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Bei der Zahnarztversorgung klafft mitunter eine große Lücke

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Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung: Weder im Hohenlohekreis, noch im Landkreis Heilbronn, im Kreis Schwäbisch Hall oder im Main-Tauber-Kreis gibt es laut offizieller Zählart eine Unterversorgung mit Zahnärzten. Doch der Teufel steckt im Detail. Das Hohenloher Jagsttal ist dafür das beste Beispiel.

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Die Versorgung mit Zahnärzten in Heilbronn-Franken gilt als gut. Doch man sollte genauer hinschauen. In einigen Gebieten herrscht ein gravierender Mangel. Foto: dpa
Die Versorgung mit Zahnärzten in Heilbronn-Franken gilt als gut. Doch man sollte genauer hinschauen. In einigen Gebieten herrscht ein gravierender Mangel. Foto: dpa  Foto: Christin Klose (dpa-tmn)

Dr. Hermann Kern kann es nicht mehr hören. Ohne Unterlass verkünde die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KZVBW), der Hohenlohekreis sei gut mit Zahnärzten versorgt. „Die Situation wird beschönigt, in dem der Versorgungsgrad des Landkreises im Durchschnitt angegeben wird.“ Der liegt derzeit bei 86,2 Prozent – und damit noch weit weg von der Marke unter 50 Prozent, ab der die KZVBW von Unterversorgung spreche.

„Allerdings ist das Jagsttal im Vergleich zur Stadt Öhringen fünf Mal schlechter versorgt, was nicht begründet werden kann“, sagt Kern, der seine Praxis in Dörzbach im Jahr 2012 an die Zahnärztin Nicole Dörr übergeben hatte und jetzt Pressesprecher des VdK-Kreisverbands Künzelsau ist. 

Versorgungsgrad im Hohenloher Jagsttal hinkt weit hinterher

In dieser Funktion wird er nicht müde, die Verantwortlichen aufzurütteln. „Ab dem 1. Januar 2022 gibt es im Jagsttal nur noch zwei Praxisstandorte in Dörzbach und Krautheim, die Praxis in Mulfingen schließt zum 31. Dezember 2021.“ Der Versorgungsgrad im Jagsttal liegt bei weit unter 50 Prozent, das Gebiet ist Teil des Planungsbereichs Künzelsau, der mit 67,8 Prozent den geringsten Versorgungsgrad im Regierungsbezirk Stuttgart hat. Der zweite Planungsbereich im Kreis ist Öhringen und steht mit 96 Prozent weitaus besser da. Was steckt genau dahinter?

Hermann Kern klärt auf: „Bei den Zahnärzten gibt es im Vergleich zu den Ärzten keine Niederlassungsbegrenzung. Der KZVBW hat vom Gesetzgeber einen Sicherstellungsauftrag und weist im Hohenlohekreis zwei Planungsbezirke aus. Versorgungsgrad 100 heißt: Ein Zahnarzt versorgt in Baden-Württemberg 1680 Einwohner, im Jagsttal sind es eins zu 5400, in Öhringen eins zu 920, in Künzelsau eins zu 1184.“ 


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Kern fordert neuen Planungsbezirk Jagsttal 

Das Problem aus Sicht des Zahnarztes in Ruhestand: „Es gibt keine Chancengleichheit. Und die KZVBW sitzt auf einem zu hohen Ross. Deren Versorgungsbezirke sind so groß, dass der Versorgungsgrad immer stimmt, für die existiert das Hohenloher Jagsttal de facto gar nicht.“ Deshalb: „Ein neuer Planungsbezirk Jagsttal wäre angezeigt. Ferner müsste über eine Niederlassungssperre in überversorgten Gebieten nachgedacht werden.“ Und: „Die Rahmenbedingungen für eine Niederlassung oder Praxisübernahme im ländlichen Raum müssen unbedingt verbessert werden, eine finanzielle Förderung wäre dringend notwendig.“ 

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Gemeinden müssen aktiv werden und kooperieren

Nach den Worten Kerns müssten auch die vier Gemeinden im Jagsttal stärker aktiv werden. „Bisher unterstützte nur Dörzbach unser Anliegen“, sagt Kern. Und lässt seiner Enttäuschung freien Lauf. 3878 Unterschiften habe der VdK-Kreisverband Künzelsau 2018 gesammelt, um für eine bessere Zahnarztversorgung im Jagsttal zu kämpfen. „Nur Bürgermeister Andy Kümmerle stand auf der Liste, die Bürgermeister von Schöntal, Krautheim und Mulfingen nicht.“

Doch auch diese Aktion verpuffte. „Jegliches Bemühen des VdK, eine Verbesserung zu erreichen, wurde bisher durch die KZVBW mit der Begründung ausgehebelt, der Hohenlohekreis sei gut versorgt. Die Landtagsabgeordneten, Krankenkassen und das Sozialministerium übernehmen bei Anfragen fast einheitlich diese Begründung, ohne dies näher zu hinterfragen.“ Minister Manfred Lucha halte für die Jagsttäler sogar eine Fahrt von bis zu 25 Kilometern zum Zahnarzt für zumutbar.


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Immer die selben Argumente

„Die KZVBW informiert zwar formell über die Niederlassungsmöglichkeiten im ländlichen Raum, unterstützt dies aber konkret nicht im Geringsten. Offensichtlich möchte man keine Landpraxen, sondern nur Medizinische Zentren in den Städten, um Verwaltungskosten zu sparen.“ Gebetsmühlenartig erkläre die Kassenzahnärztliche Vereinigung, es gäbe keine Bewerber für den ländlichen Raum und die Voraussetzungen hätten sich geändert: Es gebe vor allem weibliche Interessenten, die aber lieber angestellt sein wollten, als sich selbst niederzulassen. So könnten sie Beruf und Familie besser vereinen und dem immensen bürokratischen Aufwand aus dem Wege gehen. Deshalb gehörten zentrale Praxisgemeinschaften die Zukunft. 

