Warum es Radfahrer in der Region schwer haben – und was andernorts besser läuft
In kleinen Schritten geht der Ausbau der Infrastruktur für Radfahrer in Heilbronn und Umgebung voran. Wie es besser geht, demonstriert Karlsruhe. Und: Andere Nationen sind den Deutschen mit Planung und Umsetzung Jahrzehnte voraus.

Kopenhagen und Amsterdam gelten als Vorbilder für sicheren Radverkehr in Städten. Politiker aus der Region, Land und Bund sind deshalb in den vergangenen Jahren immer wieder dorthin gereist, um zu verstehen, was Dänen und Niederländer anders machen. Der Blick ins Ausland scheint aber kaum dafür zu sorgen, dass Maßnahmen vor Ort schneller umgesetzt werden. Unsere Redaktion wollte wissen: Was bleibt konkret von den Exkursionen in unterschiedliche Fahrrad-Modellstädte?
Im Land wird lange geplant: Der Radwege-Ausbau in Baden-Württemberg geht nur schleppend voran. Von den 21 geplanten Radschnellwegen ist nur einer, zwischen Stuttgart und Böblingen, fertig, bei dem die Trasse bereits bestand. Der Schnellweg zwischen Heilbronn und Bad Wimpfen soll nicht vor Ende 2030 in Betrieb gehen, derzeit wird noch über den genauen Verlauf diskutiert.
Ausbau der Radwege: Exkursion nach Amsterdam motiviert Stadt Heilbronn

Heilbronn ist zufrieden: Der Heilbronner Gemeinderat war erst im Juli in Amsterdam. Die Exkursion habe "Möglichkeiten und Beispiele nachhaltiger Stadt- und Mobilitätsplanung präsentiert, die in künftigen Heilbronner Projekten Berücksichtigung finden können, sollen und werden", heißt es aus dem Rathaus in einer schriftlichen Antwort. Allerdings gebe es bislang noch keine konkreten Maßnahmen, die nach niederländischem Vorbild umgesetzt oder geplant seien. Die Exkursion habe aber "motiviert, an dem Thema der nachhaltigen Mobilität dranzubleiben", auch wenn "Amsterdam den Vorteil der Topographie genießt und anderen Städten den frühen Weitblick, vor 50 Jahren mit dem Umdenken zu beginnen, voraus hat".
Eine schnellere Umsetzung neuer Radwege scheitert demnach zumindest nicht mehr am Geld: Die Finanzierungsmöglichkeiten hätten sich durch viele Förderprogramme deutlich verbessert. Es gebe aber "dringenden Optimierungsbedarf" bei der schnellen Umsetzung von Planungsrecht und Genehmigungsverfahren. Und: "Ein zunehmendes Problem ist der Fachkräftemangel." Das Fazit von Oberbürgermeister Harry Mergel: "Der Ausbau der Radinfrastruktur in Heilbronn geht stetig voran." Das Radroutennetz werde sukzessive ausgebaut, Lücken würden geschlossen. "Damit geht auch die Erhöhung der Verkehrssicherheit einher", auch wenn abgetrennte Spuren für Radfahrer (sogenannte protected bike lanes) wegen des hohen Platzbedarfs kaum zu realisieren seien.
Fachkräftemangel verhindert schnellen Radwege-Ausbau in Neckarsulm

Neckarsulm baut schrittweise: "In puncto Radinfrastruktur haben die skandinavischen Länder tatsächlich die Nase vorn", wird der Neckarsulmer Oberbürgermeister Steffen Hertwig auf Anfrage zitiert. Neckarsulm komme "wegen des akuten Fachkräftemangels leider nicht so schnell voran wie gewünscht". So könne das Radverkehrsnetz nur schrittweise ausgebaut werden. Zu Verzögerungen komme es auch, weil bei manchen Projekten viele Beteiligte mitmischen.
Wie zum Beispiel beim geplanten Neubau der Bahnunterführung zwischen Karlsplatz und der Gottlieb-Daimler-Straße als Ersatz für den stillgelegten Bahnübergang Neckarstraße. Daran seien der Bund, die DB Netz AG und das Land beteiligt, durch gesetzliche Änderungen und Baukostensteigerungen müssten die Kosten neu verteilt werden, erst dann könne die Ausschreibung erfolgen. "In Deutschland gibt es zu viele verschiedene Zuständigkeiten. Vieles ginge schneller, wenn man die Strukturen projektbezogen vereinfachen könnte", so Hertwig.
Die Stadt listet einige Maßnahmen auf, die "erfolgreich umgesetzt" seien, wie etwa der "fahrrad- und fußgängertaugliche Neubau des Sulmstegs als wichtiger Radverknüpfungspunkt", die Umwidmung der Bleichstraße zur ersten Fahrradstraße der Stadt oder Fahrbahnmarkierungen, sogenannte "Sharrows". Das sind Symbole, die zeigen sollen, dass Autos und Fahrräder sich die Straße teilen. Aktuell würden zudem wichtige Radrouten einheitlich neu beschildert. Schwierig umzusetzen seien baulich getrennte Radwege - auf vielen Straßen in Neckarsulm fehle schlicht der Platz, so das Rathaus.
Das sagt der Fahrradclub ADFC zu der Radwege-Thematik

