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Klassische Landarzt-Praxis ist ein Auslaufmodell

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Ältere Ärzte, die aufhören wollen, finden kaum Nachfolger. In der Region Heilbronn-Franken gibt es noch fast 100 freie Hausarztsitze. Bei den Fachärzten sind es nur zwölf. Den typischen Einzelkämpfer wird es in Zukunft nicht mehr geben. Gefragt sind lokale Gesundheitszentren.

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Das Problem des Ärztemangels ist durch Corona etwas in den Hintergrund geraten. Vor allem bei den Hausärzten  im ländlichen Raum werden die Lücken zunehmend größer.  Foto: dpa
Das Problem des Ärztemangels ist durch Corona etwas in den Hintergrund geraten. Vor allem bei den Hausärzten im ländlichen Raum werden die Lücken zunehmend größer. Foto: dpa  Foto: Maurizio Gambarini (dpa)

In den mehr oder weniger ländlich geprägten Regionen Heilbronn-Frankens ist noch Raum für 97,5 zusätzliche Hausarztsitze: elf im Hohenlohekreis, 41,5 im Landkreis Heilbronn, 28 im Stadtkreis Heilbronn, sechs im Kreis Schwäbisch Hall und elf im Main-Tauber-Kreis. „In den letzten Jahren ist es deutlich schwieriger geworden, Hausarztpraxen nachzubesetzen“, sagt Martina Tröscher, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Das betreffe aber keineswegs nur den ländlichen Raum. Auch in Ballungsgebieten seien Praxisübergaben zunehmend problematisch. „Vereinfacht kann man sagen, dass die Übergabe schwieriger wird, je kleiner die Praxis, also die Zahl der dort tätigen Ärzte, und je ländlicher die Gemeinde ist.“ 

Weniger freie Plätze bei den Fachärzten

Bei den Fachärzten sind unterm Strich viel weniger Sitze frei: insgesamt zwölf. Allein 5,5 entfallen auf den Hohenlohekreis (2,5 HNO-Ärzte, 1,5 Psychotherapeuten, 1,0 Nervenärzte und 0,5 Augenärzte), 2,5 auf den Landkreis Heilbronn (ein HNO-Arzt und 1,5 Psychotherapeuten), 3,5 auf den Kreis Schwäbisch Hall (1,5 Hautärzte und jeweils 0,5 HNO-Ärzte, Frauenärzte, Psychotherapeuten und Nervenärzte), 0,5 auf den Main-Tauber-Kreis (0,5 Nervenärzte) und keiner auf den Stadtkreis Heilbronn. 

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Der Teufel steckt im Detail

Diese Bedarfsplanung stellt eine rein rechnerische Größe da. Mit den Realitäten vor Ort hat sie oftmals nur wenig zu tun. Denn der Teufel steckt im Detail. Die Planungsgebiete für Fachärzte umfassen jeweils ganze Kreise, die für Hausärzte in der Regel zwei oder drei Regionen: so wie im Hohenlohekreis Künzelsau und Öhringen. Bei den Hausärzten gilt der Bereich Künzelsau mit einem Versorgungsrad von 106,5 und 1,5 freien Arztsitzen und in Öhringen mit 84,3 und 9,5 freien Stellen noch nicht als unterversorgt. Erst wenn weniger als 75 Prozent ausgewiesen sind, ist dies der Fall. 

Beispiel Hohenlohekreis 

Bei den Fachärzten schrammt der Hohenlohekreis als gesamte Planungsebene nur bei den HNO-Ärzten mit einem Grad von 54,5 Prozent knapp an der Unterversorgung vorbei, die ab einem Wert von unter 50,0 Prozent greift. Alle anderen Fachgebiete liegen über 100 Prozent und die Fachgruppen Chirurgen/Orthopäden, Frauenärzte, Hautärzte, Kinderärzte und Urologen sogar über 110 Prozent. Dann gilt ein Gebiet als überversorgt, und die Zulassungen werden beschränkt. Doch kleinräumige Problemzonen erfasst dieses Bewertungssystem nicht. Es stammt immer noch aus einer Zeit, als es tatsächlich zu viele Arztpraxen gab und der Gesetzgeber Niederlassungen aus Kostengründen massiv begrenzen wollte. Seitdem sind nur punktuelle Veränderungen erfolgt, die den neuen Herausforderungen kaum Rechnung tragen.

