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Professor aus Bad Wimpfen fordert mehr Mut zur E-Trendwende

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Verbrennermotoren werden immer weniger gefragt sein - davon ist Niels Biethahn, Sprecher des Instituts für Automobil Forschung, überzeugt. Der Professor aus Bad Wimpfen empfiehlt Politik und Autobranche, sich schnellstmöglich auf E-Mobilität umzustellen.

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 Foto: Berger

Ministerpräsident Winfrid Kretschmann sagte vor wenigen Wochen, dass auch im Jahr 2030 ein großer Anteil der Neufahrzeuge noch Verbrenner sein würden. Stimmen Sie dem zu?

Niels Biethahn: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich dazu nicht äußern kann. Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang diese Aussage getroffen wurde.

 

Er sagte das der Wirtschaftswoche in einem Interview.

Biethahn: Generell sollte allen klar sein: Wir haben es mit einer Veränderung zu tun, die vermutlich vergleichsweise schnell ablaufen wird. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass immer mehr Staaten konkrete Termine für das Verbot von Verbrennermotoren aussprechen. Ich bin überzeugt davon, dass nur die Unternehmen überleben, die schnell genug sind, die Bedürfnisse der Kunden auch unter diesen Umständen zu befriedigen.

 

Werden Ihrer Einschätzung nach auch deutsche Unternehmen darunter sein?

Biethahn: Es ist doch auffallend, dass die Aktie von Tesla innerhalb eines Jahres um mehr als 700 Prozent gestiegen ist und an der Börse mehr wert ist als alle deutschen Hersteller zusammen. Die Märkte haben diese Veränderungen schon in den Werten der Unternehmen vorweggenommen.

 

Was sind die Folgen dieser Veränderungen für die in der Region Heilbronn ansässigen Firmen wie Audi und auch die Zulieferer sowie deren Mitarbeiter?

Biethahn: Ich kenne als Wissenschaftler nicht die Interna der Unternehmen, von daher kann ich diese Frage nur abstrakt beantworten. Vor dem Hintergrund, dass der Anteil der Verbrennerfahrzeuge in den nächsten Jahren national und international sinken wird, stellt sich die Frage, ab wann sich die Entwicklung und auch die Produktion von Verbrennermotoren für die betroffenen Unternehmen nicht mehr lohnen wird. Es wird immer schwieriger werden, die notwendigen Renditen zu erzielen.

 

Für viele ist heute das Ende des Verbrenners tatsächlich noch eine ferne Vorstellung.

Biethahn: Ich persönlich kann mir vor dem Hintergrund der im Vergleich zu anderen Branchen extrem langen Lebenszyklen vorstellen, dass sich mehr und mehr Marktteilnehmer früher oder später die Frage stellen werden, ab wann es sich nicht mehr lohnen wird, bestimmte Verbrennervarianten anzubieten. Auch vor dem Hintergrund der gesunkenen Auslastungen der deutschen Werke ist die Konsequenz daraus: Der Druck auf die Werke, die auf Verbrenner spezialisiert sind, wird noch weiter zunehmen. Die Werke, die flexibler und auch kostengünstiger produzieren können und die Werke, die schon nennenswerte Erfahrungen mit der Produktion von Elektrofahrzeugen haben, werden sicherlich eher Vorteile haben gegenüber den anderen. Die Umrüstung der Fertigung auf E-Fahrzeuge bedarf hoher Investitionen.

 

Darf die Belegschaft der bedeutenden Unternehmen in der Region weiterhin Hoffnung haben?

Biethahn: Meines Erachtens wird es in den nächsten Jahren die primäre Aufgabe der Sozialpartner sein, die klar erkennbaren Veränderungen an die Qualifikationen der Belegschaften der Werke proaktiv durch zum Beispiel gezielte Umschulungsmaßnahmen zu unterstützen. Viele Facharbeiter und Ingenieure sind auf die Fertigung von Verbrennermotoren spezialisiert. Dass der Bau von E-Fahrzeugen nicht unbedingt zu einer großen Entlassungsserie führen muss, hat eine gerade veröffentliche Studie der Unternehmensberatung BCG aufgezeigt.

 

Zu welchem Ergebnis kommt sie?

Biethahn: Dass der Arbeitsaufwand bei dem Bau eines kompletten Elektroautos ähnlich hoch sei wie bei dem eines mit Verbrennungsmotor. In Deutschland würden jedoch vergleichsweise viele Jobs verloren gehen, da viele Tätigkeiten wie die Batteriezellenfertigung nicht mehr von der deutschen Automobilindustrie oder den deutschen Zulieferern gemacht werden würde.

 

Wo sollen die Hochleistungsbatterien herkommen? Das weltweit gewonnene Lithium reicht nach Einschätzung des Heidelberger Instituts für Energie und Umwelt nie aus.

