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Jeder sollte verstehen können, wer Richard Wagner war

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Der Komponist war ein geistiger Wegbereiter des Antisemitismus. Sollte dies auf Straßenschildern kenntlich gemacht werden? Eine Analyse.

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Ein Genie mit vielen Schattenseiten: Richard Wagner. Foto: dpa
Ein Genie mit vielen Schattenseiten: Richard Wagner. Foto: dpa  Foto: dpa

Nachdem Richard Wagner 1883 in Venedig gestorben war, wurde die Überführung seines Leichnams nach Bayreuth zum Staatsakt. "Ein Koloß war gefallen und die Welt hatte gebebt", schreibt sein Biograf Richard Gutman. Anhänger wie Kritiker nahmen Abschied von einem der berühmtesten, wenn auch umstrittensten Komponisten Europas des 19. Jahrhunderts.

Soll eine Persönlichkeit besonders gewürdigt werden, werden Plätze nach ihr benannt, Turnhallen oder Schulen. Es ist eine tägliche Begegnung mit Geschichte. Über die Benennungen entscheiden Kommunalvertreter. Sie müssen mit dieser Aufgabe verantwortungsvoll umgehen: Niemand sollte in einer Schule lernen müssen, deren Namensgeber Werte mit Füßen getreten hat. Weil das nicht immer geschieht, kommt es vor, dass Entscheidungen diskutiert werden.

Lauffen weist auf belastetes Erbe hin

Das ist gerade in Lauffen am Neckar geschehen, wo vor Jahrzehnten Wege und Straßen nach den Dichtern August Lämmle, Hermann Löns und Reichskanzler Otto von Bismarck benannt wurden. Die drei haben jedoch im Nachhinein schwer Begreifbares getan: Lämmle wurde bei den Nürnberger Prozessen als NS-Mitläufer eingestuft, Bismarck trieb die deutschen Kolonial-Ambitionen voran, Löns war ein Sexist und diffamierte Juden. Ihre Straßenschilder in Lauffen sollen jetzt einen Zusatz erhalten, um auf das belastete Erbe der Namensgeber hinzuweisen.

Richard Wagners Name ist ebenfalls auf Straßenschildern zu lesen. In der Region gibt es sie in Eppingen und Leingarten, in Beilstein, Obersulm und in Heilbronn. Sie ehren das Werk einer herausragenden Erscheinung in der Musikwelt. Das Genie, das dieses Werk erschaffen hat, war jedoch bei allem immer noch Mensch auch mit Schattenseiten: Wagner war erst Antijudaist, dann früher Antisemit, und noch dazu wurde er nicht müde, dies mitzuteilen.

Darf man Wagners musikalische Verdienste dennoch im öffentlichen Raum anerkennen? Darf man den Menschen vom Künstler trennen, wenn es nicht mehr um eine rein private Entscheidung geht?

Hartnäckiges Beharren auf naturgegebenen Unterschieden

Wagners bekannteste Hetzschrift ist "Das Judentum in der Musik", die er 1850 zunächst anonym veröffentlichte und fast 20 Jahre später unter seinem eigenen Namen wieder auflegte. Er macht darin die Synagoge und ihre Musik lächerlich und verunglimpft Juden. Dabei war Wagner in weiten Teilen nicht einmal besonders originell. Er nutzte für seine Ausfälle jahrhundertealte Ressentiments, doch war er auch Vorreiter: Er hielt mit einer Hartnäckigkeit an den seiner Meinung nach naturgegebenen Unterschieden zwischen Juden und Nichtjuden fest, die weit über das hinausgeht, was aus anderen antijüdischen Texten dieser Zeit bekannt ist.

Das "Judentum in der Musik" stammt aus der Feder eines Komponisten, der sich wegen seiner Verwicklungen in die Revolution von 1848/1849 im Exil in der Schweiz wiederfand, steckbrieflich gesucht wurde und seine Werke kaum noch aufführen konnte. Richard Wagner war gescheitert und machte für das Schlechte in seinem Leben die Juden verantwortlich. Lag das an seiner Zerrüttung mit Giacomo Meyerbeer?

In den Jahren von 1839 bis 1842 versuchte Wagner in der Pariser Opernwelt auf sich aufmerksam zu machen und setzte seine Hoffnungen in den zu dieser Zeit berühmtesten europäischen Opernkomponisten. Meyerbeer, Künstler jüdischen Glaubens, sollte ihm helfen, seine Werke auf die Bühnen zu bekommen. Das Bemühen misslang. Wagners Wut entlud sich fast zehn Jahre später.

20 Jahre später kein Ausrutscher mehr

Man könnte die frühe Schrift als Ausrutscher eines gekränkten Künstlers abtun, der vor seinem persönlichen Scherbenhaufen stand und versuchte, dafür in Giacomo Meyerbeer einen Sündenbock zu finden. Das erklärt aber nicht, warum Wagner das "Judentum in der Musik" 1869 erneut veröffentlichte. Meyerbeer war zu dieser Zeit tot und Wagner längst eine Berühmtheit der europäischen Opernwelt. Dass sich ein solcher Künstler "zum Wortführer des Antisemitismus gemacht hatte, blieb unvergessen", schreibt der Wagner-Forscher Jens Malte Fischer. Richard Wagners Schrift hatte fatalerweise auch dazu beigetragen, dass der Antisemitismus, der bis dahin weitgehend als Hintertreppenbewegung galt, durch seine Wortmeldung salonfähig wurde.

