Zuerst die Software, dann das Auto
Bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge müssen die etablierten Hersteller in Zukunft kräftig umdenken. Der VW-Konzern will unter der Führung von Audi-Chef Duesmann ein eigenes Betriebssystem entwickeln.

Einfach war es noch nie, die Entwicklung eines neuen Autos war schon immer eine sehr komplexe Angelegenheit. In Zeiten der Digitalisierung wird es aber noch einmal ein ganzes Stück komplexer. Denn plötzlich rückt ein neues Thema in den Vordergrund, das nichts mit Spaltmaßen und Designkniffen zu tun hat. Wobei plötzlich relativ ist. der amerikanische Elektroauto-Pionier Tesla hat bereits vor Jahren damit begonnen, zuerst die Software zu entwickelt, dann den Rest des Autos. Eine Vorgehensweise, die von den etablierten Herstellern zunächst kritisch beäugt wurde, nun aber ebenfalls umgesetzt werden soll.
Software ist so wichtig wie der Antrieb
Software, das zeichnet sich deutlich ab, wird so wichtig wie der Antrieb. Sprachassistenten sollen fast alle fahrzeugbezogenen Wünsche erfüllen. "Mir ist kalt." Schon wärmt die Klimaanlage den Innenraum auf. "Navigiere zum nächsten italienischen Restaurant." Gesagt, getan. Knöpfe drücken war einmal. In Zusammenarbeit mit Microsoft hat Volkswagen eine ganze Reihe von Cloud-Diensten in seine Fahrzeuge gebracht. Alles praktische Funktionen für den Endkunden. Aber auch Funktionen, die die meisten Autobauer ohne Hilfe von außen heute noch nicht darstellen können.
Ohne schnelle Mobilfunknetze ist das digitale Gesamterlebnis aber ebenso wenig möglich wie ohne die Daten-Plattformen in der Cloud. Damit wird die bislang von den Maschinenbauern allein beherrschte Autowelt auf einmal abhängig von den viel größeren Internet-Riesen und Mobilfunkkonzernen. Der "Kampf der Welten um die Vorherrschaft bei der Mobilität der Zukunft", wie es Stefan Bratzel nennt, ist in vollem Gange.
"Das bisherige Universum der Autobranche, in dem die etablierten Automobilhersteller die dominante Rolle innehaben und fast im Alleingang die Spielregeln bestimmen, löst sich schrittweise auf", beschreibt der Leiter des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach den Wandel, der sich derzeit vehement beschleunigt. "Langfristig entsteht ein neues Mobilitäts-Universum, das von wenigen Akteuren kontrolliert wird", erwartet Branchenexperte Bratzel.
Innovationstempo der digitalen Welt ins Auto bringen
Das sorgt für Alarmstimmung in den Vorstandsetagen der Autohersteller. Denn nun geht es darum, das Innovationstempo der digitalen Welt ins Auto zu bringen. Denn die viel zitierte Generation Golf wurde längst zur Generation Smartphone abgelöst. Und dabei spielt es kaum eine Rolle, wie alt die Kunden sind. Der VW-Konzern will sich in Zukunft ebenso wie die Konkurrenz unabhängiger von Dienstleistern und Lieferanten machen und seine Software für neue Modelle selbst entwickeln.
Wie aufwendig das Thema ist, haben die Wolfsburger nun bei ihrem gerade eingeführten Elektroauto ID.3 gesehen. Denn ein paar Funktionen sind allen Bemühungen zum Trotz zum Start nicht verfügbar. Dazu gehören die Augmented Reality (computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung) beim Head-Up-Display, die Integration von Apple Carplay und Android Auto. Das alles soll zum Jahreswechsel mit einem umfangreichen Software-Update nachgeliefert werden.
Audi-Chef: "Tesla hat die Messlatte gesetzt."
Audi-Chef Duesmann ist keiner, der Dinge schönredet. Aber sie auch nicht schlechter macht als sie sind. "Wir haben etwas Nachholbedarf beim Thema Digitalisierung, explizit bei der Fahrzeugsoftware", hat der 51-Jährige unlängst im Gespräch mit der Heilbronner Stimme gesagt. "Da hat Tesla die Messlatte gesetzt, aber ich bin mir sicher, dass wir unseren Mitbewerber überholen werden." Dafür hat er nun auch die Verantwortung für die Entwicklung der konzerneigenen Fahrzeugsoftware übernommen, im Jahr 2024 soll sie an den Start gehen.
Christian Senger, zuvor Chef der Software-Einheit Car.Software.Org im VW-Konzern, musste nach den anfangs umfangreichen Schwierigkeiten beim neuen Golf und dem ID.3 seinen Hut nehmen. Nun wird die Zahl der IT-Spezialisten, die für die Fahrzeuge des Konzerns eine eigene Software entwickeln, sukzessive auf 10.000 verdoppelt.
Nach Informationen der Heilbronner Stimme sollen durch die neue Einheit Hardware, Betriebssystem und Anwendungen künftig voneinander getrennt entwickelt werden. Ferner sei es mit der neuen Software-Architektur unter anderem möglich, Software-Updates und Dienste ohne Besuch der Werkstatt kabellos - over the Air - einzuspielen. Mitbewerber Tesla bietet diese Funktion etwa schon seit Jahren an.
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