Angespannte Lage: Zu viele Aufgaben für zu wenige Kinderärzte
Ein Kinderarzt aus dem benachbarten Sinsheim hat Alarm geschlagen: Er betreut tagtäglich auch viele Patienten aus dem westlichen Landkreis Heilbronn, die dafür weite Wege in Kauf nehmen. Engpässe gibt es aber im gesamten Raum Heilbronn. Und: Die Lage in der Kinder- und Jugendmedizin wird sich weiter verschärfen.

Ein Sinsheimer Kinderarzt hatte Alarm geschlagen, doch: Nicht nur im westlichen Landkreis gebe es Engpässe bei der kinderärztlichen Versorgung, sagt Dr. Hans Ulrich Stechele, Sprecher der Heilbronner Kinderärzte mit zwei Praxen in der Stadt Heilbronn. "Der Rest des Landkreises und die Stadt sind nicht besser aufgestellt. Das ist alles nichts Neues und definitiv auch kein Problem des ländlichen Raums."
In der vergangenen Woche hatte Dr. Folkert Fehr, Kinderarzt aus Sinsheim und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), gegenüber unserer Redaktion Alarm geschlagen und gesagt, er versorge täglich Dutzende Kinder aus dem westlichen Landkreis mit, weil die Kapazitäten nicht ausreichten. "Es sind zu viele Aufgaben für zu wenig Personal", bestätigt Hans Ulrich Stechele. Er und seine Kollegen betreuten kleine Kinder, Jugendliche und Flüchtlinge - meist mit hohem zeitlichen Aufwand. All das seien für sich genommen wichtige und sinnvolle Aufgaben, "aber es gibt einfach zu wenige Leute dafür, und wir können unsere Arbeit nicht noch weiter rationalisieren".
Kinderärztin aus Eppingen berichtet: Nachfolger zu finden, erweist sich als schwierig
Für den Bereich Eppingen sei "die Situation noch gut", sagt Kinderärztin Dr. Simone Schulze, die dort eine Praxis mit zwei Arztsitzen betreibt. Aber die Nachfolge zu regeln sei "ganz schwierig", eine potenzielle Kandidatin, die einige Zeit mitgearbeitet habe, sei zwischenzeitlich wieder abgesprungen. "Wir versuchen, junge Kollegen aktiv anzusprechen", sagt Schulze. Sie habe Weiterbildungen auch schon aus eigener Tasche bezahlt, "aber es nutzt nichts, wenn am Ende keine Leute da sind, die aufs Land wollen".
In Universitätsstädten wie Heidelberg sei es nicht schwierig, Arztsitze neu zu besetzen, meint sie. Es müsse irgendwie gelingen, Nachwuchsmediziner in weniger gefragte Regionen zu holen - durch finanzielle Anreize zum Beispiel oder durch eine zeitlich befristete Verpflichtung.
Zahlen der KV zeigen, dass bei Kinderärzten eine Ruhestandswelle bevorsteht
Die Versorgungslage wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, das belegen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung im Land (KV). Demnach sind 39 Prozent der insgesamt 1011 Kinderärzte in Baden-Württemberg älter als 60 Jahre, bei den Hausärzten liegt der Anteil bei 25 Prozent. Wenigstens habe "die Politik nun endlich gemerkt, dass wir ein Problem haben", sagt Schulze. "Bisher hat es überhaupt niemanden interessiert, was die Kinderärzte machen und wie es uns geht."
Von den Beschlüssen, die in der vergangenen Woche bei einem Symposium zur Kindergesundheit auf Einladung von Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) gefasst worden sind, um die Situation zu verbessern, hält sie indes wenig. "Papier ist geduldig, war mein erster Eindruck, als ich das gelesen habe", sagt Schulze. Über Faktoren wie die Abschaffung unnötiger Attestpflichten oder die Stärkung der Eigenverantwortung der Eltern werde schon lange diskutiert. "Das sind interessante Ansätze, aber ich bin skeptisch, was die Umsetzung angeht."
Situation in der Kinder- und Jugend-Psychosomatik hat sich in der Corona-Pandemie verschärft
Es sei auch klar, dass die Bedarfsplanung für Arztsitze geändert werden müsse, sie beruhe auf veralteten Daten und Annahmen. "Aber auch das nutzt nichts, wenn keine Leute da sind für den Job." Bisweilen scheitere die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen auch an grundlegenden Dingen - wie etwa einem Betreuungsplatz für deren Kinder.
Gravierende Engpässe gibt es auch bei Hilfen für psychisch kranke Kinder. Durch die Pandemie hat sich die Lage verschärft. Allein vergangene Woche seien in der SLK-Abteilung für Kinder- und Jugend-Psychosomatik sechs Kinder nach Suizidversuchen aufgenommen worden, sagt Oberärztin Dr. Birgit Stock. Gesundheitsminister Manfred Lucha bescheinigte sich indes beim Symposium "sehr viele Erfolge" beim Versuch, die Situation zu verbessern.