Corona als Startschuss für die Digitalisierung bei Audi und in der Region Heilbronn
Die Zeichen der Zeit waren rechtzeitig erkannt worden. Doch gerade in der Automobilindustrie lief es zu gut, um sich allzu viele Gedanken um einen bevorstehenden Umbruch zu machen. Dann kam die Auszeit.

Als im März 2020 die Bänder bei Audi in Neckarsulm stillstanden, da hielt die Region Heilbronn den Atem an. Als dann mit der Umweltprämie auch noch ausdrücklich nur die E-Mobilität gefördert wurde, da wuchs durchaus die Sorge, dass es mittelfristig für den Automobilstandort eng werden könnte.
Im Wettbewerb mit Ingolstadt und Brüssel um die E-Auto-Produktion hatte Neckarsulm den Kürzeren gezogen. Jetzt kristallisierte sich mehr und mehr heraus, dass der VW-Konzern nur noch batterieelektrisch Vollgas geben wird. Für das Werk im Unterland und viele seiner Zulieferer, die am Verbrennungsmotor hängen, würde das nichts Gutes bedeuten, so die Befürchtung.
Transformation war schon vor Corona ein drängendes Thema
War es Zufall oder Weitsicht? Kurz vor der Corona-Krise war bereits das Bündnis für Transformation Heilbronn-Franken geschlossen worden. Die Gewerkschaft IG Metall und der Arbeitgeberverband Südwestmetall waren ebenso dabei wie die Wirtschaftsförderung und die Agentur für Arbeit. Sie alle hatten ein Interesse daran, die Prognosen, was den transformations- und coronabedingten Stellenabbau angeht, nicht Realität werden zu lassen.
Nun, ein gutes Jahr später, sieht die Welt schon wieder anders aus. E-Autos wie auch Verbrenner sind weltweit nachgefragt wie nie, Audi erlebte das absatzstärkste Halbjahr seiner Unternehmensgeschichte. Doch der Corona-Schock war ein Weckruf zur rechten Zeit. Und zwar nicht, weil jetzt jeder weiß, wo die Reise hingeht, sondern vielmehr ist jetzt allen klar, dass künftig häufiger als in der Vergangenheit Flexibilität über Wohl und Wehe entscheiden wird.
Flexibilität in den Prozessen
Dabei ist die Bereitschaft zur Flexibilität schon von jeher eine der Stärken vor allem kleinerer Zulieferbetriebe. Doch künftig wird es noch schneller gehen müssen, im Großen wie im Kleinen. Digitalisierung ist das große Thema – nicht nur bei den Produkten, sondern auch bei all den vorgelagerten Prozessen.
Da neben der E-Mobilität wird auch die Autosoftware vor allem in Ingolstadt vorangetrieben. Welch eine Fügung, dass bei Audi in Neckarsulm IT-Spezialisten schon vor Corona die Chance erkannt hatten, hier die Digitalisierung von Logistik und Produktion voranzutreiben. Jetzt, in der Corona-Krise, hatten sie sich damit einen Vorteil erarbeitet.
Neckarsulm hat jetzt eine Sonderstellung
Selbst Wolfsburg erkannte, dass hier alle Voraussetzungen zu finden waren, um beispielhaft für den gesamten VW-Konzern durchzuspielen, wie die Amazon-Cloud genutzt werden kann, worauf es künftig in den Werken und drumherum ankommt. Hier sollen die Standards entwickelt werden.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei das jüngst erstarkte IT-Zentrum Heilbronn. Zur Hochschule Heilbronn hatten sich innerhalb weniger Jahre die DHBW, die Technische Uni München, das Fraunhofer-Institut und nun noch die Programmierschule 42 gesellt. Audi trug im vergangenen Jahr mit XL2 ein Joint Venture bei, gemeinsam mit dem SAP-Spezialisten Capgemini. Zusammen gründeten sie vor wenigen Monaten die Automotive Initiative 2025, um die kurzen Wege eines Netzwerks zu nutzen.
Die Netzwerke funktionieren
Dennoch gab es Stellenabbau, etwa beim Getriebehersteller Magna in Untergruppenbach. Bei allem Bedauern, dass es für rund 60 Mitarbeiter nicht auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz weitergeht, zeigte sich hier doch die neue Stärke der regionalen Automobilindustrie. Das Bündnis für Transformation agierte und funktionierte. Das DHBW Center for Advanced Studies (CAS) sorgt mit dem Weiterbildungsangebot für die Magna-Mitarbeiter für einen Digitalisierungs-Schub.
Auch andere Zulieferer wie die Heilbronner Läpple-Gruppe, Kaco Dichtungssysteme aus Kirchardt, die Söhner-Gruppe aus Schwaigern oder KKT Gessmann aus Leingarten befinden sich mitten in der Transformation, auch wenn diese Unternehmen kaum am Verbrennungsmotor hängen. Doch Digitalisierung, Automatisierung und Konzentration auf die Kerngeschäftsfelder steht überall auf der Agenda.
Dass Transformation mit Einschnitten verbunden ist, war allerdings von Anfang an klar. So möchte der Rüstungskonzern Rheinmetall seine Kolbensparte Kolbenschmidt verkaufen. Auch Bosch steht unter Druck. So soll die Bosch Automotive Steering GmbH (Bosch AS) in Bietigheim bis Ende 2021 die Produktion einstellen. 290 Mitarbeiter sind hier betroffen.
Was kann Berlin tun?
Welche Auswirkungen Corona in einer möglichen vierten Welle noch haben wird, ist offen. Die Digitalisierung hat erst begonnen. Ob und wie es mit dem Verbrenner weitergeht, ist noch nicht ausgemacht. Sicher ist nur, dass die schlimmsten Befürchtungen bisher nicht eingetreten sind - obwohl vor allem in Brüssel alles dafür getan wird, den Autoherstellern die Freude an der Benziner- und Dieselproduktion zu nehmen.
Mit Blick auf die Bundestagswahl stellt sich die Frage, welche Weichenstellungen in Berlin nun notwendig und möglich sind. Wie kann über die Corona-Krise hinaus der Stellenabbau in Schlüsselindustrien wie der Automobilbranche verhindert werden? Welche Anreize kann es für eine schnelle Transformation hin zur Elektromobilität geben? Insbesondere die Batterieproduktion wird hier eine zentrale Funktion haben. Wird wirklich alles für einen schnelleren Ausbau des Glasfasernetzes getan? Wie können Datenschutz und Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Welt gleichzeitig gesichert werden?
Denn eine aktuelle Studie hat gezeigt: Man schätzt Deutschland in der Welt für seinen Fleiß, seine Effizienz und seine Zuverlässigkeit. Aber die Deutschen seien eben auch übervorsichtig, überkritisch, starr und zögerlich. Ein entscheidender Punkt wird also sein: Schaffen wir es, jetzt den Boden für Innovation zu bereiten?