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"Kommunen müssen für junge Ärzte attraktiv sein"

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Viele ältere Ärzte hören auf, zu wenig jüngere kommen nach: Wie kann die Versorgung mit Hausärzten und Fachärzten im ländlichen Raum gesichert werden? Interview mit Johannes Fechner, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg.

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Lokale Gesundheitszentren werden über kurz oder lang Einzelpraxen in ländlichen Gemeinden ablösen. Foto: dpa
Lokale Gesundheitszentren werden über kurz oder lang Einzelpraxen in ländlichen Gemeinden ablösen. Foto: dpa  Foto: Tom Weller (dpa)

Die Region Heilbronn-Franken gilt bei den Hausärzten nicht als unterversorgt. Selbst bei den Fachärzten sieht es so aus, als ob fast alles im Lot wäre. Wie kommt es dann, dass in ländlichen Gebieten Hausärzte dringend gesucht werden und man beim Facharzt ganz allgemein nur schwer einen Termin bekommt?

Johannes Fechner: Nach der Bedarfsplanung, die vom Bund vorgegeben ist, sieht es zunächst tatsächlich so aus, als ob alles im Lot wäre. Wir halten uns an die Zahlen, wie viele Hausärzte und Fachärzte auf 100.000 Einwohner kommen sollen. Theoretisch. Praktisch sind die niedergelassenen Ärzte aber zweifach geknebelt: einmal durch die Bedarfsplanung, also die Zahl der Ärzte, die in einem Landkreis und einem Planungsbereich praktizieren dürfen. Und zweitens: Jede Arztpraxis hat nur ein festes Budget. Die Ärzte bekommen vierteljährlich, zu Beginn des Quartals, dazu Post von uns.

 

Was steht da genau drin?

Fechner: Wie viel Geld sie in einem Quartal abrufen können. Wenn sie mehr Patienten versorgen, erhalten Sie nicht automatisch mehr Geld. Die Notfälle werden immer genommen, aber planbare Termine eben nicht. Daraus resultiert die zweite Bremse, die der Gesetzgeber eingebaut hat: Er will kein Mengenwachstum. Diese Regelung wurde schon vor 30 Jahren eingeführt, als es eine Überversorgung gab.  


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Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Versorgungsgrade und Planungsbereiche müssten den neuen Gegebenheiten doch viel stärker angepasst werden. Vor allem in ländlichen Kreisen ergibt sich ein schiefes Bild, weil manche Bereiche wie um Öhringen gut und andere wie das Jagsttal schlecht versorgt sind.  

Fechner: Die Bedarfsplanung wurde zuletzt 2019 reformiert. Man hat die Demografie und das Alter der Patienten angepasst. Da gab es in jedem Fachbereich ein paar neue Sitze: etwa bei Urologen und Orthopäden, Kinderärzten und Psychotherapeuten. Das Problem ist: Man kann diese Stellen gar nicht besetzen. Wir haben im hausärztlichen Bereich in Baden-Württemberg jetzt schon 600 offene unbesetzte Sitze. Und was noch dramatischer ist: 1400 Hausärzte, die älter als 65 Jahre sind und Gott sei Dank noch arbeiten, obwohl sie schon im Rentenalter sind. Darauf weisen wir schon seit zehn Jahren hin, ohne dass entsprechend Nachwuchs ausgebildet wurde. 

 

Johannes Fechner, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Foto: privat
Johannes Fechner, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Foto: privat

Vor allem im ländlichen Raum droht eine Versorgungslücke. 

Fechner: Ich sehe durchaus, dass auch im ländlichen Raum Praxen übergeben werden. Es wollen gar nicht alle nach Stuttgart oder Heidelberg. Wir haben in schönen Regionen wie in Tuttlingen nur noch 70 Prozent Versorgung, auch in Freiburg und Heidelberg kann nicht jede Praxis übergeben werden.  Insgesamt besteht aber schon eine Schieflage, dass eher im städtischen Heilbronn eine Praxis übernommen wird als in Möckmühl oder im ländlichen Hohenlohe. 

Nur noch wenige wollen sich die Selbstständigkeit antun und niedergelassene Praxen als Einzelkämpfer eröffnen oder übernehmen. Woran liegt das?