Ein Wagner-Verehrer namens Adolf Hitler

Die Schriften, in denen Wagner bis zu seinem Tod gegen die Juden anschrieb, füllen Bände. Die Nationalsozialisten griffen seine Texte später auf. Der NS-Propagandaminister Joseph Goebbels schrieb 1937: "Was der Jude ist, hat uns Richard Wagner gelehrt." Adolf Hitler war glühender Wagner-Verehrer.

Die Richard-Wagner-Straße in Heilbronn wurde 1933, dem Jahr der Machtergreifung Hitlers, nach dem Komponisten benannt. So steht es im städtischen Verzeichnis der Straßennamen.

Richard Wagner lässt sich kaum persönlich für das Grauen mitverantwortlich machen, das Jahrzehnte nach seinem Tod begangen wurde. Eine Rolle dabei, dass die Nationalsozialisten seine Person und sein Werk so mühelos vereinnahmen konnten, spielten auch seine Erben. Das jedoch entlastet Wagner nicht von seiner Verantwortung, dass er sich auch in seinem Selbstverständnis als geistiger Wegbereiter des Antisemitismus sah, wie ein Tagebucheintrag von Cosima Wagner aus dem Jahr 1879 zeigt: Sie beschreibt, wie das Ehepaar eine Rede des antisemitischen Agitators Adolf Stoecker liest. "Wir lachen darüber, dass wirklich, wie es scheint, sein [Richard Wagners, Anm. d. Red.] Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat."

Im öffentlichen Bewusstsein bleiben

"Man sollte Wagner spielen, aufführen, ansehen, hören, wenn man denn will", urteilt Wagner-Forscher Fischer, "sich aber dabei bewusst bleiben, welcher Ideologie dieser große Komponist Wort und Stimme geliehen hat."

Das muss auch im öffentlichen Bewusstsein bleiben. Man muss Wagner nicht aus dem Straßenbild streichen. Es ist aber notwendig, den Künstler und Menschen so einzuordnen, dass jeder verstehen kann, was er war: ein Antisemit.

 

45 Namen

In München hat das Stadtarchiv auf Veranlassung des Stadtrates alle Straßen auf mögliche Belastungen ihrer Namensgeber untersucht. Ende September wurde eine Liste mit 45 Namen veröffentlicht, bei denen die Beteiligten erhöhten Diskussionsbedarf für eine Umbenennung sehen: Darunter Richard Wagner und der katholische Pfarrer und Autor Heinrich Hansjakob (1837-1916). In Heilbronn ist nach ihm die Hansjakobstraße benannt. Auch er steht wegen antisemitischer Äußerungen in der Kritik. Beraten darüber soll jetzt zunächst ein Expertengremium, das dann eine Empfehlung an den Stadtrat gibt.

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Kommentare

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Hans-Ulrich Wagner am 10.11.2021 11:45 Uhr

War es vielleicht ein Vorfahre meiner Familie? Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich bestimmt, dass viele nicht wissen, wer Richard Wagner war. Ich wohne in Böckingen in einem Weg, der ebenfalls nach einem bedeutenden - allerdings österreichischen - Komponisten benannt wird.
Sehr viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen es nicht.

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am 09.11.2021 21:45 Uhr

Bei allem Verständnis, aber da muss man schon mal hinterfragen ob man nicht zuerst die Festspiele in Bayreuth verbieten sollte. Niemand der sogenannten besseren Gesellschaft huldigt in Abendrobe und Frack einem Namen auf einem Straßenschild. Die Leute die dort hingehen wissen um Wagners Ideologie und wer dessen größter Fan wurde. Auch unsere ehemalige Kanzlerin zeigte sich bei dieser Gelegenheit so aufgeknöpft wie niemals zuvor und auch wie niemals wieder. Die meisten Passanten wissen ohnehin nicht, wem denn da wo auf einem Straßenschild ein bescheidenes Andenken bewahrt wird. Da lob ich mir eine Armsündersteige oder eine Oststraße - völlig unverdächtig oder?.

Willy Brandt hat sich sicherlich auch einen schöneren Platz verdient.

Immerhin kann im Gemeinderat bei der Bennenung von Straßen und Plätzen jeder sein Wissen platzieren, was man bei der Beratung des städtischen Haushaltes nicht behaupten kann.

Jürgen Mosthaf

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am 10.11.2021 09:28 Uhr

Sauber, ein knackiger Kommentar und weg ist der Artikel. Von der Titelseite in die Versenkung. Schade, da hätten doch so viele gerne mitgeredet.

Jürgen Mosthaf

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