Pro & Contra: Sollten wir jetzt die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern?
Kann Deutschland mit einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken unabhängiger von russischen Energielieferungen werden und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten? Unsere Autoren sind unterschiedlicher Meinung.
Pro
Von Christian Gleichauf
Der Krieg in der Ukraine verändert alles. Er bedroht unsere Weltordnung, den Frieden in Europa, auch unseren Wohlstand und viele notwendige Vorhaben wie den Klimaschutz. Er verändert nebenbei die Maßstäbe, die wir mit unseren bisherigen Vorstellungen an das Thema Sicherheit gelegt haben.
Das Risiko in der Ukraine wächst ganz real
Abstrakte Risikoabschätzungen von deutschen Atomkraftwerken müssen jetzt zwingend ins Verhältnis gesetzt werden zu der realen Gefahr einer atomaren Verseuchung. Die geht jetzt von von einem Beschuss ukrainischer Atomkraftwerke aus, und auch von Putins angedrohter Nutzung von Atomwaffen.
Wenn wir also vorhaben, irgendwann unabhängig von russischen Gas-, Öl- und Kohleimporten zu sein, um damit Druck auf das russische Regime auszuüben, dann dürfen wir diesen Zeitraum nicht dadurch verlängern, dass wir jetzt auch nur ein einziges funktionierendes Kraftwerk abschalten. Welches Signal würde das auch an unsere Nachbarn senden, die - mit ihrer Energieversorgung ebenfalls am Limit - uns aushelfen müssen?
"Technisch nicht möglich" gilt jetzt nicht mehr
Bei einer möglichen Laufzeitverlängerung darf man sich übrigens nicht auf die Aussagen der Energiekonzerne verlassen. Die hatten angesichts steigender Strompreise bis zuletzt behauptet, dass ein Weiterbetrieb auch technisch gar nicht möglich sei. Quatsch. Sie haben 2,4 Milliarden Euro für den 2011 beschlossenen Atomausstieg erhalten. Mit einem Weiterbetrieb gab es für sie nichts zu gewinnen. Jetzt aber geht es um das große Ganze, es geht um alles. Die Zeit für den Ausstieg kommt wieder. Hoffentlich bald.
Contra
Von Christoph Donauer
Zum Jahresende soll das Zeitalter der Atomkraft in Deutschland zu Ende gehen. Dabei muss es bleiben. Der Atomausstieg ist keine Ideologie, sondern eine Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Viele Menschen starben an den Folgen, 24 Milliarden Euro kosteten die Aufräumarbeiten bisher.
Alte Kernreaktoren sind gefährlich, neue nicht in Sicht
Nur mal angenommen: Würde sich im AKW Neckarwestheim ein Unfall ereignen, bei dem wie in Fukushima im Radius von 30 Kilometern evakuiert werden müsste, würde die Zone von Stuttgart bis Sinsheim reichen. Für Deutschland können also auch Risikoreaktoren wie Tihange in Belgien oder Cattenom in Frankreich gefährlich werden.
Die Forderung nach dem Bau moderner Reaktoren ist realitätsfern. Sie existieren nur im Labor und wären hierzulande unmöglich kostengünstig zu bauen. Das sieht man in Frankreich, wo erstmal die Laufzeiten der Altreaktoren verlängert wurden. Neue AKW sollen erst 2035 ans Netz gehen. Ob sie bis dahin gebaut sein werden, bleibt abzuwarten. Der deutsche Atomausstieg wird zeigen, dass eine Industrienation auch ohne Kernkraft auskommt.
Reserve reicht auch für die Energiewende
Für die Stromversorgung braucht es die Atommeiler jedoch nicht. Noch laufen die Kohlekraftwerke, ihr Brennstoff kommt schon lange aus dem Ausland - aus den USA, Kanada und Australien, da Russland nun ausscheidet. Die Reservekraftwerke, die jährlich 230 Millionen Euro kosten, mussten noch nie hochgefahren werden. Das Licht geht also nicht aus. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien ist die Lösung für die Zukunft, nicht die Kernkraft.