Fünf Diskussionen rund um Cancel Culture
Der Begriff Cancel Culture taucht seit einiger Zeit immer häufiger als Schlagwort in Debatten auf. Vor allem in den sozialen Netzwerken wird über prominente Fälle kontrovers diskutiert. Diese fünf Aufreger-Themen sorgten in den letzten Jahren (medial) für besonders großes Aufsehen.
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Dieter Nuhr
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) feierte im Jahr 2020 ihr hundertjähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläums startete sie eine Kampagne, bei der Personen aus allen gesellschaftlichen Bereichen sich in persönlichen Statements zur Bedeutung von Wissenschaft und zur Frage, warum sie selber sich für das Wissen entschieden haben, äußern konnten.
Auch Kabarettist Dieter Nuhr war mit einem Audio-Beitrag vertreten, in dem er unter anderem sagte: "Wissenschaft ist gerade, dass sich die Meinung ändert, wenn sich die Faktenlage ändert. Wissenschaft ist keine Religion. Und wer ständig sagt 'folgt der Wissenschaft', der hat das offensichtlich nicht begriffen." Die Aussage wurde von vielen als Anspielung auf den Satz "Hört endlich auf die Wissenschaft" der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg gedeutet. In den sozialen Medien, vor allem auf Twitter, hagelte es Proteste. Nuhrs Beitrag wurde anschließend von der Kampagnenwebsite entfernt. Die Löschung sorgte jedoch für weitere Kritik, viele User sprachen von Zensur.
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Joanne K. Rowling
Mit ihren Geschichten rund um den Zauberlehrling Harry Potter gelang der britischen Autorin Joanna K. Rowling ein Welterfolg: Über 500 Millionen Mal wurden ihre Bücher verkauft, in über 80 Sprachen übersetzt und die Abenteuer zu mehreren erfolgreichen Kinofilmen adaptiert. 2020 geriet die Bestsellerautorin mit Tweets über Transpersonen jedoch in die Kritik. So teilte sie beispielsweise einen Zeitungsartikel, in dem es um "menstruierende Menschen" geht und zog dabei die Formulierung ins Lächerliche: „Ich bin sicher, dass es früher ein Wort für diese Menschen gab. Kann jemand helfen?". In Anspielung auf das englische Wort „Women“ schrieb sie weiter: „Helft mir. Wumben? Wimpund? Woomud?“.
Das biologische Geschlecht sei, so Rowling, eine Realität. Transgender-Aktivisten kritisierten die Äußerungen, im Internet wurde anschließend mehrfach zum Boykott von Rowlings Werken aufgerufen. In einer Serie von weiteren Tweets versuchte die Schriftstellerin anschließend, ihre Position zu verdeutlichen und ihre Kritiker zu besänftigen.
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Lisa Eckhart
Lisa Eckhart ist eine Kabarettistin, die mit ihrer Kunstfigur, die sie auf der Bühne spielt, bei vielen Menschen aneckt. Im September 2020 sollte die Österreicherin beim Debütantensalon des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg auftreten und aus ihrem Debütroman "Omama" lesen. Doch der Veranstalter hatte Sicherheitsbedenken, befürchtete Proteste aus der autonomen Szene, teilte per Mail mit, dass "Sach- und Personenschäden wahrscheinlich" seien. Eckhart wurde vom Festival ausgeladen. Die Festivalleitung erklärte ihren Schritt damit, dass man als Veranstalter die Verantwortung für den Schutz des Publikums und der auftretenden Künstler trage.
Eckhart steht immer wieder in der Kritik, weil ihr Kabarettprogramm antisemitische, homo- und transfeindliche, rassistische Witze enthält. Für Aufsehen sorgte auch ein Auftritt in der WDR-Sendung "Mitternachtsspitzen", in der sie 2018 gefragt hatte, ob die Metoo-Bewegung nicht antisemitisch sei, da Harvey Weinstein, Woody Allen und Roman Polanski Juden seien. Eine weitere Einladung des Literaturfestivals lehnte Lisa Eckhart ab.
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Dave Chappelle
Der US-Komiker Dave Chappelle ist ein Mann, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Mit seinem Comedy-Special "The Closer", das im Oktober 2021 beim Streamingdienst Netflix startete, sorgte er für großes (mediales) Aufsehen. In der Show erklärt der Comedian unter anderem, dass seiner Meinung nach Transpersonen eine "zu dünne Haut" hätten: "In unserem Land kann man einen Schwarzen erschießen, aber du verletzt besser nicht die Gefühle einer schwulen/lesbischen Person." Zudem hatte er noch Trans-Frauen mit der als rassistisch verpönten Darstellungsmethode des Blackfacing verglichen.
Kritiker werfen Chappelle vor, mit einigen besonders drastischen Aussagen in seinem Special möglicher Gewalt gegen Transgender Vorschub zu leisten. Vor dem Netflix-Sitz in Los Angeles versammelten sich nach Veröffentlichung der Show Dutzende Menschen, um gegen die Show zu protestieren. Auch mehrere Organisationen, Fans und Netflix-Mitarbeiter äußerten sich negativ über das Comedy-Special. Chappelle kündigte daraufhin an, offen für einen Diskurs zu sein.
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Feine Sahne Fischfilet
Im November 2018 untersagte die Stiftung Bauhaus Dessau dem ZDF die Veranstaltung und Aufzeichnung eines Konzerts der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet. Der Auftritt sollte in der Reihe zdf@bauhaus laufen. Zur Vorgeschichte: Im März 2017 habe es vor dem Bauhaus einen Aufmarsch von mehr als 120 Neonazis und Rechtsradikalen gegeben, den man rechtlich nicht verhindern konnte. Nun beobachte man, dass Rechtsradikale aus der Region im Internet gegen das Konzert mobil machten, sagte die Stiftung.
Vor allem im Internet wurde die Konzertabsage in Dessau von vielen Menschen als Einknicken vor der rechten Szene und als geschichtsvergessen kritisiert. Die Band Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern tauchte zwischen 2011 und 2014 viermal im Verfassungsschutzbericht auf, wegen vermeintlich staats- und polizeifeindlicher Passagen im Lied "Staatsgewalt" aus dem Jahr 2009. Von dem Song distanzieren sich die Musiker heute. Die Band trat trotzdem in Dessau auf - jedoch auf dem Grundstück der alten Schultheiß-Brauerei.
Fotos: dpa/Axel Heimken/Christoph Soeder/Marcel Kusch/Jens Norgaard Larsen/Imago/Zuma Press