Auch die Ballei kann der Sport-Union Neckarsulm nicht mehr helfen
Es riecht nach Playdowns: Neckarsulmer Handball-Bundesligist verspielt beim 26:27 gegen den VfL Oldenburg in einer desolaten zweiten Spielhälfte eine Vier-Tore-Führung. Zudem muss die Sport-Union fortan vorerst ohne eine ihrer Rückraum-Spielerinnen auskommen.

Nicht die Neckarsulmer Mannschaft, nicht eine einzelne Spielerin und auch nicht Trainer Thomas Zeitz; nein, den besten Job hatte am Samstagabend Felix Christmann gemacht. Interimsweise war der 33-jährige Hallensprecher des TV Großwallstadt am Mikrofon eingesprungen und hatte wirklich alles in seiner Macht stehende getan, um die Sport-Union Neckarsulm im Bundesliga-Spiel gegen den VfL Oldenburg in der Ballei irgendwie zum Sieg zu tragen.
Christmann versuchte alles: Munterte auf, feuerte an, animierte die Zuschauer zum Mitmachen. Doch die handballerischen Darbietungen der Sport-Union auf der blauen Platte machten ihm – speziell in Hälfte zwei – einen Strich durch die Rechnung.
Ratlos, planlos, mutlos: Playdowns werfen ihre Schatten voraus
Beim 26:27 (16:12) ließ sich der gastgebende Tabellenvorletzte bei mageren zehn Toren in der zweiten Spielhälfte einmal mehr verunsichern und aus der Ruhe bringen. „Wir haben eine ordentliche erste Hälfte gespielt, aber wenn wir so eine zweite wie heute spielen, reicht es nicht“, sagte Annefleur Bruggeman, die noch zu den besseren Neckarsulmerinnen gehörte.
Nach 30 guten und 30 unerklärlichen Minuten stand aber auch sie neben ihren Teamkolleginnen und wirkte ratlos, planlos und mutlos. Mit Leistungen wie der am Samstagabend taumelt die Sport-Union schon früh in der Rückrunde den Playdowns entgegen. Ein Szenario, das man in Neckarsulm unbedingt hatte vermeiden wollen.
Spiel in Buxtehude wird am Samstag zum Charaktertest
Gewinnt die Sport-Union am nächsten Samstag in Buxtehude nicht, könnte der Playoff-Zug schon abgefahren sein, bevor es ab Mitte Februar zu den Duellen mit den direkten Konkurrenten kommt. „Dieses Spiel hier heute darfst du nicht verlieren. Fertig. Wir haben ohne Mut und ohne Überzeugung gespielt, mit Ball und Überzahl ...“ Thomas Zeitz brachte den Satz nicht zu Ende. Zu tief saß der Frust über die nächsten verschenken Punkte.
„Wenn wir so eine zweite Hälfte wie heute spielen, reicht es nicht.“
Annefleur Bruggeman
Spielerisch-sportlich ist das Geschehene in dieser Saison schon mehrfach erzählt worden: Der Sport-Union gelang in der ersten Hälfte gegen schwache Gäste, bei denen Torjägerin Toni-Luisa Reinemann zwar mitgereist, aber nicht im Kader stand, viel. Rhythmus und Selbstvertrauen waren da, Engagement und Einsatz ebenfalls.
Lena Ivancok war schnell im Spiel und stand bei 33 Prozent gehaltener Bälle, Vasiliki Gkatziou traf souverän von der Sieben-Meter-Linie und Munia Smits brachte die nötige Wucht ins Neckarsulmer Angriffsspiel. Der improvisierte Innenblock mit Annefleur Bruggeman und Veronika Andrysková hielt dicht und nach 18 (!) technischen Fehlern in Bensheim stand die Sport-Union gegen den VfL Oldenburg nach 30 Minuten bei gerade einmal deren vier. Weil den Gästen wiederum nur zweimal zwei Tore in Folge gelangen, hatten die Huntestädterinnen kaum Druck aufbauen können; die Sport-Union ging mit einer Vier-Tore-Führung in die Kabine.
Verunsicherung ist in Hälfte zwei förmlich zu spüren
Was sich dann aber dort drunten in den Ballei-Katakomben zutrug, ließ sich am Abend nicht mehr ergründen. Thomas Zeitz versicherte: „Es war alles gut. Aber dann ist auf einmal alles weg und du schaust aufs Feld und denkst: Das sind doch nicht die, die gerade mit einer Vier-Tore-Führung und breiter Brust in der Kabine gesessen haben.“ Doch sie waren es.
