"Vorstand hat versagt“: Heftige Kritik an Sparplänen des VW-Konzerns
Der verschärfte Sparkurs bei Volkswagen führt zu Diskussionen – in- und außerhalb des VW-Konzerns. Der Betriebsrat will kämpfen, aber die Probleme sind massiv.
Wayne Griffiths schaut zufrieden in die Runde. An diesem Montag stellt der Chef der VW-Töchter Seat und Cupra in Barcelona den neuen Cupra Terramar vor. Ein SUV, das sich die technische Basis mit dem VW Tiguan teilt, aber optisch viel dynamischer gestaltet ist, gebaut wird das Auto im ungarischen Audi-Werk Györ.
Keine Marke im VW-Konzern und auch kaum eine andere des Wettbewerbs wächst derzeit so schnell wie Cupra. Bei der Weltpremiere des neuen Modells in der spanischen Metropole scheint die Welt in Ordnung. Wolfsburg ist weit weg, aber das Beben, das am Montag über den VW-Konzern hereingebrochen ist, wird selbstverständlich auch hier diskutiert.
Volkswagen-Probleme: Kein VW-Werk ist gut ausgelastet
Die Worte von Konzernchef Oliver Blume und VW-Markenchef Thomas Schäfer hallen nach. Das, was da auf der Managementkonferenz am Montag gesprochen wurde, ist mehr als ein Weckruf. „Bei uns ist es nicht Fünf vor Zwölf, es ist schon Fünf nach Zwölf“, sagt ein Manager, der nah dran ist an den Geschehnissen.
Die Nachfrage auf den Märkten weltweit schwächelt, der Hochlauf der Elektromobilität stockt, die Konkurrenz aus China gewinnt Marktanteile, die Kosten laufen davon. Nicht einer der 100 Standorte weltweit ist annährend gut ausgelastet. Das gilt für das riesige Stammwerk in Wolfsburg ebenso wie für das kleine Audi-Werk in Brüssel, das wohl kaum noch zu retten ist.
Hoffnungsschimmer für die Region ist, dass die Nachfrage für Verbrennermodelle anzieht. Das sollte Neckarsulm mit dem neuen A5 und A7 die nächsten Jahre gut auslasten. Bleiben aber die Böllinger Höfe in Heilbronn, wo nur noch in einer Schicht produziert wird. Vielerorts herrscht Unterbeschäftigung. Hannover, Emden, Dresden, Osnabrück – die Liste lässt sich lange fortschreiben. Überall fehlt es an Volumen.
Beschäftigungssicherung bei Volkswagen wackelt
Blume und Schäfer müssen massiv sparen. Mehr als noch im vergangenen Jahr zunächst vermutet. Sie haben es mit üppigen Abfindungen versucht, um vor allem ältere Mitarbeiter nach Hause zu schicken. „Um die kurzfristig notwendigen Strukturanpassungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen“, reiche „ein Umbau allein entlang der demografischen Entwicklung“ nicht mehr aus, heißt es aus Wolfsburg.
Will heißen: Betriebsbedingte Kündigungen, lange ein Tabu, zieht die Konzernspitze ebenfalls in Betracht und will dafür sogar die Beschäftigungsgarantie bis Ende 2029 aufkündigen. Das sorgt bei den Betriebsräten aller Marken für Alarmstimmung. Vor allem aber bei der Kernmarke VW.
Betriebsrat zu VW-Sparplänen: "Werden uns erbittert zur Wehr setzen"
„Der Vorstand hat versagt“, poltert Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo in einem Sonderdruck der Arbeitnehmervertreter, der der Heilbronner Stimme vorliegt. In der Information an die Belegschaft heißt es, das Management halte mindestens ein größeres Autowerk sowie eine Komponentenfabrik für überflüssig. Um welche Standorte es sich dabei handelt, steht nicht in dem Schreiben. „Damit steht VW selber und somit das Herz des Konzerns infrage“, so Cavallo. „Wir werden uns erbittert zur Wehr setzen.“ Cavallo fordert einen Masterplan und eine längere Beschäftigungssicherung.
Eine der größten Baustellen ist die Kernmarke Volkswagen. Deren Chef Thomas Schäfer will bis 2026 mindestens zehn Milliarden Euro einsparen, um die Rendite auf 6,5 Prozent anzuheben. Im ersten Halbjahr lag sie bei mickrigen 2,3 Prozent. Und selbst die Ertragsperlen Audi und Porsche bereiten den Verantwortlichen in der Konzernzentrale Kopfschmerzen. Im ersten Halbjahr ist der Gewinn eingebrochen.