Das sagt der ADFC: Beim Fahrradclub ADFC kommen die Auslandsreisen zum Radverkehr nicht gut an. "Es wäre wichtiger, dass man sich Positivbeispiele in Baden-Württemberg anschaut", findet Matthias Zimmermann. Er ist ADFC-Landesvorsitzender und lehrt am Karlsruher KIT Straßenplanung. Amsterdam und Kopenhagen seien nach dem Krieg nicht zur autogerechten Stadt umgebaut worden, weshalb sie mit deutschen Städten kaum vergleichbar seien. "Sie müssen sich Flächen für den Radverkehr nicht so stark zurückerkämpfen, wie wir."
Im Land gebe es genügend Vorbilder, findet Zimmermann: Fahrradstraßen in Konstanz, die fast zwei Kilometer lange Radtangente in Esslingen oder die Radnetze in Karlsruhe und Heidelberg. Allzu oft sehe er aber, dass statt breiter, abgetrennter Radstreifen nur schmale Schutzstreifen auf die Fahrbahn gemalt werden. Die seien nur eine Notlösung, wenn kein Platz ist, betont der Experte. "Es ist das letzte, was man machen sollte, bevor man gar nichts macht." Wenn der Platz für einen Radstreifen fehlt, müsse es darum gehen, Parkplätze zu streichen. "Vielleicht kann man wenigstens auf einer Seite darauf verzichten."
Beispiel Heilbronner Sommerzone: Autos weichen aus der Stadt
Wie schwierig das ist, weiß Volker Geis vom ADFC Heilbronn. Seiner Meinung nach nimmt bei politischen Entscheidern die Angst zu, Maßnahmen gegen das Auto zu ergreifen. Das zeige die Diskussion um die Parkplätze, die der Sommerzone in Heilbronn temporär weichen mussten. Er gibt zu bedenken: "Aus andere Städten ist belegt: Wenn Autos weichen, kommen die Menschen zurück." Insgesamt habe sich jedoch viel für den Radverkehr in Heilbronn getan, meint Geis. Vieles sei heute selbstverständlich, etwa, dass Einbahnstraßen für Radfahrer in beide Richtungen geöffnet sind. "Das Thema ist in den Köpfen der Leute bei der Stadtverwaltung drin." Allee, Neckartalstraße und Bahnhofstraße seien jedoch noch immer Schwachpunkte.
Bei den geplanten Radschnellwegen des Landes wünscht sich Verkehrsplaner Matthias Zimmermann mehr Mut. Immer dann, wenn es konkret wird und der genaue Verlauf einer Trasse festgelegt werden soll, würden Kompromisse diskutiert, mit denen der Radschnellweg stellenweise schmaler oder zur Fahrradstraße wird. Das sei sogar im Leitfaden des Landes erlaubt, kritisiert Zimmermann. "So kann es ganz schnell passieren, dass ein Radschnellweg gar keiner mehr ist." Gleiches gelte für den Verlauf der Radschnellwege, sagt Volker Geis. Wenn es darum gehen soll, Radfahren im Alltag zu fördern, müssten die Trassen vorbei an Schulen und durch Industriegebiete führen, nicht entlang der schönsten Route. "Es muss darum gehen, Verkehr aufs Rad zu verlagern."
Karlsruhe ist besonders fahrradfreundlich
Erfahrungen aus Karlsruhe: Die Stadt hat in den vergangenen Jahren diverse Preise für Fahrradfreundlichkeit gewonnen. Dabei sei Karlsruhe in den 1970er Jahren als "autogerechte Stadt" angelegt worden, erzählt der städtische Verkehrsplaner Johannes Schell - mit großzügigen Straßen und Ampelanlagen, vergleichbar mit der Situation in Heilbronn. Doch Fahrbahnen für Autos wurden inzwischen an einigen Stellen von zwei auf einen Streifen reduziert und stattdessen Radstraßen ausgewiesen. Möglich sei das auch gewesen, weil sich die Pendelströme durch flexiblere Arbeitszeiten und mehr Homeoffice entzerrt hätten. Auch Parkplätze sind weggefallen. Schell sagt, Parkflächen für Anwohner habe man erhalten, aber gleichzeitig verhindern wollen, dass Einpendler die Wohngebiete zuparken, obwohl ausreichend Fläche in Parkhäusern zur Verfügung steht. "Deswegen haben wir nachts zwischen 2 und 4 Uhr parkende Autos gezählt." Danach sei klar gewesen, dass die Anwohner weniger Stellflächen brauchen als es tagsüber den Anschein hatte.
Maßnahmen zur Stärkung des Radverkehrs hätten nicht dazu geführt, dass sich die Situation für Autofahrer verschlechtert habe: "Die Leute sind umgestiegen. Radverkehrsplanung ist Angebotsplanung." Bundesweit sei Karlsruhe in einer Spitzengruppe, sagt Schell und fügt selbstkritisch hinzu: "Aber das Niveau der Niederlande haben wir noch lange nicht erreicht."