Wie ein Stadtbahnfahrer für 0 Minuten Verspätung kämpft
Der Wecker von Tobias Trunk klingelt regelmäßig um 3.30 Uhr. Für die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft fährt der 27-Jährige aus Eschenau im Morgengrauen Stadtbahnen und Fahrgäste durch die Region. Wir haben ihn bei seinem Dienstantritt begleitet.

Die Nacht ist sternenklar und sommerlich warm, um 4.30 Uhr strahlen noch zwei Drittel des Mondes vom Himmel. Am Bahnsteig der Station Pfühlpark in Heilbronn steht Tobias Trunk und ist so gut gelaunt, wie es um diese Uhrzeit nicht jeder wäre. Früh aufstehen ist für den 27-jährigen Lokführer aus Eschenau kein Problem. "Ich habe eher Schwierigkeiten, spät aufzustehen." Deshalb meldet er sich meist zur Frühschicht und fährt eine der ersten Stadtbahnen der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft durch die Region.
Der Zug, den Trunk heute nach Sinsheim steuern wird, ist nirgendwo zu sehen, was aber nicht bedeutet, dass es nichts zu tun gibt. Über eine App hat sich Trunk zum Dienst gemeldet und mit der Leitstelle abgestimmt. Er soll den hinteren Teil eines Zugs aus Öhringen abkoppeln und an seinen eigenen hängen. "Das liegt daran, dass man durch die Heilbronner Innenstadt nur mit zwei Zugteilen fahren darf."

Dann geht es schnell. Der besagte Zug rauscht in den Bahnhof, die Türen öffnen sich und spucken Fahrgäste aus. "Bitte vorne einsteigen, der hintere Zugteil endet hier", ruft Trunk ein paar Wartenden zu. Dann öffnet er eine unscheinbare Klappe, dreht seinen Schlüssel in einem Schloss und löst so die Kupplungen voneinander. Der nur noch zweiteilige Zug fährt weiter und Trunk schwingt sich in den Führerstand des zurückgebliebenen Fahrzeugs. Es geht auf Gleis 14, ein Abstellgleis zwischen den Bäumen parallel zur Siebennussbaumstraße.
Wenn sich Eisenbahner-Kollegen helfen, spart das wertvolle Minuten
Dort wartet der zweite Zugteil. Ein Kollege hat ihn am Abend dort mit ausgefahrener Kupplung abgestellt. "Das spart uns eine halbe Minute", freut sich Trunk. Zwar funktioniert das Ausfahren der Kupplung normalerweise automatisch. "Aber die Elektronik spinnt manchmal. Dann muss man sie mit der Hand ausfahren und macht sich gleich in der Früh ein bisschen dreckig."
Weil dieser Zug heute noch nicht im Einsatz war, muss Trunk ihn gründlich durchchecken: Klingel, Zugfunk, Sicherheitssysteme, Notbremse, Türen, Leuchten und vieles mehr. "Das sieht alles sehr gut aus", sagt Trunk. Er lässt das Gespann an den Bahnsteig Pfühlpark rollen, dann geht es wieder ans andere Ende des Zuges. Mittlerweile ist es hell geworden. "Das ist das Tolle am Sommer", sagt Trunk. "Du fährst in den Tag rein und hast noch so viel vor dir nach Feierabend."
Für Tobias Trunk führte der Weg erst auf die Autobahn, dann auf die Schiene

Züge fahren wollte der Eschenauer schon immer, sagt er, wenn er auch zunächst als Lkw-Fahrer arbeitet. Nach einem Unfall wechselt er auf die Schiene, fährt erst in Bayern, dann den Regionalexpress zwischen Stuttgart und Würzburg. "Viele fangen erst klein an und werden dann immer größer. Ich bin quasi den umgekehrten Weg gegangen." Seit sechs Jahren fährt er nun Züge. "Ich liebe meinen Job."
20 Sekunden vor Abfahrt drückt der 27-Jährige einen Knopf und fordert damit das Signal an, das es ihm erlaubt, den Bahnhof zu verlassen. Die Ampel wechselt von einem horizontalen auf einen vertikalen Balken - freie Fahrt. So früh morgens läuft die Bahnfahrt reibungslos ab. Jede Station fährt Trunk pünktlich an, Fahrgäste steigen ein und aus. Immer wenn ein anderer Zug ihm begegnet, hebt Trunk die Hand. Unter Lokführern grüßt man sich, sagt er.
Wie man als Stadtbahnfahrer durch Bremsen Verspätungen reinholt
Was, wenn es mal nicht so gut läuft? "Verspätungen sind für mich eine Herausforderung." Es sei reizvoll, kleine Verspätungen rauszuholen. "Am Ende der Fahrt muss die Null stehen." Das funktioniert so: Normalerweise fährt und bremst Trunk möglichst fahrgastfreundlich, wie er sagt, vor allem an den Haltestellen. Muss es schneller gehen, bremst der 27-Jährige etwas abrupter. Bis zu eine halbe Minute könne man dadurch aufholen. "Natürlich klappt das nicht immer und überall."
Laut Trunk habe es zudem einen Vorteil, wenn ortskundige Fahrer die Stadtbahnen steuern. Sie kennen ihre Stammstrecken und deren Tücken in- und auswendig und können kleinere Verspätungen auf der Fahrt aufholen. Immer klappt das allerdings nicht, Trunk selbst fährt etwa hin und wieder die Bahnen der Linie S4 nach Karlsruhe. "Wenn man dort nicht so oft ist, lässt man es einfach langsamer angehen."
Auch ein Lokführer will nicht mit Verspätung in den Feierabend
Vor Kurzem muss Trunk eine Strecke sperren lassen, weil Menschen im Weinsberger Tunnel unterwegs sind. Anderthalb Stunden lang geht nichts mehr. "Wir machen das nicht leichtfertig. Wir wollen auch pünktlich Feierabend machen."
Wichtig ist ihm, als Zugführer respektvoll behandelt zu werden. "Hier vorne sitzt ein Mensch, der Gefühle hat." Beleidigende Gesten vergesse er nicht, ein Lob aber genauso wenig. "Jemand hat mal zu mir gesagt: Wenn die Titanic nochmal untergehen würde, hätte ich Sie gerne als Kapitän. Das bleibt im Gedächtnis."
Dieses Mal hat alles geklappt: Der Zug kommt überpünktlich in Sinsheim und pünktlich in Heilbronn an. Für Tobias ist seine Mission damit erst mal erfüllt, erst am Nachmittag wird er wieder im Einsatz sein.