Fechner: Richtig ist, dass es heute schier unmöglich ist, eine Einzelpraxis abzugeben oder zu übernehmen. Die Jungen wollen gar nicht mehr selbstständig tätig sein, sondern sich lieber anstellen lassen. Da haben sie die ganzen wirtschaftlichen Themen nicht an der Backe, den bürokratischen Aufwand und Datenschutz. Sie wollen angestellt sein von 8 bis 17 Uhr, oder in Teilzeit, und dann ihre Freizeit haben. Nicht nur Frauen, die sich der Doppelbelastung Familie und Beruf stellen, sondern auch junge Kerle. Diese Trends summieren sich, daraus resultieren diese Schieflagen.


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Wie kann die Ärzteversorgung trotzdem gesichert werden?

Fechner: Indem wir beherzigen, dass die Jungen heutzutage eine andere Auffassung haben davon, wie viel sie arbeiten und leben wollen. Ich rede hier von einer neuen Life-Work-Balance. Die neue Generation will im Team arbeiten, also sind Gemeinschaftspraxen und Medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärzten gefragt. Diese Zentrenbildung hat vor allem für ländliche Gebiete zur Folge, dass die Bürger nicht mehr an jedem Ort eine Arztpraxis finden und einige Kilometer zu diesen Versorgungszentrum fahren müssen. Wenn wir weniger Arztköpfe haben, brauchen wir mehr Unterstützung durch Medizinische Fachangestellte. Aber auch die sind rar auf dem Markt, genauso wie Krankenschwestern oder Pflegepersonal. Wir legen die Hoffnung in neue Bachelorabschlüsse, die zwischen den Aufgaben eines Arztes und einer Krankenschwester angesiedelt sind.

 

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Sie haben die ausufernde Bürokratie angesprochen. Warum muss das sein, wer kontrolliert das, wie sollte sie eingedämmt werden?

Fechner: Die Bürokratie ist schon ein ganz heftiger Punkt. Nicht nur bei Haus- und Fachärzten, sondern auch in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Ärzte verbringen da ein Drittel der Arbeitszeit vor dem PC. Schwestern sitzen vor dem Computer und dokumentieren sich die Finger wund. Da ist viel Unfug reingekommen, der nicht der Patientenversorgung dient. Es muss alles erfasst werden zum Zwecke der Qualitätssicherung. 

 

Ärzte wollen nicht nur gut arbeiten, sondern auch gut leben. Da kommt es doch vor allem auf die Versorgungslage in den Kommunen an. Haben ländliche Gebiete da nicht unüberbrückbare Nachteile?

Fechner: Die Kommunen sind in der Tat gefragt. Wir saßen vor kurzem mit dem Landkreistag zusammen. Die haben jetzt begriffen, dass man das zusammen machen muss, und dass man nicht auf die Kassenärztliche Vereinigung schimpfen sollte, die es scheinbar nicht gebacken kriegt, ihrem Sicherstellungsauftrag nachzukommen. Wir würden das ja schaffen, wenn wir Ärzte hätten, die wir verteilen können. Aber wenn sich keiner bei uns meldet, kann ich auch keinen nach Heilbronn oder Hohenlohe schicken. 

 


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Was können die Kommunen konkret tun?

Fechner: Vor allem: attraktiv werden. Wir haben 600 freie Hausarztsitze und 1400 Hausärzte, die ihre Praxen abgeben wollen. An jungen Arztfamilien kommen pro Jahr 200 neu ins System. Die Studienabgänger können es sich heute aussuchen, wo es am schönsten und besten ist. Gemeinden, die einen Arzt haben wollen, müssen dafür auch etwas bieten. Das fängt bei der Kinderbetreuung an, geht über die Hilfe bei der Jobsuche für den Partner weiter und hört bei der Beschaffung von Wohnraum auf. Viele jungen Ärztinnen und Ärzte wollen keinen Bauplatz und Häuser bauen, sondern finanziell unabhängig bleiben und sich nicht verschulden. Aber schöne Vier-Zimmer-Wohnungen sind auch rar, da kann der Bürgermeister helfen kann. 

 

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen? 

Fechner: Sehr wichtig. Wo setzen wir ein zentrales Ärztezentrum hin? Diese Frage muss auf Kreisebene und im Bürgermeister-Sprengel besprochen werden. Die Diskussion ist schwierig, aber unabdingbar. Wo kreuzen sich Buslinien, wo ist die Infrastruktur intakt, wen kann ich als Investor gewinnen? Es gibt schon gute Beispiel von Ärztehäusern mit angestellten Ärzten verschiedener Fachbereiche. Es gibt aber weiterhin Regionen, da passiert überhaupt nichts und es kommt von selbst auch kein Arzt, obwohl wir die Gründung von Gesundheitszentren mit bis zu 80.000 Euro fördern. 

