Ausufernde Arbeitszeiten, befristete Verträge: Ärzte schlagen Alarm
Laut dem Marburger Bund sind viele Klinikärzte in Baden-Württemberg zunehmend frustriert. Sie hätten großen Druck, ausufernde Arbeistzeiten und oft befristete Verträge. Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft wies die Kritik zurück.

Ein Berg an Überstunden, Stress, dauerhafte Belastungen wegen der Corona-Pandemie und dazu noch oft ein befristeter Arbeitsvertrag: Klinikärzte in Baden-Württemberg sind mit den Rahmenbedingungen ihres Berufes unzufrieden. Dies ergab eine Umfrage des Landesverbands des Marburger Bundes, an dem mehr als 2500 in Baden-Württemberg tätige Klinikmediziner teilgenommen hatten.
Knapp zwei Drittel der in Vollzeit tätigen Krankenhausärzte gaben an, sie arbeiteten mindestens 51 Stunden pro Woche, rund ein Fünftel arbeitet sogar mehr als 60 Stunden. "Die Corona-Pandemie hat den Personalmangel weiter verschärft, die Klinikärzte sind oft überfordert. Die Arbeitsbedingungen werden immer unattraktiver", sagte Sylvia Ottmüller, Landesvorsitzende des Marburger Bundes, bei der Vorstellung der Umfrage am Donnerstag in Stuttgart.
Lage in der Region
Nach Einschätzung des Heilbronner SLK-Direktors und Chefarzt Wolfgang Linhart hat sich die Arbeitssituation für Ärzte in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, allerdings sei der Arztberuf ein sehr arbeitsintensiver. "Die Arbeit muss erledigt werden." Man könne nicht einfach eine Operation beenden, wenn der reguläre Feierabend gekommen sei. Mitarbeiter blieben auch wenn nötig länger im Dienst, um die Versorgung von Patienten in der Notaufnahme zu gewährleisten. Klar sei, so Linhart: "Mit der Pandemie hat sich die Belastung deutlich erhöht. Aus allen Bereichen wurden phasenweise Ärzte abgestellt für die Versorgung der Covid-Patienten."
Hohe Zahl an befristeten Verträgen
Ein zentrales Thema der Umfrage war zudem, dass viele Klinikärzte nur befristete Arbeitsverträge hätten. Bei Ärzten an den Südwest-Universitätskliniken liegt die Quote demnach bei rund 80 Prozent, bei kommunalen und konfessionellen Krankenhäusern bei etwas mehr als 50 Prozent - bei den privatwirtschaftlichen Einrichtungen sind es etwa 40 Prozent. Ottmüller forderte Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) dazu auf, Ärzten an Uni-Kliniken mit unbefristeten Verträgen auszustatten: Bauer solle dafür sorgen, in einem ersten Schritt die Zahl der unbefristet angestellten Ärzte an den Uni-Kliniken auf 40 Prozent zu verdoppeln.
Die Befristung der Arbeitsverhältnisse habe weitreichende Konsequenzen, kritisierte Ottmüller. Ärzte stünden unter Druck und fühlten sich daran gehindert, Probleme am Arbeitsplatz - etwa fehlende Pausen, Überstunden oder Meinungsunterschiede mit Vorgesetzten - offen anzusprechen. Elf Prozent der Ärzte mit befristetem Anstellungsverhältnis hätten bereits darüber nachgedacht, in ihrem Job aufzuhören.
BWKG: Situation hat sich verbessert
Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG), Interessenvertretung von 201 Krankenhäusern im Land, wies Kritik an den Arbeitsverhältnissen der Ärzte zurück. Der BWKG-Vorstandsvorsitzende Heiner Scheffold erklärte, die Südwest-Kliniken hätten in den vergangenen Jahren Personal aufgestockt. Zwischen 2009 und 2019 hätten die Kliniken 6340 neue Ärzte eingestellt. 2009 seien auf einen Arzt knapp 121 Patienten gekommen, 2019 seien es noch 105 Patienten gewesen.
Kritik von Opposition
Die Opposition im Stuttgarter Landtag übte massive Kritik an der Landesregierung. "Befristungen sollten nur noch im äußersten Notfall zum Tragen kommen. Es kann nicht sein, dass die befristeten Verträge eine effektive Fehlerkultur verhindern", sagte SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl. "Die Absenkung der Befristungsquote an den Universitätskliniken drängt und Ministerin Theresia Bauer steht im Wort, rasch für Abhilfe zu sorgen", erklärte FDP-Politiker Timm Kern.
Umfrage
Vom 21. Januar bis 11. Februar 2021 wurden die knapp 12?800 berufstätigen Ärzte, die Mitglied im Marburger Bund Baden-Württemberg sind, zur Teilnahme an der Umfrage aufgerufen. Die Rücklaufquote lag bei etwas mehr als 20 Prozent. Die Umfrage fand online statt.