Effizienz ist in der Pflege längst oberstes Gebot
Zu viel Arbeit für zu wenig Personal und zu wenig Geld: Die Probleme der Pflege sind auch in der SLK-Klinik am Gesundbrunnen bekannt – Doch wie machen sie sich im Alltag bemerkbar? Ein Besuch vor Ort.

Es ist verhältnismäßig ruhig an diesem Dienstagmorgen auf der Station K6. Die OP-Vorbereitungen sind abgeschlossen, Genesene entlassen, das Frühstück ist bereits serviert und Notfälle gibt es keine. Um 9 Uhr arbeitet die Frühschicht der Unfallchirurgie und Orthopädie bereits seit drei Stunden. Derjenige, der dabei den Überblick behält, ist Emanuel Geng. Der stellvertretende pflegerische Bereichsleiter delegiert, koordiniert und kümmert sich um Patienten – letzteres vor allem dann, falls es die Zeit zulässt. „Seine“ Station umfasst neben der Unfallchirurgie noch das Alterstraumazentrum und die septische Chirurgie bei Knochen- und Gelenkinfektionen.
Trotz der stationären Vollauslastung mit mehr als 70 Patienten geht es ruhig und strukturiert zu. Handgriffe sitzen, jeder – egal ob erfahrener Gesundheits- und Krankenpfleger oder ambitionierte Auszubildende – scheint zu wissen, was zu tun ist. Äußerlich zu unterscheiden sind beide Gruppen ohnehin nicht. Alle tragen den charakteristischen blauen Kasack und eine weiße Hose.
Mehr Bürokratie, weniger Zeit am Patienten
Einen halben Tag gewährt die SLK-Klinik am Gesundbrunnen dem Stimme-Autor Einblicke in den Arbeitsalltag in der Pflege. Doch der Besuch beginnt schon Wochen vorher. Mit vielen Fragen und einer Menge Papierkram, zu Datenschutz und Impfstatus etwa. Hier etwas ausfüllen, dort einwilligen, am Seitenende unterschreiben. Alles kein großes Problem, doch schnell wird klar, dass hier nichts ohne gründliche Dokumentation vonstatten geht. Da ist es egal, ob sich die Eingangstür für einen Patienten oder eine externe Person öffnet.

Was für den kurzzeitigen Krankenhaus-Hospitanten lästiges Beiwerk ist, gilt in der Pflege längst als Normalität. Man verliere dadurch Zeit für die Pflege am Patienten, stellt Emanuel Geng heraus. Der Dokumentationsaufwand habe für alle Beteiligten zugenommen und müsste eigentlich verschlankt werden. Wie hoch sind Sturz- und Inkontinenzrisiko eines Patienten? Wie steht es um dessen Wohnsituation und das soziale Umfeld? Und ist eine Entlassung aufgrund der privaten Pflegesituation vertretbar? Die Erkenntnisse auf solche und ähnliche Fragen gilt es zu dokumentieren. Immer mehr Skalen sind anzulegen, Randnotizen zu machen – vor allem für die rechtliche Absicherung. Zwar geht all das inzwischen digital, wertvolle Zeit kostet es aber trotzdem.
Die Sinne schärfen, um effizient arbeiten zu können
Die Arbeitsatmosphäre auf der Station scheint dennoch gut – wozu auch das Ambiente beiträgt. Der Neubau wirkt durch die blauen Farbelemente und das helle Holz freundlich. Hinzu kommt durch Lichthöfe viel Tageslicht. Ein dreifarbiges Licht-Signal-System gibt an jedem Patientenzimmer Auskunft darüber, ob Pfleger oder Physiotherapeuten dort arbeiten. Ins Ohr geht der Piep-Ton, der den Hilferuf eines Patienten signalisiert. Beide Signale helfen den Pflegern, effizienter zu arbeiten. Erschreckend schnell setzt jedoch gerade beim akustischen Signal ein Gewöhnungseffekt ein.
„Früher ging der Ruf an eine Zentrale, die das Anliegen des Patienten dann an die Pfleger weitergegeben hat. Heute bekommen wir den Ruf direkt und müssen sofort los, weil wir nicht mehr wissen, ob es ein akutes Problem gibt oder nicht“, erklärt Geng. Auch das fordert die Stationsmitarbeiter.
Gefordert werden auch Mirko Mook und seine Kollegen auf der Onkologie- und Palliativ-Station. Hier ist man als Besucher sofort drin in dieser typischen „Krankenhaus-Atmosphäre“; bekommt schnell dieses Gefühl von Hilflosigkeit, gefangen im Dilemma von geistigem Wollen, aber körperlichem Nicht-Können. Stationsleiter Mook kennt das Gefühl; bereits seit vielen Jahren arbeitet er auf der Station. In dieser Zeit hat er traurige, aber auch viele positive Krankheitsentwicklungen miterlebt. Es sei wichtig, das Erlebte nicht mit in den Feierabend zu nehmen, sagt er. Für den Halbtags-Besucher lässt sich jedoch nur schwer verdrängen, dass hier oft nur gelindert, nicht aber geheilt werden kann.
Im Krankenhaus geht es auch um Bundesliga und Gartenarbeit