 

Was halten Sie von dem Projekt der Landesregierung, den Numerus Clausus nicht mehr als entscheidendes Kriterium für das Medizinstudium heranzuziehen, wenn sich Interessenten davor verpflichten, später im ländlichen Raum zu praktizieren? 

Fechner: Das hilft uns im Moment überhaupt nicht. Bis diese Studenten fertig sind, vergehen zehn Jahre. Dann kommen pro Jahr 75 Ärzte bei 600 offenen Stellen in der Versorgung an, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist eine Good-Will-Aktion, von der keiner weiß, ob es funktioniert. Solche Vorfestlegungen sind schwierig, wenn ich überhaupt noch nicht weiß, wie Medizin funktioniert. Ob die Studenten es hinterher auch machen oder geeignet sind, weiß ja noch keiner. Wir halten das für Aktionismus, damit die Landesregierung sagen kann: Wir haben etwas getan. 

 

Wann wird die klassische Landarzt-Praxis ganz verschwunden sein? 

Fechner: Das hat mir dem Alter der Ärzte zu tun. Wer als Landarzt 30 Jahre allein war, macht das noch fünf Jahre so. Aber auch wenn er Kinder hat, werden die das nicht allein übernehmen. Einzelpraxen hören also nicht auf einen Schlag auf, sondern lassen es auslaufen. Erst wenn dies in großem Stil der Fall ist, fangen die Probleme an. Wir haben mal versucht, drei 60-Jährige zu überzeugen, ein MVZ aufzumachen und gesagt: Dann bekommt ihr auch Nachfolger. Das Projekt ist gescheitert, weil die Älteren nicht mehr zu einem solchen Schritt zu motivieren waren. Unsere Zielgruppen sind deshalb nicht die Alten, sondern die Jungen. Wir müssen ihnen ermöglichen, in Teams kooperativ arbeiten zu können – ob in Gemeinschaftspraxen oder fachübergreifenden Gesundheitszentren, spielt zunächst keine Rolle. 

 

Eigene Niederlassungen zu fördern haben sie schon aufgegeben?

Fechner: Nein. Wir müssen die Niederlassungshemmnisse beseitigen. Dazu gehört vor allem der Abbau von Bürokratie und die Minderung der Regress-Angst, wenn Ärzte über ihrer Budgetgrenze behandeln oder abrechnen und dafür abgestraft werden. Und es geht um eine bessere Wertschätzung der Weißkittelberufe insgesamt. Monetär und moralisch. Die Gesellschaft muss sich schon fragen: Was läuft da schief? 

 

Wie kann Telemedizin dazu beitragen, die Ärzteversorgung vor allem in ländlichen Gebieten zu sichern?

Fechner: Wir haben mit dem Projekt Doc Direct die telemedizinische Beratung seit 2016 vorangetrieben. Wir haben gezeigt, dass es mit Videosprechstunden auch funktioniert, Das ist ein Faktor, den wir als Problemlöser noch viel mehr in den Fokus nehmen müssen. Die Grenze der Telemedizin ist da erreicht, wo ich den Patienten anfassen muss. Aber es gibt sogar schon elektronische Stethoskope und Ultraschall-Untersuchungen, die telemedizinisch durchgeführt werden können. Das überwindet aber nur Entfernungen. Am Ende braucht man immer Ärzte. Wenn ich die nicht habe, kann ich auch keine Telemedizin machen. 

 

Früher besuchten Hausärzte ihre Patienten auch daheim. Was halten Sie von Landarzt-Taxis?

Fechner: Auch das gibt es. Aber: Wenn Sie wenig Ärzte und viele Patienten haben, ist die Frage: Wer fährt? Ein Busfahrer verdient sein Geld mit dem Fahren. Wenn ich einen Arzt auf die Strecke schicke, in eine Zweitpraxis oder zu Hausbesuchen, fehlt er in der Praxis. Anders herum ist es besser: Wir sollten die Patienten zum Arzt transportieren, etwa morgens in Schulomnibussen einsammeln oder in gesponserten E-Autos wie im Landkreis Ehingen, wo Senioren ältere Patienten in die Praxen gefahren haben. 

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