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Das ist die Basis der Bedarfsplanung

Arzt-Taxis sind eine Möglichkeit, um ältere Patienten in zentrale Praxen zu bringen. Auch die Telemedizin bietet Chancen, Entfernungen zu überbrücken.  Foto: dpa
Arzt-Taxis sind eine Möglichkeit, um ältere Patienten in zentrale Praxen zu bringen. Auch die Telemedizin bietet Chancen, Entfernungen zu überbrücken. Foto: dpa  Foto: Bernd Weissbrod (dpa)

Die Bedarfsplanung erfolgt auf Grundlage einer bundeseinheitlichen Richtlinie. „Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für Baden-Württemberg stellt zwei Mal pro Jahr fest, in welchen Arztgruppen und Planungsbereichen zusätzliche Sitze für eine Niederlassung zur Verfügung stehen und welche Planungsbereiche für weitere Niederlassungen gesperrt werden“, erklärt Martina Tröscher. „Dies geschieht über eine Verhältniszahl, die im Grunde durch das Verhältnis Einwohner je Arzt bestimmt wird. Daraus wird auf Basis der jeweils aktuellen Einwohnerzahlen eines Planungsbereichs ein Versorgungsgrad errechnet.“

Im Bereich Öhringen kommt so ein Hausarzt auf 1922 Einwohner, im Bereich Künzelsau einer auf 1514 Einwohner. In der Planungsregion Neckarsulm beträgt das Verhältnis 1:1847, in Heilbronn 1:1724. In Crailsheim und Schwäbisch Hall liegen die Werte nahezu identisch bei 1:1665 und 1:1622. In Bad Mergentheim sind es 1:1622, in Tauberbischofsheim 1:1618 und in Wertheim 1:1519. In der Stadt Heilbronn kommt ein Hausarzt auf 1724 Einwohner. Alle Werte sind topaktuell und entsprechen dem Stand der neuen Bewertung am 20. Oktober 2021.


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Viele junge Ärzte wollen lieber angestellt sein oder in Teilzeit arbeiten 

„Corona hat viele Themen in den Hintergrund gedrängt, so auch das Thema Ärztemangel“, sagt Tröscher. Große Sorgen bereitet der KVBW der fehlende medizinische Nachwuchs für Haus- und Fachärzte. „Es ist besonders schwer, ärztlichen Nachwuchs für die offenen Hausarztsitze zu finden, mittlerweile sind in ganz Baden-Württemberg knapp 700 hausärztliche Stellen unbesetzt. Die Zahl der aus Altersgründen ausscheidenden Mediziner ist deutlich größer als die des ärztlichen Nachwuchses.“ Viele junge Ärztinnen und Ärzte wollten lieber als Angestellte sowie in Teilzeit arbeiten und benötigten damit Praxisstrukturen, die sie in den Städten und Ballungsgebieten häufiger finden, was auf dem Land zum Teil zu erheblichen Nachwuchsproblemen führe – insbesondere im hausärztlichen Bereich.

Telemedizin ist eine gute Ergänzung 

Die flächendeckende ambulante Versorgung stehe vor einem großen Strukturwandel. „Künftig wird es Regionen geben, in denen die hausärztliche Versorgung anders sichergestellt werden muss als durch die klassische Landarzt-Praxis. Hier ist vieles denkbar, zum Beispiel die Einrichtung von Zweigpraxen, bei denen der Arzt an bestimmten Tagen, zu bestimmten Uhrzeiten in einen Ort kommt oder auch von Ärztezentren in den Kerngemeinden“, berichtet Tröscher. Ebenso werde die Delegation von bestimmten Aufgaben an qualifizierte Medizinische Fachangestellte an Bedeutung gewinnen. „Und was wir schon jetzt, verstärkt durch die Corona-Krise, sehen können: die Telemedizin ist eine gute Ergänzung und kann weite Wege überbrücken und somit Arzt und Patient zueinander bringen.“


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Klassische Landarzt-Praxis ist ein Auslaufmodell 