Biethahn: Es ist klar, dass der Anstieg der Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge zu einer starken Nachfrage nach einzelnen Rohstoffen wie Lithium führen wird. Eine Studie der Öko-Instituts aus 2018 hat sich der Frage gewidmet, ob es bei den Rohstoffen Lithium, Kobalt, Nickel, Graphit, Platin zu Engpässen kommen würde. Das Ergebnis besagt, dass das Angebot für den weltweiten Bedarf ausreichen wird.

 

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen forderte kürzlich vor dem Europäischen Parlament eine weitere Senkung der CO2-Ausstoßes bis 2030. Ist das realistisch?

Biethahn: Bis jetzt war das offizielle Ziel minus 40 Prozent. Jetzt ist von 55 Prozent die Rede. Diese Verschärfung ist notwendig, um das Ziel zu erreichen, dass die EU bis zum Jahr 2030 klimaneutral sein werden soll. Vor dem Hintergrund der auch für uns erkennbaren Folgen der Klimaveränderung sind diese Überlegungen für mich sehr nachvollziehbar. Siehe brennendes Kalifornien oder hier bei uns, der dritte Dürresommer in Folge.

 

Und was sind die Folgen dieser Pläne für die Automobilindustrie?

Biethahn: Es gibt Hoffnung, dass die Ziele in Zukunft, wenn sie gewollt sind, erreichbar sind: Laut einer Studie des International Council on Clean Transportation sind solche Zielwerte realistisch, wenn man von einem deutlichen Marktanteil von Elektrofahrzeugen und Plug-In-Hybriden für 2030 ausgeht.

 

Wie machen das andere Länder?

Biethahn: Einige - gerade europäische - Länder erhöhen den Druck auf die Branche, indem sie ankündigen, dass sie mittelfristig die Zulassung von Neufahrzeugen mit Verbrennermotoren verbieten wollen. In Norwegen wird das ab dem Jahr 2025 so sein. Ab 2030 folgen diesem Vorbild andere europäische Länder wie Dänemark, Irland, Niederlande, Schweden, Slowenien und ab 2035 viele weitere Länder, unter anderem der größte Automarkt in den USA, Kalifornien.

 

Der Motorenentwickler Friedrich Indra hält die E-Mobilität für einen Irrweg. Sie löse kein einziges Umweltproblem, sagt er. Benziner und Diesel sollten stattdessen weiter optimiert werden.

Biethahn: Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Hoffnung nicht erkennbar. Wenn man bei Autos rein auf Verbrenner setzen würde, hätten wir 2030 einen Ausstoß von 123 g/km bei Neufahrzeugen. Die Folgen wären für die Branche gravierend. Die Hersteller müssten pro Fahrzeug durchschnittliche Strafen von 6 795 Euro bezahlen. Elektromobilität ist der Antrieb, der im Auto vor dem Hintergrund des menschgemachten Klimawandels am ehesten zu vertreten ist. Wasserstoffantrieb, aber auch Hybridfahrzeuge werden die notwendige Reduzierung des CO2-Fußabdruckes nach herrschender Meinung der Wissenschaft nicht so leicht möglich machen.

 

Und was ist mit der geringen Reichweite?

Biethahn: Studien sagen aus, dass mehr als 71 Prozent der Nutzer weniger als 41 Kilometer und sogar 86 Prozent der Fahrer weniger als 85 Kilometer fahren. Das ist mit einem E-Auto selbst im Winter ohne Problem machbar. Und mehr als 60 Prozent der Fahrzeuge parken nachts in der eigenen Garage, wo sie in der Regel gut geladen werden können. Auch Langstrecken sind kein Problem mehr. Die Anzahl der Ladestationen in Deutschland ist innerhalb von zwei Jahren von 8800 bis zum zweiten Quartal 2020 auf 18 898 Stück gestiegen. Die Schnelllader ermöglichen vergleichsweise schnell, Energie nachzutanken.

 

E-Autos sind vielen Menschen allerdings noch zu teuer.

Biethahn: Wenn man sich nur die reinen Anschaffungskosten vor Abzug von Zuschüssen anschaut, mag dieser Eindruck entstehen. Der ADAC ist in einer Studie allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass - wenn man alle Kosten inklusive Wertverlust, Kraftstoff, Wertverlust berücksichtigt -, die Kosten pro gefahrenen Kilometer schon jetzt vergleichbar seien.

 

Was kann die Politik tun?

Biethahn: Es wird nicht zielführend sein, wenn die Politik weiterhin mehr oder weniger die Augen vor den notwendigen Veränderungen verschließt. Die Veränderungen kommen.

Zur Person:

Niels Biethahn (44) ist Professor der DHBW Heilbronn, verantwortet dort die Automotive-Branchenvertiefung. Er ist Sprecher des Dortmunder Instituts für Automobil Forschung. Zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern untersucht er, wie die Automobilbranche auf zukünftige Veränderungen reagieren könnte. Das Institut dient als Plattform zum Bündeln von Forschungsaktivitäten. Biethahn lebt mit Frau und zwei Kindern in Bad Wimpfen. Dieses Interview bildet den Abschluss unserer Serie zum Thema Mobilität.

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