Klare Worte bei Audi in Neckarsulm: "Dürfen nicht vor lauter Sparen unsere Zukunft verbauen“
Bei VW läuft es schlecht, bei Audi ebenfalls. Daher will die Marke mit den vier Ringen den Rotstift ansetzen. Das war das beherrschende Thema bei der letzten Betriebsversammlung des Jahres am Standort Neckarsulm.
Ganz so hitzig wie zuletzt bei VW war die Stimmung an diesem Donnerstag nicht bei Audi in Neckarsulm. Aber, so berichten es Teilnehmer der Betriebsversammlung bei Audi in Neckarsulm: Eine Anspannung sei schon zu spüren gewesen.
Seit einigen Wochen ist klar, dass Vorstand und Betriebsrat über eine Fortschreibung der 2019 getroffenen Betriebsvereinbarung Audi-Zukunft verhandeln werden. Der Pakt sieht vor, dass bei verschlechterten unternehmerischen Rahmenbedingungen neue Verhandlungen aufgenommen werden. Diese sogenannte „Schlechtwetterklausel“ hat Audi nun gezogen. Wo aber will das Unternehmen sparen?
Dazu bezieht die Unternehmensleitung wie am Vortag in Ingolstadt auch in Neckarsulm keine klare Stellung. „Die Belegschaft ist beunruhigt. Legen Sie die Karten auf den Tisch“, forderte Betriebsratschef Rainer Schirmer den Vorstand vor mehr als 3500 Beschäftigten auf. Immer wieder brandet Applaus während Schirmers Rede auf, zwischendurch gibt es von den Anwesenden Standing Ovations für den Betriebsratschef.
Klare Worte bei Audi in Neckarsulm: Betriebsratschef macht deutliche Ansagen
Rainer Schirmer ist dafür bekannt, dass er wohlüberlegt handelt und nur dann auf den Tisch haut, wenn es sein muss. In seiner Rede vor der Belegschaft wurde der 58-Jährige am Donnerstag in Richtung Vorstand sehr deutlich und stellte klar, dass die Belegschaft vom Unternehmen über mögliche Forderungen und Sparmaßnahmen informiert werden müsse. Produktionsvorstand Gerd Walker, der für das Unternehmen sprach, blieb aber recht vage.

„Wir werden Prozesse vereinfachen und Fahrzeuge deutlich schneller entwickeln“, erklärte Walker. Aus Betriebsratskreisen ist zu hören, dass einiges auf dem Spiel steht. Von Zulagen, Sonderzahlungen und Arbeitszeitregelungen stehe einiges zur Disposition. Kolportiert wird eine Einsparung in Höhe von 200 Millionen Euro durch diese Maßnahmen. Eine ähnlich hohe Summe soll dem Vernehmen nach durch wegfallende Manager-Boni gespart werden. Zudem werde darüber diskutiert, Bereiche auszulagern.
Ein Vorhaben, das bei Betriebsratschef Schirmer auf wenig Gegenliebe stößt: „Viele von diesen Vorschlägen zur Kostenreduzierung hatten wir schon vor Jahren. Und auch damals war das keine gute Idee! Die Vorstellungen des Vorstands und des Betriebsrats liegen weit auseinander. Es werden keine einfachen Verhandlungen.“
Höhere Auslastung bei Audi angemahnt: Langfristige Strategien gefordert
Konsens zwischen Unternehmen und Arbeitnehmervertretung besteht darin, dass sich im Unternehmen etwas ändern muss, um Audi „wetterfest“ für die Zukunft zu machen. Gleichwohl betonte Rainer Schirmer aber, dass man eine Beschäftigungsgarantie über das Jahr 2029 für die deutschen Standorte anstrebe. Zudem mahnte der Betriebsratschef, der auch im Aufsichtsrat des Autobauers sitzt, eine bessere Auslastung für die Werke in Neckarsulm und Heilbronn an.
