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Wie Experten Täter anhand ihrer Sprache erkennen

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Auch wenn wir reden und schreiben, hinterlassen wir Spuren. Experten können diese kriminaltechnisch auswerten. Der wohl prominenteste Fall mit Bezug zur Region, bei dem Sprachwissenschaflter zum Einsatz kamen, ist die Würth-Entführung im Jahr 2015.

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Mit unserer Sprache hinterlassen wir Spuren. Deshalb analysiert die Polizei bei ihren Ermittlungen auch Texte - zum Beispiel aus Droh- oder Erpresserbiefen. Foto: dpa
Mit unserer Sprache hinterlassen wir Spuren. Deshalb analysiert die Polizei bei ihren Ermittlungen auch Texte - zum Beispiel aus Droh- oder Erpresserbiefen. Foto: dpa  Foto: Martin Gerten (dpa)

Möglicherweise wollte er sein Gegenüber beruhigen. Bei einem Erpressungsfall können die Nerven der Beteiligten immerhin ziemlich flattern. "Machen Sie sich keine Sorgen, ich weiß, dass es für Sie eine stressige Situation ist", sagte der Täter zu einem Kurier. Dieser sollte das erpresste Geld an einem bestimmten, kurzfristig übermittelten Ort hinterlegen. Doch aus irgendeinem Grund sprach der Täter mit dem Kurier nicht Deutsch, sondern Englisch: "Don"t worry, I know it"s a stressy situation for you".

"Vielleicht wollte er damit vortäuschen, dass er ein internationaler Täter ist, vielleicht hat er das Sprechen auf Englisch auch als reine Verschleierungsstrategie benutzt", erklärt Britta Schmitz von der Pressestelle des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden. So oder so: Nicht zuletzt sein R und sein S wurden dem Täter zum Verhängnis. Denn das R in "stressy" sprach er - im Englischen ungewöhnlich - mit der Zungenspitze und das Doppel-S als stimmhaften Reibelaut. "Solche und andere Merkmale deuteten darauf hin, dass der Sprecher aus dem fränkischen Raum kam, was korrekt war und bei der Ermittlung half", berichtet Britta Schmitz.

Untersucht werden Textnachrichten ebenso wie handgeschriebene Briefe

Der Fall zeigt: Auch mit unserer Sprache hinterlassen wir Spuren. Experten können sie kriminaltechnisch auswerten und Ermittler so bei der Suche nach einem Täter unterstützen. Der wohl prominenteste Kriminalfall mit Bezug zur Region, bei dem Sprachwissenschaftler zum Einsatz gekommen sind, ist der Entführungsfall Würth (siehe Hintergrund).

Mit geschriebener Sprache befasst sich laut Britta Schmitz die forensische Linguistik, mit gesprochener Sprache die forensische Phonetik. Textnachrichten, die per Smartphone verschickt wurden, nimmt die forensische Linguistik dabei ebenso unter die Lupe wie etwa handschriftliche Briefe. Das bekannteste Beispiel dürfte der Erpresserbrief sein. Doch dieser, so Britta Schmitz, macht nur einen Teil des Materials aus, das von der forensischen Linguistik untersucht wird.

Weniger bekannte Einsatzgebiete seien Fälle, in denen etwa Straftäter versuchen, den Tod ihres Opfers zu verschleiern, indem sie unter dessen Profil weiterhin in sozialen Netzwerken texten, oder Stalkingfälle, in denen verleumderische Briefe, E-Mails oder Nachrichten anonym oder unter dem Namen einer anderen Person versandt werden. Schmitz: "Da prinzipiell bei jeder Straftat ein Text ermittlungsrelevant sein kann, arbeiten wir auch an sehr verschiedenen Texten und Textsorten." Die forensische Phonetik wiederum hat es neben Drohanrufen zum Beispiel auch mit Fällen zu tun, in denen Stimmen miteinander verglichen werden müssen.

