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Gewerkschaft GEW hält viele Corona-Vorgaben zum Schulstart für illusorisch

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Es könnte ein Schuljahresbeginn voller Probleme werden - zumindest nach der langen Liste, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vorgestellt hat. Sie hält einige Vorgaben für nicht umsetzbar. Was sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann dazu?

von Michael Schwarz
In Nachhilfekursen − den sogenannten Lernbrücken − können schwächere Schüler bereits in den Sommerferien verpassten Unterrichtsstoff nachholen.
Foto: dpa
In Nachhilfekursen − den sogenannten Lernbrücken − können schwächere Schüler bereits in den Sommerferien verpassten Unterrichtsstoff nachholen. Foto: dpa  Foto: Christoph Schmidt

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht die Schulen in Baden-Württemberg schlecht auf die Umsetzung der Corona-Vorgaben des Landes vorbereitet. Die Problem-Liste, die von der GEW-Landesvorsitzenden Doro Moritz am Montag in Stuttgart der Öffentlichkeit präsentiert wird, ist sehr lang.

Obwohl die Hygieneregeln deutlich verschärft worden seien, hat eine GEW-Umfrage unter den Rektoren aller Schularten im Südwesten ergeben, dass die Putzkolonnen nur unzureichend aufgestockt worden seien. 80 Prozent der Befragten gaben an, ihnen habe das Schulamt noch kein zusätzliches Reinigungspersonal zur Verfügung gestellt. "Wir gehen davon aus, dass zum Schulstart in den 4500 Schulen im Land die an vielen Stellen vorgeschriebenen Hygienestandards nicht eingehalten werden können", so Moritz.

Das Land gibt vor, dass zum Beispiel Handkontaktflächen wie Türklinken, Treppengeländer, Lichtschalter oder auch Tische und Kopierer einmal pro Tag gereinigt werden sollen. Im Sanitärbereich soll es zudem genügend Seifenspender und Einmal-Handtücher geben.

Auflagen, die mit der Realität nichts zu tun haben

Doch es gibt aus Sicht der GEW noch mehr Auflagen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Masken auf dem Pausenhof und im Schulbus anziehen, im Unterricht aber runter? "Wie vermitteln wir Schülern da eine klare Linie", fragt Moritz. Zudem würden die Grundschullehrkräfte von den 23,7 Millionen vom Land ausgelieferten Masken nichts bekommen. "Wir wollen auch für sie ein Kontingent von Alltagsmasken", so Moritz. Außerdem könne sie nicht verstehen, dass das Kultusministerium es ablehne, die hochwertigeren FFP2-Masken zumindest an Lehrer mit Vorerkrankungen auszuliefern.

Weiter sei der Ganztagsbetrieb nicht umsetzbar, seien - wie von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) angeordnet - jahrgangsübergreifende Gruppenbildungen nicht zulässig. Eisenmann will damit bei möglichen Infektionen die Streuung eindämmen. Moritz redet sich in Rage. So seien auch die Corona-Lüftungsvorgaben für die Schulen nicht zu realisieren. Hier gibt Eisenmann vor, dass mehrmals täglich - mindestens im 45-Minuten-Takt - durch geöffnete Fenster Quer- und Stoßlüftungen durchgeführt werden sollen. "Ich kenne kein Klassenzimmer, das auf beiden Seiten Fenster hat", kritisiert Moritz. Solche Vorgaben würden Lehrer und Rektoren ratlos und wütend machen. Auch die Umsetzung der angeordneten Aufsichtspflicht zur Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln an Schulbushaltestellen sei völlig illusorisch.

Laut Moritz ist es bei den aktuellen Rahmenbedingungen nicht möglich, den von Eisenmann angekündigten Regelbetrieb umzusetzen. Sie fordert daher die grün-schwarze Landesregierung dazu auf, in einem Nachtragsetat Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Personalbestand bei den Lehrkräften deutlich aufzustocken. So würden beim Schulstart für wohl bis zu 1000 Lehrerstellen keine ausgebildeten Pädagogen zur Verfügung stehen. Der Lehrermangel verschärfe sich vor allem an Grundschulen. Die 16,6 Millionen Euro, die Eisenmann für zusätzliche befristete Einstellungen freigegeben habe, reichten bei Weitem nicht aus.

Voraussichtlich fehlen neun Prozent der Lehrkräfte

Zum Schulstart würden zudem voraussichtlich neun Prozent der Lehrkräfte fehlen - sechs Prozent hätten wegen Vorerkrankungen ein Attest, drei Prozent seien schwanger. Ein Dauerproblem sei die Digitalisierung. Deren Umsetzung an den Schulen bewerten laut einer weiteren GEW-Befragung 67 Prozent der Schulleitungen als mittelmäßig bis sehr schlecht.

Eisenmann verweist auf ihr "umfassendes Hygienekonzept", das mit den Gesundheitsbehörden im Land abgesprochen sei: Lehrer könnten sich freiwillig und kostenlos auf das Coronavirus testen lassen, Millionen Mundschutzmasken würden ausgeliefert, Lehrer mit Vorerkrankungen könnten sich vom Präsenzunterricht befreien lassen - dasselbe gelte für Schüler, in deren Umfeld stärker gefährdete Personen seien. Ließen sich Fenster nicht regelmäßig zur Lüftung öffnen, habe sie dafür aber kein Verständnis, stellt Eisenmann klar.

Die Opposition übt Kritik an der Corona-Politik Eisenmanns. SPD-Landtagsfraktionschef Andreas Stoch fordert konkretere Handlungsanweisungen für die Schulen. Um den Lehrermangel zu bekämpfen, sei es nötig, insgesamt 1000 zusätzliche Lehrkräfte einzustellen, teilt der SPD-Politiker mit. Außerdem müssten den Schulen neue Budgets zur Verfügung gestellt werden, um auch während des Schuljahres umfassend Nachhilfe anbieten zu können. FDP-Bildungsexperte Timm Kern fordert hingegen vor allem mehr Tempo bei der Digitalisierung. Weiter müsse wegen der Hygienevorgaben mehr Personal für die Gebäudereinigung bereitgestellt werden.

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