Allein von Audi fehlen 1,1 Milliarden Euro. Die Marke mit den vier Ringen bringt dieses und nächstes Jahr mehr als 20 neue Modelle auf den Markt. Die Anläufe kosten erst einmal viel Geld, bevor sie etwas abwerfen. Porsche, über viele Jahre hinweg ein Selbstläufer, muss parallel fast alle Baureihen erneuern. Zugleich ist die Nachfrage nach dem Elektro-Macan mau. In Zuffenhausen will man daher länger an Verbrennern festhalten, als zunächst einmal geplant. Die zehn Milliarden Euro, das ist allen in Wolfsburg klar, werden nicht reichen.
Audi hat bereits 9500 Stellen abgebaut
Was gerne vergessen wird ist der Umstand, dass die Arbeitnehmerseite in der Vergangenheit bereits zu Zugeständnissen bereit war. 2019 etwa wurde bei Audi monatelang über die Ausrichtung der deutschen Standorte verhandelt. Umgesetzt wird das aktuell: Ingolstadt erhält mit Q6 E-Tron und A6 E-Tron die ersten neuen E-Autos, Neckarsulm bleibt mit A5 und A7 zunächst ein Verbrennerwerk. Dort kommen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts E-Autos hinzu.
Bestandteil des Deals damals: Mittelfristig soll die Produktionskapazität des Standorts dadurch auf 225.000 Fahrzeuge pro Jahr reduziert werden. Bisher ist Neckarsulm auf 300.000 Fahrzeuge ausgelegt. Für weniger Kapazität benötigt man weniger Arbeitskräfte, freiwerdende Stellen werden somit über kurz oder lang nicht mehr besetzt. Nicht zu vergessen: Audi hat in den vergangenen Jahren bereits 9500 Stellen sozialverträglich abgebaut.
Wayne Griffiths weiß auch, dass er in Martorell, unweit von Barcelona, ein riesiges Werk stehen hat. Dort könnten bis zu 500.000 Fahrzeuge jährlich vom Band rollen. Dafür investiert der Autobauer drei Milliarden Euro, damit ab 2025 auch Elektrofahrzeuge für den gesamten Konzern gefertigt werden können. Zieht die Nachfrage nach den Stromern bis dahin an? Ende 2025, Anfang 2026 ist die Stunde der Wahrheit. Zunächst bringt Cupra mit dem Raval ein vollelektrisches Einstiegsmodell für um die 25.000 Euro, VW folgt kurze Zeit später mit dem ID.2. Gebaut werden sie beide in Martorell.
Die kleinen Stromer sollen den Durchbruch bringen – für die Elektromobilität im Konzern, für die Auslastung im spanischen Werk. Ob der Plan aufgeht, ist ungewiss.
Probleme in deutsche Autoindustrie: "Angreifermentalität" fehlt
Verbrenner oder E-Auto? Ein Abrücken vom Verbrenner-Aus „wäre fatal und eine Gefahr für die ganze Wirtschaft“. Achim Dietrich, Betriebsratsvorsitzender beim Zulieferer ZF Friedrichshafen, sagt, am Ende werde sich ohnehin die E-Mobilität durchsetzen. „Und wenn wir es nicht schaffen, die besten E-Autos zu bauen, dann werden das künftig die Chinesen tun.“
Der deutschen Autoindustrie fehle derzeit die Angreifermentalität, bemängelt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Vom viel gerühmten China-Speed sei das Deutschlandtempo weit entfernt, meint Bratzel. „Wir sind zwar nicht schlechter geworden, aber die anderen sind schneller und besser geworden.“
Tempo will auch VW-Konzernchef Oliver Blume machen. Gleichwohl, das weiß auch der Topmanager, der lange bei Audi gearbeitet hat und in Personalunion Porsche-Chef ist, gleicht der Konzern eher einem Tanker als einem Schnellboot. „Zehn Marken, 100 Standorte und mehr als 600.000 Beschäftigte weltweit sind eine Menge, die nur schwer zu beherrschen ist“, sagt ein ehemaliger Vorstand des Unternehmens. Er glaubt nicht daran, dass sich die Konzernspitze gegen die Arbeitnehmervertreter zügig durchsetzen wird.
Besondere Eigentumsverhältnisse beim VW-Konzern
In der Tat ist die Macht in Wolfsburg eben anders verteilt, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Volkswagen, das war schon immer ein spezieller Autohersteller. Das liegt schon allein an den Eigentumsverhältnissen. 20 Prozent gehören dem Land Niedersachsen, die Mehrheit und damit das Sagen haben die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. VW ein Familienunternehmen? Im Prinzip ja. Nicht viele würden die Frage, wem Volkswagen eigentlich gehört, eindeutig richtig beantworten.
Würde man die Arbeiter am Band in Wolfsburg befragen, würden die meisten von ihnen wie selbstverständlich sagen: „ VW gehört uns.“ Die Aktionäre sind für sie weit weg. Erst recht die beiden Eigentümer-Familien. Volkswagen gehört seinen Arbeitern, so die Denke. Und das Sagen hat die IG Metall, die mächtige Gewerkschaft. So gesehen werden die Sparpläne sicher zur Zerreißprobe.