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Fachleute sehen Lage in Kindermedizin als Dauerproblem

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Gesundheitsminister Manfred Lucha lädt zum Fachsymposium nach Stuttgart. Die Einschätzung der Mediziner fällt wenig optimistisch aus.

Ein düsteres Bild der Versorgung zeichneten Kinderärztinnen und anderes Fachpersonal aus dem Bereich Kinder- und Jugendmedizin in Baden-Württemberg bei einem Fachsymposium, zu dem Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) nach Stuttgart eingeladen hatte. „Wo soll das noch hinführen?“ fragte die Mutter eines chronisch kranken Kindes, das regelmäßig medizinische Hilfe braucht, in einem Einspielfilm. „Wir warten mit unseren schwerkranken Kindern schon jetzt stundenlang.“


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Roland Fressle, Landesverbandsvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendmediziner (BVKJ), berichtete aus seinem Arbeitsalltag im vergangenen Winter, als besonders viele Kinder an Infekten erkrankt waren. „Teilweise haben wir die Kinder dreimal täglich angeschaut und die Sauerstoffsättigung kontrolliert, weil wir sie nicht stationär einweisen konnte.“ Die Krankenhäuser waren überbelegt. Hinzu komme der anhaltende Mangel an Medikamenten für Kinder. „Wir behandeln Streptokokken – eine bakterielle Infektion – mit Breitbandantibiotika.“ Das mache weder medizinisch noch wirtschaftlich Sinn, so Fressle. Auch der Mangel an qualifiziertem Personal in den Praxen werde zur immer größeren Belastung. Er fordert schnelle Maßnahmen, um den größten Druck aus dem System zu nehmen: „Schaffen Sie die Atteste und Bescheinigungen ab.“ Ein Kind mit Gips brauche keine formell vom Arzt bestätigte Befreiung vom Sportunterricht - und in 40 Berufsjahren habe er auch „noch kein einziges Kind gesehen“, dem er kein Attest für den Besuch der Kita ausstellen konnte.

Es fehlt an Kinderärzten

Rund 1000 Kinderärzte sind in Baden-Württemberg tätig. Die Anzahl der formell unterversorgten Bereiche habe in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen, bilanzierte die Vize-Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Land, Doris Reinhardt. Gleichzeitig bedeute ein erfüllter Versorgungsgrad nicht, „dass der Bedarf auch tatsächlich gedeckt ist.“ Die KV hat aktuell 25 nicht besetzte Kinderarzt-Sitze erfasst, im hausärztlichen Bereich sind es 900.

Die Daten für die Bedarfsplanung basierten auf „Konzepten für die Versorgung, die den heutigen Anforderungen an die Kinder- und Jugendmedizin nicht mehr entsprechen“, kritisierte Andreas Artlich vom Verband Leitender Kinder und Jugendärzte (VLKKD). „Wir müssen klären, wie viele Kinder- und Jugendärzte wir tatsächlich brauche“, appellierte er. Dem Minister gab er gleichzeitig mit auf den Weg, dass er dessen Optimismus im Hinblick auf den kommenden Winter nicht teile. „Aktuell sind 30 Prozent der Bettenkapazitäten in den Kliniken gesperrt, weil wir sie nicht betreiben können.“ Der Grund: Personalmangel. Artlich: „Im nächsten Winter kann uns nur retten, wenn Infektionen ganz ausbleiben.“ Seine Forderung: Die Landesregierung und Minister Lucha müssten das Thema als „Chefsache“ angehen – mit allen Beteiligten aus allen Sektoren. Ansonsten werde das Vorhaben, die Versorgung zu verbessern „ein Debattierclub“ bleiben. „Wir müssen das gemeinsam schaffen“, so Artlich. Das sei Daseinsvorsorge – die Gesellschaft könne es sich nicht leisten, Jugendliche krank ins Arbeitsleben zu entlassen. 

Unterstützung der Hausärzte ist gefragt

Nicola Buhlinger-Göpfarth vom Hausärzteverband wies darauf hin, dass die Hausärzte im Land schon jetzt zu einem erheblichen Teil an der Versorgung der Kinder und Heranwachsenden bis 22 Jahre beteiligt seien. Es sei an der Zeit anzuerkennen, dass die Versorgung in der Fläche ohne die Unterstützung der Hausärzte nicht zu leisten sei, bekräftigte Andreas Artlich. Bei der Suche nach Lösungen für die Krise müsse man auch deren Anteil berücksichtigen.

80 Prozent ihrer Kommilitonen an der Universitätsklinik Tübingen schätzten die „politische Unterstützung für die Kinderheilkunde als gering oder sehr gering ein“, bilanzierte eine Abordnung junger Studierender aus Tübingen. Einige ihre Forderungen: Die Pädiatrie (Kinderheilkunde) müsse endlich „den Stellenwert in der studentischen Lehre im Land bekommen, den sie verdient“. Es brauche auch dringend „mehr Ausbildungsplätze für das Praktische Jahr in der Pädiatrie“. Häufig gleiche es nämlich einem Kampf für Studierende, einen solchen zu finden – nicht wenige wichen ins Ausland aus. An Lucha gewandt, der die Konzepte seines Ministeriums zuvor ausführlich gelobt hatte, meinte die Studentin: Wenn es ihm gelinge, diese einfachen Maßnahmen rasch umzusetzen, „ist das ihre Chance, uns wirklich zu beeindrucken“. 

Glaube an Besserung geht verloren

Den Glauben daran, dass sich die Situation schnell zum Bessern verändert, haben einige Teilnehmer verloren, auch das klang in Vorträgen und Redebeiträgen durch. Agnes Trasselli, Kinderärztin und Vizepräsidentin der Landesärztekammer, berief sich auf die Krisengipfel, die es zuvor gegeben hat – der heutige sei ein weiterer. Weiterbildung, so eine ihrer Botschaften, koste Zeit und Geld, „und das muss irgendwo herkommen“. Doch die Weiterbildungstöpfe seien leer. Die Probleme in der Kinder- und Jugendmedizin bleiben wohl „Dauerbrenner-Thema“, so Andreas Artlich. 

 

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