Personalnot dramatisch: Seybolds Fischrestaurant in Lauffen reduziert Öffnungszeiten
Der Mangel an Servicepersonal zwingt Lokale in der Region Heilbronn dazu, Öffnungszeiten zu reduzieren, nicht nur Seybolds Fischrestaurant in Lauffen. Die Gastro kritisiert die Regierung – und vermisst willige Bewerber.

Feiner Fischgeruch umfängt den Gast beim Eintreten. Die maritime Innenausstattung und die Dekoration auf den von Rattanmöbeln umstellten Holztischen sind aufs Speiseangebot abgestimmt. Wer Seybolds Fischrestaurant in Lauffen erstmals betritt, ist überrascht, im Industriegebiet ein atmosphärisches und kulinarisches Kleinod zu finden.
Die Stammkunden schätzen es schon lange: Um 11.30 Uhr trudeln die ersten Gäste ein, klingelt das Telefon, weil andere reservieren wollen. Dennoch hat Petra Seybold seit März die Öffnungszeiten reduziert. Freitag- und samstagabends bleibt die Küche kalt. Der Grund: "Kein Personal", verkündet die Startseite der Homepage.
Lokal in Lauffen reduziert Öffnungszeiten – warum seit Corona Mitarbeiter rar werden
Mit dem Problem steht das Lauffener Lokal nicht allein da. Seybolds Erfahrung mit der Personalakquise ist beispielhaft für die Branche. Dabei sind dem Familienbetrieb noch nicht einmal durch die Pandemie Mitarbeiter abhandengekommen:
"Es hat keiner wegen Corona aufgehört", aber: "Während Corona ist einer in Rente gegangen, einer hat davor schon den Job gewechselt, eine ist aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden, die vierte der Liebe wegen weggegangen", klagt die 56-Jährige. Und: "Ich bekomme keinen Ersatz, und andere gehen in absehbarer Zeit altersbedingt."
Mini-Job-Gehalt wird von Witwenrente abgezogen
Die Arbeit machen außer ihr selbst derzeit "nur noch sechs geringfügig Beschäftigte". In der Küche schält ihre Mutter (78) Kartoffeln, und die einzige gelernte Servicekraft bezieht Witwenrente und dürfe daher "nicht mehr als neun Stunden bei uns arbeiten", sonst würde ihr das Gehalt von der Rente abgezogen. Und zwar dauerhaft, beklagt Seybold, nicht nur für die Zeit der Beschäftigung.
Dabei ist offensichtlich, dass das Servicepersonal genauso leidenschaftlich bei der Sache ist wie die Chefin. "Seit 13 Jahren arbeite ich hier", sagt etwa Rosel Weiss, an ihren Ohren schaukeln goldfarbene Fischgrätenhänger. "Wenn man mir gesagt hätte, dass ich in dem Alter noch schaffe, ich hätt"s nicht geglaubt", ergänzt die 73-Jährige lachend. Sie bedauert, nur stundenweise kommen zu können, um ihre Witwenrente nicht aufs Spiel zu setzen.
Mit einigen Bewerbern Zeit vergeudet
Die Personalsuche ist aus Seybolds Sicht zwar teilweise deswegen schwierig, weil jüngere Leute nicht mehr an Wochenenden und am Abend arbeiten wollen. Aber noch mehr macht die Fisch- (und Wildfleisch-)händlerin, die vom Restaurantbetrieb allein nicht leben könnte, das System dafür verantwortlich.
"Ich habe bei der Agentur für Arbeit angerufen und gesagt: Streichen Sie uns". Die sie uns geschickt haben, das war vergeudete Zeit." Sie erzählt von einem Bewerber, der nur zwei Stunden pro Woche arbeiten wollte, weil ihm sonst Bezüge gestrichen würden. Von einem Koch, der sich nach drei Arbeitstagen dauerhaft krankmeldete, aber weiter bezahlt werden musste. Von Leuten, die nur schwarz arbeiten wollen und einer Frau, die für ihre qualifizierte Mutter anrief, die aber kein Deutsch konnte. Neben der Anmeldung beim Arbeitsamt hat Seybold Anzeigen aufgesetzt - "das kostet wirklich Geld", sie hat es nach dem Tipp einer Freundin mit Online-Kleinanzeigen probiert, über Social Media. Es kamen nur "Leute mit Vorstellungen", sie verzieht bedeutungsvoll die Miene: "Das funktioniert hier nicht."
Die engagierte Gastwirtin gibt ihr Lokal nicht so schnell auf. Nachdem sie vor Jahren schon die Plätze auf 60 reduziert hat, arbeitet sie jetzt an einem neuen Konzept, das ihr auch mit dem aktuellen Personalstand erlaubt, wieder am Freitag- und Samstagabend zu öffnen.
Dehoga-Sprecher hat Vertrauen in Regierung verloren – Personal in Lieferdienste abgewandert
Nun hat Seybold die Personalsuche erst einmal aufgegeben. "Wenn, dann geht es nur über Mundpropaganda." Leuten, die arbeiten wollen, würde es schwer gemacht: ob mit der Arbeitserlaubnis, der Förderung von Deutschkenntnissen, Kürzungen von anderen Bezügen und jetzt auch noch der Mehrwertsteuer. "Ich wünsche mir von unserem Staat, dass da mehr Unterstützung käme."
Auf die Regierung zu bauen, hat Thomas Aurich schon lange aufgegeben: "Dass der Staat helfen könnte, da glaubt doch kein Mensch mehr dran", sagt der Heilbronner Gastronom und Dehoga-Stadtverbandssprecher (siehe Hintergrund). Er habe sein Vertrauen in die Politik schon "seit Guido Westerwelle" (FDP, ehemaliger Wirtschaftsminister, Anmerkung der Redaktion) verloren.
Das Servicepersonal sei seit Corona in die Lieferdienste abgewandert. Aber auch Köche gebe es nicht mehr. Von den wenigen, die die Ausbildung noch abschlössen, verschwänden dreiviertel in Kantinen, "weil die Partner sagen: Dann bist du um 20 Uhr zu Hause." Das erkläre auch den Erfolg der Systemgastronomie, weil dort jeder Angelernte das vorgefertigte Essen zubereiten könne.
Arbeitsplätze müssen attraktiver werden
"Wir müssen die Arbeitsplätze attraktiver machen", findet Aurich. Viele junge Leute wollten wegen der Arbeitszeiten "mit dem Kellnern nichts mehr zu tun haben". Und die Explosion der Löhne sei ein Problem und die Mehrwertsteuer. Die Politik habe sich aber schon lange nicht mehr an Versprechen gehalten. Andererseits hofft der Dehoga-Sprecher, dass das Servicepersonal zurückkommt: "Wir haben immer noch das Trinkgeld, das ist unser Faustpfand."
La Toscana in Heilbronn schließt wegen Personalmangels mittlerweile immer dienstags: "Wären wir kein Familienunternehmen, in dem alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen, müssten wir wohl einen zweiten Ruhetag in der Woche einlegen", sagt die Inhaberin des Restaurants, Margherita Vaccaro-Notte. Viele Leute hätten durch die Homeoffice-Möglichkeiten während Corona gemerkt, wie entspannt das Arbeiten sein kann, vermutet sie, und sie glaubt ebenso, "dass die Arbeitszeiten in den Gastro-Betrieben" ein Punkt sind, "warum sich so wenig Personal findet".





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