Zusammengenommen ist die Zahl der produzierten Fahrzeuge von Januar bis September um fast 21 Prozent auf 96.615 gesunken. Essenziell sei daher unter anderem ein zweites Modell für die Böllinger Höfe in Heilbronn. Dort wird der E-Tron GT aktuell nur noch in einer Schicht produziert. „Wir benötigen eine langfristige Standortentwicklungs- und Wachstumsstrategie für das Unternehmen.“ Denn alle Sparmaßnahmen würden nichts bringen, wenn man nicht wisse, wo es hingehen soll, erklärte Schirmer: „Wir dürfen nicht vor lauter Sparen unsere Zukunft verbauen.“
Unterauslastung in Neckarsulm: „Wir haben eine Verantwortung für die Menschen bei Audi“
Der Standort Neckarsulm kämpft seit einigen Jahren mit einer Unterauslastung. Mit dem neuen A5 und dem neuen A7, der im Januar startet, sollen die Stückzahlen in den nächsten Jahren deutlich steigen. Das ändere aber nichts daran, sagte Schirmer, dass langfristiges Denken und Planen bis zum Ende der Dekade und darüber hinaus nötig sei. „Wir brauchen einen klaren Plan, ein klares Ziel“, erklärte der Betriebsratschef.
„Wir haben eine Verantwortung für die Menschen bei Audi. Für die Region. Für den Konzern und für den Industriestandort Deutschland“, so Schirmer. „Dieser Verantwortung müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln nachkommen. Sie als Vorstand. Und wir als Arbeitnehmervertretung.“
Rainer Schirmer kritisiert Audi-Strategie: „Eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen"
Audi kämpft in diesem Jahr mit einem starken Absatz- und Gewinneinbruch. Zudem steht das Werk in Brüssel im neuen Jahr vor der Schließung, rund 3000 Beschäftigte verlieren ihren Job. Dafür hat der Autobauer 1,2 Milliarden Euro zurückgestellt. Rainer Schirmer stellte in seiner Rede klar, dass dies aber nur eine Momentaufnahme sei. „Die wirtschaftliche Gesamtsituation, die Personalkosten oder Brüssel für die momentane Situation bei Audi verantwortlich zu machen, ist falsch und stark vereinfacht“, berichtete Schirmer. „Davor stehen nämlich eine ganze Reihe an Fehlentscheidungen.“
Der 58-Jährige betonte, dass es nun darum gehe, im Schulterschluss zwischen Vorstand und Arbeitnehmern Audi wieder auf Kurs zu bringen und wieder dem Vorsprung durch Technik gerecht zu werden. Bei aller Differenzen seien sich Vorstand und Betriebsrat einig, gemeinsam den „Audi-Weg“ zu gehen – im Austausch ohne Rasenmäher-Methoden, wie das andernorts der Fall sei.
Audi-Vorstand betont bei Rede in Neckarsulm: Keine betriebsbedingten Kündigungen
Produktionsvorstand Gerd Walker betonte in seiner Rede, dass das Unternehmen an der Beschäftigungsgarantie festhalte und es somit bis 2029 keine betriebsbedingten Kündigungen geben werde. Bei VW war die Jobgarantie vor einigen Monaten aufgekündigt worden. Dennoch machte Walker nach Angaben von Teilnehmern der Betriebsversammlung deutlich, dass die Personalkosten bei Audi derzeit zu hoch seien. Und er betonte zum Dauerbrenner-Thema Homeoffice: "Unser Zusammenarbeitsmodell braucht mehr Kommunikation und Arbeit miteinander vor allem in Präsenz. Dazu sind neue Leitlinien für unsere gemeinsame Arbeit notwendig."
Man werde Audi so aufstellen, wie es für die Zukunft notwendig sei. „Der Feind der Kreativität ist Überregulierung. Ein Grund für den Rückstand in der Produktivität ist die Überregulierung in unseren Prozessen“, sagte Walker. „Wir haben in einem ersten Schritt die Gremien um 80 Prozent reduziert. Ebenso haben wir Richtlinien gestrichen. Und das soll nicht das Ende sein. Denn Überregulierung ist auch der Feind der Geschwindigkeit.“