Das sagt die Kassenzahnärztliche Vereinigung 

Auf Nachfrage der Stimme äußert sich die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg wie folgt: In den Landkreisen Hohenlohe (86,2), Heilbronn (88,9), Schwäbisch Hall (94,1) und Main-Tauber (95,1) lägen die Versorgungsgrade zwischen 80 und 100. „Ein Mangel an zahnärztlichen Praxen in der Region Heilbronn-Franken ist deshalb nicht festzustellen“, erklärt Sprecher Holger Simon-Denoix. Es sei freilich „nicht zu verkennen, dass generell ein Trend zu größeren Praxiseinheiten mit mehreren behandelten Zahnärzten besteht, die eher an zentralen Standorten angesiedelt sind“. Die Erreichbarkeit von Praxen „in zumutbarer Entfernung“ sei aber „überall gesichert“.


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Wege zur nächsten Zahnarztpraxis werden länger 

Mittelfristig drohten in Heilbronn-Franken keine Engpässe, „auch wenn in einzelnen Fällen die Wege zur nächsten Praxis länger werden können“. Die KZVBW berate Zahnärzte weiterhin umfassend in Sachen Niederlassung und weise dabei auch auf die „aus unserer Sicht günstige Situation für Zahnärzte in ländlichen Regionen“ hin. Politik und Kommunen müssten mit einer guten Infrastruktur ihren Teil dazu beitragen: „Wenn das Leben im ländlichen Raum attraktiv ist, dann ist auch eine Niederlassung im ländlichen Raum attraktiv.“ Andererseits gibt Simon-Denoix zu bedenken, „dass dass sich die ausufernden Bestimmungen und bürokratischen Vorschriften kaum förderlich auf die Niederlassungsbereitschaft auswirken“. 

Zahnarzt Holger Gerlach hat der Bürokratie den Rücken gekehrt und ist glücklich

Bezeichnet sich selbst als Genuss-Zahnarzt, seit er nur noch angestellt ist und in Teilzeit arbeitet:  Holger Gerlach aus Öhringen. Foto: Ralf Reichert
Bezeichnet sich selbst als Genuss-Zahnarzt, seit er nur noch angestellt ist und in Teilzeit arbeitet: Holger Gerlach aus Öhringen. Foto: Ralf Reichert

Holger Gerlach (63) aus Öhringen hat diesem bürokratischen Wust den Rücken gekehrt. Er ist seit Oktober 2015 „nur noch“ angestellter Zahnarzt in Teilzeit, und hat keine eigene Praxis mehr. „Die Bürokratie ist von Einzel- und Doppelpraxen nicht mehr zu leisten“, sagt der Vorsitzende der Zahnärtzeschaft im Hohenlohekreis. Oder man möchte seine Freizeit lieber mit unüberschaubaren Dokumentationspflichten beschäftigen.

„Über 1500 Verordnungen müssen wir beachten“, sagt Gerlach. „Das ist Wahnsinn.“ Der beliebteste Spruch unter Kollegen sei: „Behandelst du schon, oder dokumentierst du noch?“ Nach sechs Jahren als angestellter Zahnarzt in Teilzeit kann Gerlach sagen: „Das ist eine große Entlastung. Ich komme nach Hause, und der Kopf ist frei.“ 

Aufhebung des Numerus Clausus gegen Verpflichtung, aufs Land zu gehen?

Über eine Aufhebung des Numerus Clausus junge Medizinstudenten in ländliche Regionen zu locken, indem diese sich verpflichten, nach dem Studium dort tätig zu werden? „Das wird nicht funktionieren“, sagt Gerlach. Besser wäre es, in der Approbationsordnung zu verankern, dass es als Medizinstudent dazugehört, den Betrieb in einer ländlichen Praxis kennenzulernen. „Da merken viele vielleicht, dass es gar nicht so schlimm ist.“ 

Kommunen müssen mehr kooperieren, um gemeinsame Versorgungszentren zu schaffen

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu bilden, sei eine weitere Möglichkeit– „wenn der Gewinnabfluss nicht an dritte Investoren geht“. Seit 2015 könnten auch Zahnärzte MVZ gründen, die in der Regel aus einem geschäftsführenden Arzt und mehreren Angestellten besteht. Auch die Kommunen müssten mehr kooperieren und gemeinsame Gesundheitszentren schaffen, die unterschiedliche Disziplinen unter einem Dach vereinten. „Das hätte eine Sogwirkung“, ist Gerlach überzeugt. „Sogar nach dem Gesetz können Kommunen MVZ betreiben.“ Hier sei Kreativität gefragt. So wie bei interkommunalen Gewerbegebieten auf der grünen Wiese – in diesem Fall eben in der Gesundheits-Wirtschaft.

Insgesamt denkt Gerlach, „dass die Bereitschaft, in den ländlichen Raum zu gehen, schon da ist“. Man müsse das Interesse nur noch konsequenter wecken und dafür sorgen, „dass Bürokratie abgebaut und Arbeitsteilung möglich ist sowie die Chance besteht, sich anstellen zu lassen, anstatt Investitionen für eine eigene Praxis 15 Jahre mit sich herumzuschleppen“. Eine Landarzt-Praxis mit lauter Einzelkämpfern? „Das wird es nicht mehr geben.“


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