Irina Richter, Leiterin der Stabsstelle Chancengerechtigkeit der Stadt Heilbronn erklärt gegenüber der Heilbronner Stimme: "Die Wahl unabhängig einer Beeinträchtigung ist eine essenzielle Grundlage für unsere Demokratie und ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft." Zudem werde dadurch eine Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt. Deren inoffizielles Motto lautet "Nicht ohne uns über uns". Das Wahlrecht gehört nach Artikel 38 des Grundgesetzes (GG) in Deutschland.
Wählen mit Behinderung: Wie Stadt- und Landkreis Heilbronn darauf vorbereitet sind
Menschen mit Behinderung dürfen teilweise noch nicht lange an den Europa- und Kommunalwahlen teilnehmen. Damit das funktioniert, müssen Stadt- und Landkreis Heilbronn die Voraussetzungen schaffen. Hat das geklappt?

"Menschen mit Behinderungen müssen unsere Demokratie mitgestalten können – das Wahlrecht ist das zentrale Instrument dafür", sagte die Landesbehindertenbeauftragte Simone Fischer kürzlich in Stuttgart der Deutschen Presse-Agentur. Damit ruft sie Menschen mit Behinderung auf, ihr Wahlrecht zu nutzen. Einschließlich der Gruppe an Menschen mit einer schweren Behinderung, für die ein Gericht einen rechtlichen Betreuer oder Betreuer in allen Lebensbereichen festgelegt hat, oder die dauerhaft in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht sind.
Diese besitzen das Wahlrecht nämlich noch gar nicht so lange. Bis zum 16. Mai 2019 waren sie davon ausgeschlossen. Eine Praktik, die viele Betroffene als diskriminierend und verfassungswidrig empfanden. Erst an diesem Tag entfernte der Bundestag die Regelung aus dem Bundeswahlgesetz und dem Europawahlgesetz. Damit wird Menschen mit schwerem Handicap nicht länger verwehrt, die politischen Weichen mitzubestimmen. Das betraf 2019 laut der Bundesvereinigung der Lebenshilfe über 85.000 Erwachsene, in Baden-Württemberg sind es etwa 6000.
Inklusives Wahlrecht in Deutschland erfüllt Grundrecht von Menschen mit Behinderung
Seit 2019 gilt damit nun ein inklusives Wahlrecht. "Die Art und der Grad der Behinderung spielen bei der Wahl keine Rolle", wie Suse Bucher-Pinell, Pressesprecherin der Stadt Heilbronn, erklärt. Das heißt: Alle Wahlberechtigen dürfen wählen, unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Wer wahlberechtigt ist, erfahren Sie hier. Damit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen bei den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni ihre Stimme abgeben können, müssen aber notwendige Bedingungen erfüllt sein.
Alle wichtigen Infos zu den Kommunalwahlen 2024 in Baden-Württemberg, haben wir hier zusammengefasst.
Barrierefreie Wahllokale im Stadt- und Landkreis Heilbronn
Nach Angaben von Suse Bucher-Pinell gibt es im Stadtkreis 76 Wahllokale, 67 davon sind rollstuhlgerecht. Das bedeutet sie sind "ohne besondere Erschwernisse und ohne fremde Hilfe" zugänglich. Das ist auch auf der Wahlbenachrichtigung vermerkt. Eine Übersicht über alle Wahllokale in der Stadt finden Sie hier.
Wer sein zugewiesenes Wahllokal ändern will, etwa weil es nicht barrierefrei ist, muss sich rechtzeitig einen Wahlschein besorgen. Damit kann man in jedem beliebigen Wahlbezirk in Heilbronn wählen. Wahlräume, die nicht rollstuhlgerecht sind, befinden sich etwa im Theodor-Heuss-Gymnasium, im Sportheim der TSG Heilbronn, in der Grundschule Alt-Böckingen und im Alten Rathaus Klingenberg.
Wie viele der Wahllokale im Landkreis rollstuhlgerecht sind, darüber lässt sich Angaben von Pressesprecherin Lea Mosthaf keine Aussage treffen. "Dem Landratsamt liegt keine Übersicht vor, ob alle Wahlräume im Landkreis barrierefrei zugänglich sind", erklärt sie auf Anfrage unserer Redaktion. Da Menschen mit Behinderung aber die Briefwahl oder Unterstützung durch eine Hilfsperson in Anspruch nehmen können, bestehe kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf einen barrierefreien Zugang, sagt Mosthaf.
Wählen mit Wahlassistenz: Das sind die Regeln
Eigentlich darf jeder Wahlberechtigte sein Wahlrecht nur persönlich ausüben. "Eine Ausübung des Wahlrechts durch einen Vertreter ist unzulässig", merkt Suse Bucher-Pinell an. Wer aber etwa nicht Lesen oder Schreiben kann, darf technische Hilfe beim Wahlvorgang in Anspruch nehmen.
Das gilt auch für Menschen mit Behinderung, die unter gesetzlicher Betreuung stehen, erläutert Lea Mosthaf. Die Wahlassistenz muss aber nicht zwangsläufig die gesetzliche Betreuungsperson sein. "Die Wahlassistenz darf sowohl bei der Briefwahlals auch in der Wahlkabine selbst unterstützen", sagt Mosthaf. Beispielsweise kann die Wahlassistenz erklären, welche Personen auf dem Wahlzettel stehen oder dabei helfen, den Wahlzettel auszufüllen.
Wichtig dabei ist, dass die Wahlassistenz dabei nur die expliziten Wünsche des Wählers erfüllen darf. Außerdem ist sie verpflichtet, das Wahlgeheimnis zu wahren. Sie darf keinerlei Einfluss auf die Wahl der unterstützten Person nehmen. "Denn dies gälte als Wahlfälschung und ist nach Paragraf 107a Strafgesetzbuch (StGB) strafbar", betont Lea Mosthaf.
Wählen und Wahlwerbung für Menschen mit Behinderung
Für die Europawahl stellen Verbände eine spezielle Stimmzettel-Schablone und eine Audio-CD als Wahlhilfe für Blinde und Sehbehinderte zur Verfügung. Diese erhalten eine ertastbare Kennzeichnung und ausgesparte Felder für das Kreuzchen. Bei der Kommunalwahl gebe es diese Option hingehen nicht. Durch ihre Komplexität sei das nicht möglich. Welche Parteien zur Kommunalwahl in Heilbronn zugelassen sind, erfahren Sie hier.
Damit auch Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen sich umfassend über die Kandidaten und Parteien informieren können, stellen Stadt- und Landkreis kostenlose Angebote zur Verfügung. "Dazu gehören Videos in Gebärdensprache, Wahlprogramme in Leichter Sprache, spezifische Informationen über Verbände und Interessengruppen und so weiter", sagt Lea Mosthaf.
Die Stadt Heilbronn gibt zudem einen Sondernewsletter zur Inklusion heraus. "Der Newsletter Inklusion erscheint vierteljährlich und informiert über Barrierefreiheit, Inklusion und Leben mit Behinderung", erklärt Suse Bucher-Pinell.

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