdachte, attraktive und vor allem sich rechnende Sicherheits- und Aufführungskonzepte sind deshalb der logische nächste Schritt. Was gebraucht wird, ist eine gelungene Gratwanderung zwischen Vorsicht und Unterstützung für Clubs, Konzerthallen, Veranstalter und Musiker.
Wie das funktionieren kann, hat sich in einigen Ländern schon gezeigt. In Schweden, Großbritannien und der Schweiz fanden erste Social-Distancing-Konzerte statt. Auch bei einem Auftritt von Popmusiker Wincent Weiss in der Kölner Lanxess Arena wurde der Abstands-Betrieb bereits erfolgreich geprobt. Und selbst ein Open-Air-Festival ist in Corona-Zeiten möglich: Das Stendhal-Festival findet unter Einhaltung der Vorlagen im August in Nordirland statt und unterstützt besonders Indie-Musiker aus der Region.
Ideen zur Umsetzung gibt es viele: Gelände, auf denen man eine eigene Plattform zugewiesen bekommt, leere Stühle, die den Abstand zum nächsten Konzertbesucher garantieren, Getränke, die einem vom Team vor Ort an den Platz gebracht werden.
Auch wenn das Gefühl einer ausverkauften Halle, ein Lichtermeer mit Handys und das gemeinschaftliche Erleben einer Live-Veranstaltung im Moment nicht wie gewohnt möglich ist: Als Fan gilt es jetzt, ohne das eigene Sicherheitsgefühl außer Acht zu lassen, ein wenig zurückzustecken. Denn es geht um nichts weniger als eine ganze Branche. Besonders kleineren Veranstaltern droht durch die Corona-Pandemie sonst das Aus. Also, lasset die Social-Distancing-Konzerte beginnen!
Contra: Mit Social-Distancing-Konzerten ist niemandem wirklich geholfen
Von Christoph Feil
Wie soll so ein Social-Distancing-Konzert eigentlich ablaufen? Am Einlass wird mir womöglich Fieber gemessen und ich muss ein Formular ausfüllen. Drinnen steht dann an jeder Ecke Desinfektionsmittel bereit. Habe ich meinen Platz eingenommen, darf ich vielleicht auch meinen Mund-Nasen-Schutz abnehmen. Und wenn ich nicht sowieso die ganze Zeit in einer Plexiglasbox verbringe, habe ich permanent darauf zu achten, auch ja ausreichend Abstand zu meinen Mitmenschen einzuhalten. Nicht zuletzt der Toilettengang kann da zum Spießroutenlauf werden.
Sind wir mal ehrlich: So kommt doch keine Stimmung auf. Oder? Aber genau darum geht es doch bei einem Konzert. Ausgelassen, entspannt und unbesorgt zu feiern. Gemeinsam mit vielen anderen Live-Musik genießen. Dabei mitzusingen und mitzutanzen. Losgelöst vom Alltag. Die traurige Wahrheit ist aber: Das Corona-Virus gehört seit fast einem halben Jahr zu unserem Alltag, ja es bestimmt ihn sogar auf beispiellose Weise. Vor den Security-Mitarbeitern an den Eingangspforten macht es nicht Halt. Ohne die oben beschriebenen Schutzmaßnahmen geht es nun mal nicht. Denn Sicherheit muss sein.
Übrigens: Eine Preiserhöhung vermutlich auch. Ein Ticket dürfte dann locker das Doppelte kosten. Denn wie sollen die Veranstalter bei gleichen Kosten aber "abstandsbedingt" weniger Besuchern andernfalls über die Runden kommen? Bei nicht wenigen Veranstaltern dürfte die finanzielle Lage ohnehin schon prekär sein. Darum werden sie auch kaum weitere Risiken eingehen. Denn niemand garantiert ihnen ja, dass - nur weil sie in diesen Zeiten ein Event auf die Beine stellen - auch bis auf den letzten Platz alles besetzt sein wird.
Und so sehr Künstler auf die Einnahmen aus Live-Auftritten inzwischen angewiesen sind: Es dürfte für sie doch eine ziemlich deprimierende Veranstaltung sein, bei der sie vor halb-, wenn nicht sogar zu Dreiviertel leeren Rängen spielen müssen. Da verpufft jeglicher Applaus, da verpufft jegliches Mitsingen. Und an Crowdsurfing und Stagediving ist überhaupt nicht zu denken.
Der ganze Aufwand ist es nicht wert
Der ganze Aufwand ist es also nicht wert. Er würde nur unter hohem, zu hohem Aufwand den Apparat wieder zum Laufen zu bringen. Doch dazu ist es zu früh. Es gilt, noch abzuwarten. Wohl so lange, bis es einen Impfstoff gibt. Zumal: Wer Menschenansammlungen provoziert, kann nie sicher sein, dass sich auch alle an die Abstandsregeln halten.
Wer Musiker und Sänger jetzt also unterstützen möchte, der muss das eben auf eine andere Weise tun. Wie wäre es beispielsweise damit, dass man ihre CDs kauft, statt sie zu streamen oder gleich kostenlos im Netz zu hören? Solidarität lautet das Stichwort. Das bedeutet auch, dass man vielleicht nicht unmittelbar zum gleichen Wert das zurückbekommt, was man bereit war zu geben. Warum also nicht Geld spenden? Entsprechende Organisationen und Stiftungen gibt es. Etwa für die freie Szene oder lokale Künstler.
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