Stimme, Sprechweise, Sprache: Nach was die Experten Ausschau halten

Zwar gebe es zwischen der forensischen Linguistik und Phonetik viele Gemeinsamkeiten, letztlich sind sie aber so speziell, dass sie "nicht von Wissenschaftlern der jeweils anderen Disziplin ausgeübt werden können", erklärt Britta Schmitz. Bei der Bewertung sprachlicher Merkmale etwa zu beachten: Im Gegensatz zu gesprochener Sprache kann geschriebene Sprache umfassend überarbeitet worden sein. Insgesamt, so die BKA-Sprecherin, sei die Ergebnisdarstellung einer solchen Analyse nicht mit den Ergebnissen einer DNA-Analyse vergleichbar.

Dennoch: Je nach Qualität einer Sprachaufnahme und Forschungsstand können die forensischen Phonetiker beispielsweise Rückschlüsse auf das Alter, Geschlecht, den Dialekt und die Muttersprache ziehen. Dazu teilen sie die Merkmale, die sie sich genauer anschauen, grob in drei Bereiche ein: Stimme, Sprechweise, Sprache.

Täter lassen sich einiges einfallen, um falsche Fährten zu legen

Während die Stimme auch von der Anatomie (etwa der Stimmbänder) abhängig ist, bezieht sich die Sprechweise unter anderem darauf, wie schnell jemand spricht, und die Sprache hängt von regionalen und sozialen Faktoren ab.

Um nicht wiedererkannt zu werden oder den Verdacht auf jemand anderen zu lenken, lassen sich Täter mitunter einiges einfallen. Sie imitieren beispielsweise einen anderen Dialekt, sie tun so, als hätten sie einen ausländischen Akzent oder sie verstellen ihre Stimme. "Dabei können recht extreme Methoden verwendet werden, beispielsweise ein sehr rau-krächzendes Sprechen, ein sehr langsames telegrammartiges Sprechen oder ein Sprechen mit zugehaltener Nase", erklärt Britta Schmitz.

Solche falschen Fährten können den Experten zwar die Arbeit tatsächlich erschweren, da einige sprachliche Merkmale wegfallen. "Allerdings bleiben andere Merkmale erhalten, weil sich ein Sprecher selten auf mehr als eine oder zwei Verstellungsstrategien konzentrieren kann. Außerdem werden die Verstellungsstrategien oft nicht durchgehalten", so die BKA-Sprecherin. Und so können schon ein R und ein S verräterisch sein.

Die Würth-Entführung

Im Juni 2015 wurde der damals 50 Jahre alte Sohn des Künzelsauer Milliardärs Reinhold Würth aus einer integrativen Wohngemeinschaft im osthessischen Schlitz verschleppt und einen Tag später in einem Wald bei Würzburg unversehrt gefunden. Zur Übergabe der drei Millionen Lösegeld ist es nach Angaben der Ermittler nicht gekommen. Im Zuge der Ermittlungen analysierten Sprachwissenschaftler einen Telefonanruf des Entführers. Demnach soll dieser zwischen 40 und 52 Jahre alt sein, ursprünglich aus der Region Sandzak, einem Grenzgebiet zwischen Serbien und Montenegro, stammen, von dort schon vor 2001 nach Deutschland eingereist sein und im Rhein-Main-Gebiet Deutsch gelernt haben. Im März 2018 nahmen Fahnder der hessischen Polizei und der Gießener Staatsanwaltschaft einen 48-Jährigen Serben aus Offenbach fest, von dem sie dachten, dass er der gesuchte Kidnapper sei. Im anschließenden Prozess wurde der Mann jedoch freigesprochen, weil das Gericht nicht davon überzeugt war, dass er an der Entführung beteiligt gewesen war und am Telefon die drei Millionen Euro Lösegeld gefordert hatte. Einem Gutachten zufolge sind zwar die Stimmen des Erpressers und des damaligen Angeklagten "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" identisch. Den Richtern fehlten jedoch weitere eindeutige Indizien, die den Mann eindeutig identifizieren würden. Im März dieses Jahr verwarf der BGH die Revision.

 

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