Die Residenzpflicht für Vertragsärzte wurde schon 2012 gekippt. Trotzdem kommt immer noch zu wenig Nachwuchs an.  Foto: dpa
Die Residenzpflicht für Vertragsärzte wurde schon 2012 gekippt. Trotzdem kommt immer noch zu wenig Nachwuchs an. Foto: dpa  Foto: Hauke-Christian Dittrich (dpa)

Um die Versorgung auch künftig zu gewährleisten, sei ein ganzes Bündel an Maßnahmen erforderlich. „Wichtig ist, dass die Möglichkeit geschaffen wird, den Anforderungen an einer Tätigkeit als Angestellte oder Angestellter und in Teilzeit zu ermöglichen. Ebenso wichtig wird es sein, die niedergelassenen Ärzte von Verwaltungs- und Bürokratieaufgaben zu entlasten, um mehr Arzt-Zeit zu ermöglichen“, sagt Tröscher. Die meisten Studienabgänger seien weiblich und wollten sich nicht selbst niederlassen, sondern anstellen lassen und/oder in Teilzeit arbeiten. Entweder in Gemeinschaftspraxen, die am selben Ort oder überörtlich ansässig sind, oder an Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Das macht die Übernahme von alteingesessenen Hausarzt- oder Facharztpraxen so schwierig.

Denn zumindest ein Arzt muss auch bei solchen Gemeinschaftsmodellen den Hut aufhaben. Klar ist: Die klassische Landarzt-Praxis mit lauter Einzelkämpfern ist ein Auslaufmodell. Es gibt in Baden-Württemberg bereits 1400 Hausärzte, die über 65 sind – die meisten suchen vergeblich nach jungen Ärzten, die ihre Praxen als selbstständige Mediziner mit eigener Niederlassung übernehmen. An einer Zentralisierung – örtlich und organisatorisch – führt deshalb kein Weg vorbei. Vor allem im ländlichen Raum.    

Residenzpflicht wurde schon 2012 gekippt

Früher waren Vertragsärzte gesetzlich verpflichtet, ihren Wohnsitz in der Nähe ihrer Praxis zu wählen. „Seit 2012 ist diese sogenannte Residenzpflicht für alle Vertragsärzte entfallen. Die Wahl des Praxissitzes kann unabhängig vom Wohnort erfolgen“, sagt Tröscher. „Diese Freiheit erleichtert es Vertragsärztinnen und -ärzten, berufliche Vorstellungen mit privaten Wünschen zu vereinbaren. Häufig sind es Schulen, Freizeitangebote für die Kinder oder auch die Arbeitsstätte des Partners, die ausschlaggebend für eine Entscheidung gegen eine Praxis in einer anderen Stadt oder auf dem Land sind.“

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So fördert die KVBW bestimmte Kommunen 

Die KVBW hat bereits im Jahr 2015 mit dem Förderprogramm Ziel und Zukunft – kurz ZuZ – auf den Ärztemangel reagiert. „16,8 Millionen Euro wurden bislang zur Stärkung der ambulanten ärztlichen Versorgung investiert, davon allein 6,6 Millionen Euro für Praxisneugründungen und -übernahmen.“ Haus- und Fachärzte, die eine Praxis gründen oder eine bestehende Praxis in Fördergebieten übernehmen wollten, könnten eine Förderung von bis zu 80.000 Euro beantragen. Auch würden Eröffnungen von Zweigpraxen in Fördergebieten mit maximal 40.000 Euro bezuschusst.

Solche Förderplätze für Hausarztpraxen sind, Stand 20. Oktober, in 19 Kommunen folgender Planungsbereichen gültig: Planungsbereich (PB) Bad Mergentheim (in Weikersheim), PB Heilbronn (Cleebronn, Eberstadt, Ellhofen, Flein, Güglingen, Kirchardt, Löwenstein, Massenbachhausen, Nordheim, Obersulm), PB Neckarsulm (Bad Friedrichshall, Hardthausen, Neuenstadt, Untereisesheim), PB Öhringen (drei Plätze für den gesamten Bereich), PB Tauberbischofsheim (Grünsfeld, Werbach). Bei den Förderplätzen für Fachärzte ergibt sich folgendes Bild: PB Hohenlohekreis (zwei Förderplätze HNO-Ärzte), PB Schwäbisch Hall (ein Förderplatz Hautarzt), PB Heilbronn-Franken (zwei Förderplätze Kinder- und Jugendpsychiater).  

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