Das Ambiente ist hier noch das eines typischen Krankenhauses vergangener Tage: welliger PVC-Boden, Leuchtröhren unter der Decke, Holzvertäfelungen an den Wänden. Allerdings ist die Unterkunft eine auf Zeit. Im ersten Halbjahr 2023, wenn der zweite Bauabschnitt des Neubaus fertiggestellt ist, wird die Onkologie dort eine neue Heimat finden.
Doch egal, wie es im Inneren ausschaut, die Probleme des Pflegeteams sind nahezu deckungsgleich mit jenem der Chirurgie. Hinzu kommt: „Man muss sich selbst von zu Hause mitbringen“, erklärt Mirko Mook. Was er damit meint: Bei aller Ernsthaftigkeit ist auch der Austausch über Alltagsthemen wichtig. Welche Probleme macht die Gartenarbeit? Wie lief das Bundesliga-Wochenende? Nur dann könne man mit den Patienten eine intensivere Beziehung aufbauen, die auf der Onkologie-Station so wichtig ist. Doch das braucht Zeit. Und Manpower. Beides haben sie auf der Station eigentlich zu wenig.
Wenn Familie und Beruf nur noch schwer vereinbar sind

Seit 20 Jahren arbeitet Mirko Mook in der Onkologie. Ein Lehramtstudium hatte der 52-Jährige einst abgebrochen, um eine Ausbildung in seinem Traumberuf zu beginnen. „Die Entwicklung der Pflege ist anders, als ich es mir erträumt habe“, gibt er zu.
Das Problem, da sind sich Mook und Emanuel Geng einig, ist weniger der fehlende Nachwuchs, als vielmehr die Lücke, die entsteht, wenn Mitarbeiter eine Familie gründen oder Pflegerinnen Nachwuchs bekommen. Denn dann wird es schwer, die Familie und den Beruf mit seiner regelmäßigen Wochenendarbeit, mit den Wechsel- und Nachtschichten und der erforderlichen hohen Flexibilität in Einklang zu bringen. Viele stiegen dann aus oder reduzierten ihre Stundenzahl. „Das System muss umstrukturiert und reizvoller gemacht werden“, urteilt Geng. Auch die neugestaltete, generalisierte Ausbildung sei nicht der Weisheit letzter Schluss. „Nicht immer helfen viele Hände viel“, sagt Mirko Mook und ergänzt: „Was die Pflege leisten soll, legt die Pflege selbst fest. Sie kann den eigenen Anforderungen aber nur gerecht werden, wenn entsprechend qualifiziertes Personal da ist.“ Dass niemand diesen Job allein wegen der Bezahlung macht, ist fast selbstredend. Und auch von der Aufmerksamkeit zu Beginn der Corona-Pandemie ist kaum etwas geblieben.
Ein Berufsfeld lebt vom Idealismus seiner Beschäftigten
Doch es ist vor allem der Idealismus, der viele antreibt. Die interessante Mischung aus alten und jungen Patienten hatte Emanuel Geng vor sieben Jahren in die Unfallchirurgie geführt. Bereut hat er den Schritt seitdem nicht. Er wusste, auf was er sich einlässt – auch seine beiden Elternteile arbeiten in medizinischen Berufen. Doch häufig gibt es diese Tage, an denen es zu viel Arbeit für zu wenige Pfleger gibt. „Man wird immer mehr an den Schreibtisch verbannt und ist weniger beim Patienten“, resümiert Geng. Doch im Unterschied zu anderen Berufsfeldern können er, Mook und ihre Kollegen die Arbeit nicht für den Folgetag liegenlassen.