Heraus kam eine ängstliche und verunsicherte Gruppe, die bei der ersten Oldenburger Gegenwehr ins Wanken geriet: Ariane Pfundstein und Paulina Golla deckten aus dem Innenblock etwas offensiver als zuvor und Torhüterin Madita Kohorst spielte eine starke zweite Hälfte. Das reichte, um das Zeitz-Team völlig aus dem Konzept zu bringen.
Thomas Zeitz setzt auf die falschen Spielerinnen
Der 51-Jährige vercoachte sich zu allem Überfluss, als er im Angesicht der Führung zu lange auf seine zweite Garde setzte, die aber zwischen 40. und 50. Spielminute trotz zweier Auszeiten aus einem 17:15 ein 19:22 werden ließ. Die zunehmende Verunsicherung war in der Ballei förmlich zu spüren.

„Wir sind in der Abwehr nicht mehr rausgekommen, wir sind nicht in die Erste oder Zweite Welle gekommen und haben auch unsere einfachen Dinger nicht mehr reingemacht“, fasste Bruggeman die zweite Hälfte schonungslos zusammen. Felix Christmann bat derweil per Hallen-Mikrofon noch einmal um Applaus für die Spielerinnen. Es fiel denen, die noch über die Schlusssirene hinaus in der Ballei geblieben waren, sicht- und hörbar schwer.
Sport-Union Neckarsulm: Ivancok (8 Paraden); Orowicz (2 Paraden), Fossum – Gkatziou (7/5), Holste (1), Bruggeman (2), Andrysková (5), Smits (7/2), Riner (2); Gudmestad (1), Hagen, van der Linden (1), Pollakowski.
Erfolgreichste Werferin VfL Oldenburg: Ariane Pfundstein (6).
Schiedsrichter: Nicolas Jaros/Felix Thrun.
Siebenmeter: Sport-Union Neckarsulm: 7/7; VfL Oldenburg: 3/6.
Zeitstrafen: 4/6.
Zuschauer: 911.
Sport-Union stattet Lynn Holtman mit Zweitspielrecht aus
Sechs von 13 möglichen Spielen hat Sommer-Neuzugang Lynn Holtman für die Bundesliga-Mannschaft der Sport-Union Neckarsulm bisher bestritten, dazu mehrfach in der Regionalliga-Zweiten ausgeholfen. Doch gerade in der Bundesliga war die Spielzeit zu gering, als dass sich die 20-jährige Niederländerin weiter hätte entwickeln können.
Um mehr Spielpraxis zu sammeln, hat die Rückraum-Spielerin daher mit sofortiger Wirkung bis Saisonende ein Zweitspielrecht bei Zweitligist Bergischer HC erhalten. Die Solinger um Trainerin Kerstin Reckenthäler sind durch den langfristigen Ausfall von vier Leistungsträgerinnen bis zum Saisonende von einer Verletzungsmisere geplagt und dürften Holtman daher weitaus mehr Spielzeit bieten können.
Erfolgreiches BHC-Debüt gegen TuS Lintfort
Am Samstag war die Niederländerin bereits für den BHC im Einsatz und steuerte zum 26:22-Erfolg gegen den TuS Lintfort drei Treffer und drei Vorlagen bei. „Ich war vor dem Spiel schon etwas nervös, aber die anderen haben mich unterstützt, damit ich mich gut fühle“, sagte die 20-Jährige nach ihrem Debüt für den BHC dem „Solinger Tageblatt“. Spielzeit habe sie in Neckarsulm kaum bekommen, „weil dort jedes Spiel im Kampf um den Klassenerhalt sehr wichtig ist und ich entsprechend wenige Chancen bekommen habe. Es war anstrengend, hat aber auch super Spaß gemacht, so viel zu spielen.“
Aufgrund der Entfernung von rund dreieinhalb Auto-Stunden zwischen den Spielstätten beider Vereine werde Holtman bis auf Weiteres in Solingen spielen und trainieren, erklärt Sport-Union-Trainer Thomas Zeitz. Die Neckarsulmer haben jedoch die Möglichkeit, die Niederländerin jederzeit vorzeitig zurückzuholen. BHC-Trainerin Reckenthäler sieht in Holtman eine echte Verstärkung: „Lynn hat dort Vertrag, und ich finde auch, dass sie das Talent für die erste Liga hat. Uns hilft sie jetzt aber sehr, und mein Dank geht an Trainer Thomas Zeitz, dass er das möglich gemacht hat.“