Warum sich Stuttgart beim Urban Future Kongress blamiert
Zu heiß, zu schmutzig, zu viele Autos: Die Landeshauptstadt als Gastgeber des internationalen Kongresses für Stadtentwicklung "Urban Future" kann nicht begeistern. 2024 findet der Kongress in Rotterdam in den Niederlanden statt.

Fassungslosigkeit bei den Teilnehmern ist ein Zustand, den die Stadt Stuttgart weder herbeigesehnt noch erwartet haben dürfte, als sie sich als Ausrichter des ersten internationalen Urban-Future-Kongresses in Deutschland bewarb. Das war noch unter dem grünen Bürgermeister Fritz Kuhn. Im Zentrum des Kongresses steht die Frage, wie Städte nachhaltiger und klimaangepasster werden können. Doch Austragungsort und Stadt ließen einige der 2000 Teilnehmer fassungslos zurück - viele davon sind als Architekten und Stadtplaner selbst vom Fach.
In Stuttgart wirke alles ungepflegt und beliebig

"Das ist die hässlichste Stadt, die ich jemals gesehen habe und ich bin schon viel rumgekommen", sagt Otto aus Salzburg auf die Frage, was er von Stuttgart hält. "Ich dachte, das sei eine so reiche Gegend", schiebt er hinterher, aber alles wirke ungepflegt und beliebig. Unterschiedliche Pflaster überall, teils befleckt von Kaugummi, herumfliegender Müll. Dazu Radwege, die einfach aufhören und lange Wartezeiten für Fußgänger an riesigen Straßenkreuzungen, die voll von Autos sind.
Am Vorabend habe die Gruppe in der Stadt ein Bier trinken wollen, erzählt er, aber sie hätten keinen ansprechenden Ort gefunden. "Das gastronomische Angebot wirkt so, als sei es nur Bedürfnisbefriedigung, aber ohne Leben oder Anspruch."
"Stuttgart Ugly" heißt die Exkursion im Rahmen des Urban-Future-Programms, für die sich an diesem Vormittag etwa 50 Leute unter Führung des Wiener Urbanisten und Hochschullehrers Eugene Quinn zusammengefunden haben. "Ich habe bei der Tour brutalistische Bausünden erwartet", sagt David Klepej von der Universität Ljubljana. "Aber dass es so uninspirierend sein würde, hätte ich nicht gedacht." Außerdem sei es ob der vielen Autos "sehr laut". In der slowenischen Hauptstadt seien Autos seit etwa zehn Jahren aus der Innenstadt verbannt. Dann will er noch etwas Nettes zu der deutschen Journalistin sagen und meint, er habe gehört, dass einige Quartiere um die Innenstadt recht schön seien - mit alter Bausubstanz und viel Grün.
Es geht nicht in vermüllte Hinterhöfe, sondern zu zentralen Plätzen in der Innenstadt
Dabei führt Quinn die Teilnehmer bei seiner "Tour der Hässlichkeit" keineswegs in zugemüllte Hinterhöfe. Es geht zu zentralen Plätzen: Liederhalle, Rathaus, kleiner Schlossplatz, das Gerber-Areal, Österreichischer Platz. "Ist irgendjemand dabei, dessen Lieblingsfarbe grau ist?", fragt Quinn auf dem kleinen Schlossplatz. "Fast niemand mag grau, außer Architekten", löst er dann selbst auf und beschreibt mit dem Arm einen weiten Bogen. Grau in den unterschiedlichsten Schattierungen von betongrau bis schmutziggrau dominiert den Platz, grün gibt es kaum, Wasser Fehlanzeige. Das führt auch dazu, dass die Hitze auf dem Platz steht.
Das kennen die Kongress-Teilnehmer während der drei Tage schon, denn der Tagungsort, das Haus der Wirtschaft (HdW) am Börsenplatz, passt ins Bild. "Furchtbar, gibt es in Deutschland keine Klimaanlagen?", fragt Nadine aus der niederländischen Stadt Breda. Schon morgens um 9 Uhr sind die Temperaturen unerträglich. Vor allem im vierten Stock, wo später das Mittagessen serviert wird, herrscht tropische Hitze. Schweißflecken zeichnen sich auf den Hemden der Männer ab, Röcke kleben an Frauenbeinen. "Man konnte in manchen Räumen noch nicht mal die Fenster öffnen", sagt Nadine und schüttelt den Kopf. Der Stadt Rotterdam, wo die Konferenz im nächsten Jahr stattfindet, werde das nicht passieren - die Leute dort seien außerdem gastfreundlich und nicht so ruppig wie das Servicepersonal im HdW, ergänzt sie.
Autos hupen die Menschen weg, die vor dem Gebäude stehen und plaudern

Vor dem Tagungsgebäude, wo sich in den Pausen Hunderte Teilnehmer aufhalten, rauschen permanent Autos vorbei, hupen die Menschen weg, die die kleine Straße zu dem gegenüberliegenden Platz überqueren möchten. Der absurde Tiefpunkt findet sich schräg gegenüber des Tagungsgebäudes. Jemand hatte die Idee, um einen Baum herum Kunstrasen zu verlegen. Als ob das Mantra, "Städte sollen grüner werden", Plastik miteinbeziehe.
Warum steigt der Kongress ausgerechnet in einer Autostadt?
"Warum zur Hölle ist die Autostadt Stuttgart Gastgeber einer Urban Future", frage sich mancher, sagt Eugene Quinn. Verena, die bei der Stadt arbeitet und zu den Teilnehmern gehört, ist bemüht, den Gästen etwas Kontext zu geben und aufzuzeigen, dass sich durchaus etwas in Sachen Nachhaltigkeit tut - zum Beispiel gehe entlang des Gerber-Einkaufszentrums gerade ein neuer Radweg in Betrieb.
Auch das Rathaus sei im Kontext seiner Zeit zu verstehen. So hätten die Stadtväter nach dem Zweiten Weltkrieg besonderen Wert darauf gelegt, praktisch zu bauen und deshalb eine neue, schlichte Fassade vor den historischen Gebäudeteil gesetzt. Einigermaßen versöhnt ist die Gruppe mit dem Rathaus-Inneren, denn jeder kann hineinlaufen, Sicherheitskontrollen wie in vielen anderen Städten weltweit gibt es nicht. Das sei ein Raum für die Öffentlichkeit, ein demokratischer Ort, sagt Verena, viele nicken anerkennend.
Als die Gruppe weiterläuft vom Rathaus Richtung Kaufhof, sagt Österreicher Otto zu einem Mann der neben ihm läuft: "Ist ja unfassbar, diese Stadt." Der nickt und erwidert: "Grauselig, gell."
Städte-Ranking
Keine deutsche Metropole schafft es im neuen Ranking des "Economist" unter die zehn lebenswertesten Städte der Welt: Frankfurt fiel von Platz 7 auf 17, den es sich mit Berlin teilt. München rutscht von 18 auf 21, Hamburg von 16 auf 22. Stuttgart verbessert sich dank der Aufhebung von Covid-Beschränkungen um 13 Ränge auf Platz 25. Auf dem Spitzenplatz behauptet sich Wien. Österreichs Hauptstadt punktet mit Sicherheit, guten öffentlichen Einrichtungen und dem reichen Kulturangebot. Es folgen Kopenhagen, Melbourne, Sydney und Vancouver.