Cancel Culture oder die Grenzen des Zumutbaren
Ob Cancel Culture nur zum emotional aufgeladenen Modewort geronnen ist, untersuchen die verschiedenen Beiträge unseres aktuellen Wochenthemas unter anderem im Gespräch mit einem Kulturphilosophen und am Beispiel zweier Heilbronner Kulturskandale.
Sind wir zu empfindlich, zu schnell beleidigt? Wo liegen die Grenzen des Zumutbaren? Ist Cancel Culture als politisches Schlagwort ein ideologischer Kampfbegriff, der gerne von Rechtspopulisten genutzt wird, um berechtigte Proteste zu verunglimpfen? Der Begriff aus dem englischen Sprachraum beschreibt - wortwörtlich übersetzt - erst einmal Ungeheuerliches: die Praxis, etwas auszuradieren, zu löschen. Im weitesten Sinne sollen Personen oder Organisationen sozial ausgeschlossen werden, denen beleidigende oder diskriminierende Aussagen vorgeworfen werden. Das heißt, ihnen soll die öffentliche Plattform entzogen werden.
Von den Gegnern dieser Tendenz als Absage-, Lösch- oder Zensurkultur popularisiert, ist das Phänomen nicht neu, dafür so ambivalent wie seine Kritiker und Verteidiger schwer einzuordnen sind. Der Vorwurf einer Cancel Culture bedeutet heute nicht selten eine Generalverurteilung nicht nur der politischen Linken. Auch liberale und konservative Künstler und Wissenschaftler sehen sich als Opfer, wenn sie nicht im Mainstream schwimmen.
Dass Cancel Culture nicht nur zum emotional aufgeladenen Modewort geronnen ist, untersuchen verschiedene Beiträge unseres aktuellen Wochenthemas. Zwei Kollegen erproben sich im Pro und Contra, ob Cancel Culture unsere Meinungsfreiheit bedroht. Im Interview äußert sich ein Kulturphilosoph zu den Fallstricken von Cancel Culture. Wir listen einige prominente Beispiele des Phänomens auf, fragen nach, ob Straßennamen bekennender Antisemiten wie Richard Wagner unkommentiert bleiben dürfen. Und erinnern an einen Heilbronner Theaterskandal, der bundesweit Furore machte und bei dem die Stadt, sein Theater und seine Besucher Haltung bewiesen.